Sicherheit im Sinne des Art. 72 AEUV gefährdet, ist der betroffene Mitgliedstaat daher im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und unter Beachtung der Grundrechte, von seiner Durchführungs- und Umsetzungspflicht des Sekundärrechts befreit. Somit ist eine innerstaatliche Änderung der sekundärrechtlich erlassenen Normen zur praktischen Umsetzung der sich aus dieser Befugnis zur Abweichung von Sekundärrecht ergebenden Maßnahmen erforderlich.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass Österreich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit von der sekundärrechtlich vorgegebenen Pflicht, sämtliche Anträge auf internationalen Schutz zu behandeln, abweichen kann, sofern die Einhaltung von völker- und unionsrechtlichen Grundrechten und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit vollinhaltlich gewahrt werden. Dies bedeutet, dass jene Anträge auf internationalen Schutz jedenfalls zu behandeln sind, in denen dem Antragsteller andernfalls eine Verletzung der einschlägigen Grundrechte drohen würde.
Vorliegen einer Bedrohung für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit
Der Zustrom an Schutzsuchenden (rund 89.000 Asylantragsteller) im Jahr 2015 hat das österreichische Aufnahmesystem vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Insbesondere das gesamte Asylsystem und der Bereich der Grundversorgung sind unter Druck geraten. Der Erhalt der Funktionsfähigkeit der entsprechenden Systeme ist derzeit nur unter einer beträchtlichen Anspannung und Belastung aller Beteiligten möglich. Steigende Asylantragzahlen führen zudem zu einer zusätzlichen Belastung des Arbeitsmarktes und bergen ein weiteres Risiko für die künftige Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit. Insbesondere werden die Auswirkungen des Zustroms an Schutzsuchenden des Jahres 2015 auch Folgen in den kommenden Jahren nach sich ziehen, da nicht mit einer raschen Entlastung der Einrichtungen der öffentlichen Ordnung gerechnet werden kann. Für den Fall eines Zustroms an Schutzsuchenden im Jahr 2016 in einer vergleichbar hohen Zahl wie im Jahr 2015 erscheint aus derzeitiger Sicht die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen und öffentlichen Dienste sehr wahrscheinlich. Aufgrund dieser Prognose stellt der im Jahr 2015 begonnene außergewöhnlich hohe Zustrom an Schutzsuchenden und dessen Auswirkung auf die öffentlichen Einrichtungen der Republik eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit dar, weshalb unter Berufung auf Art. 72 AEUV die Erlassung von Sondernormen im Asylbereich, die von sekundärrechtlichen Vorgaben abweichen, erforderlich ist. Bereits im vergangenen Jahr wurde es angesichts der Zunahme an Schutzsuchenden und den damit entstandenen plötzlichen und außergewöhnlichen Belastungen für die Mitgliedstaaten sowie starken Sekundärmigrationsbewegungen innerhalb des Schengen-Raums erforderlich, sofortige Maßnahmen zu ergreifen. So sind im Zeitraum vom 5. September 2015 bis 31. März 2016 rund 790.000 Fremde nach Österreich eingereist, welche unter Anstrengung und Mobilisierung aller zur Verfügung stehender Unterbringungskapazitäten ausreichend versorgt wurden. Zum einen konnten gemäß § 11 Abs. 2 des Grundversorgungsgesetzes-Bund 2005 (GVG-B 2005) im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Landesverteidigung und Sport diverse Kasernen zur Unterbringung genutzt werden. Zum anderen wurde dem BMI mit Inkrafttreten des Bundesverfassungsgesetz über die Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden, BGBl. I 120/2015, am 1. Oktober 2015 die rasche Bereitstellung von Unterbringungsplätzen ermöglicht, wovon bereits dreizehnmal Mal (Stand: 1. April 2016) Gebrauch gemacht wurde.
Letztendlich entschloss sich Österreich (zusammen mit anderen EU-Mitgliedstaaten) zur vorübergehenden Wiedereinführung bzw. Verlängerung von Binnengrenzkontrollen. Eine solche Maßnahme ist nach der Verordnung (EU) 2016/399 über einen Ge-
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