Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll136. Sitzung / Seite 65

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manchen Mitgliedsländern passiert, und sich gleichzeitig jedem Versuch einer sinnvollen Verteilung von Migranten in Europa zu entziehen. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.) Ich denke, es ist tatsächlich politischer Zynismus, die EU-Kommission mit Vorwürfen einzu­decken.

Man muss aber natürlich bei all diesen Entwicklungen sehen, dass nicht alles eitel Won­ne ist; das ist überhaupt keine Frage, es hat Fehlentwicklungen gegeben. Wir spüren sie, jeder von uns kann sie mit Sicherheit benennen. Sie liegen zum einen darin, dass wir auf europäischer Ebene oftmals eine Diskussion über das Klein-Klein des politi­schen Alltags erleben. Ich zitiere den Herrn Vizekanzler, der bei dieser Gelegenheit im­mer auf die Traktorsitze verweist; jeder von uns kennt ähnliche Beispiele.

Das Hauptproblem scheint mir aber jenes zu sein, dass die Europäische Union vor 60 Jahren mit einem Versprechen konstituiert worden ist, und dieses Versprechen hat bedeutet: Nie wieder Krieg! Aus diesem Nie-wieder-Krieg, aus diesem Wohlstandsver­sprechen, aus diesem Sicherheitsversprechen, das damit einhergeht, ist heute eine Dis­kussion geworden, in der eigentlich zunehmend verloren gegangen ist, wofür die euro­päische Idee steht und wofür wir alle miteinander aufstehen möchten. Es ist der Ein­druck entstanden, dass eine bestimmte Ideologie das europäische Projekt gekapert hat, die nun einmal nicht das Interesse der Menschen und der europäischen Bürgerin­nen und Bürger in den Vordergrund gestellt hat, sondern – ich spitze hier etwas zu – so etwas wie die Interessen der Konzerne zum kategorischen Imperativ gemacht hat.

Kurzfristig haben wir zwei Fragen zu stellen, die uns alle zu interessieren haben. Die eine Frage ist: Wie geht es ganz konkret im Umgang mit Großbritannien weiter? Wir ha­ben vorige Woche einen Europäischen Rat gehabt, an dem David Cameron teilgenom­men hat, und er hat dort erklärt, wie er sich die weitere Ordnung der Perspektiven mit Europa vorstellt. Ich denke, auf der positiven Seite war festzuhalten, dass Cameron glas­klar gesagt hat, Großbritannien wird weiter seine europäischen Verpflichtungen wahr­nehmen, wird an den Entscheidungsprozessen weiter mitwirken, wird aber vor allem auch seine Zahlungen weiterhin pünktlich überweisen und naturgemäß am Binnenmarkt teil­nehmen. (Präsident Kopf übernimmt den Vorsitz.)

Es ist allerdings bei diesem Gespräch auch klar geworden, dass es nicht den gerings­ten Plan auf britischer Seite gibt, wie man mit dieser Situation umgehen mag, denn die Befürworter haben sich darauf nicht vorbereitet, und die Gegner, wie wir gesehen ha­ben, haben auch kein ernsthaftes Interesse gehabt, konstruktive Lösungen zu suchen.

Das ist ein Problem Großbritanniens, aber es wird auch zum Problem für uns, weil wir nicht erwarten dürfen, dass es da schnell Lösungen gibt und dass der Verhandlungs­prozess rasch aufgenommen werden kann. Wir alle wissen ja, dass aufgrund der politi­schen Destabilisierung in Großbritannien der Prozess, bis es einen Premierminister gibt und bis die Anmeldung des Austritts erfolgt, wohl noch einige Zeit dauern wird.

Das, was wir Regierungschefs im Europäischen Rat festgelegt haben, war ein klares Prin­zip, das geheißen hat, es wird erst dann Austrittsverhandlungen geben, wenn die Bri­ten schriftlich kundgemacht haben, dass sie austreten. Diese Austrittsverhandlungen müs­sen natürlich im guten Einverständnis geführt werden: Wir haben Interesse, Großbri­tannien als Partner für Sicherheits- und Wirtschaftsfragen zu behalten, aber es muss auch klar sein, dass es Privilegien und den Zugang zum Binnenmarkt nur um einen be­stimmten Preis gibt. Das wird ein materieller Preis sein, aber es wird logischerweise auch so sein, dass die vier Grundfreiheiten unzweifelhaft auch von britischer Seite ak­zeptiert werden müssen.

Die zweite Frage jenseits des Formalen ist allerdings jene, was das inhaltlich bedeutet und wie wir dieses europäische Projekt bewerten und weiterentwickeln können. Ich ha­be mit Interesse gesehen, dass heute Morgen das Ergebnis einer Umfrage unter jun­gen Österreichern veröffentlicht worden ist, das ein sehr ermutigendes Resultat gezeigt


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