Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll136. Sitzung / Seite 97

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Was lernen wir aus diesem Referendum? – Zum einen: Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen. Man geht mit Exit Polls, die einen knappen Sieg des „Remain“-Lagers vor­hersagen, ins Bett und wacht mit Brexit wieder auf. (Abg. Neubauer: Ja!)

Was lernen wir noch aus diesem Referendum? – Volksabstimmungen müssen gelernt sein. Es wurde gelogen, dass sich die Balken biegen. (Zwischenruf des Abg. Kogler.) Die Sachlichkeit ist auf der Strecke geblieben. Wie man es machen könnte, wie man es machen sollte, zeigt die Schweiz: Dort gibt es keine Volksabstimmung ohne ein Ab­stimmungsbüchlein, in dem alle Fakten, alle Zahlen drinnen stehen, alle Meinungen, mit dem sich jeder objektiv ein Bild von der abzustimmenden Frage machen kann. (Zwi­schenruf des Abg. Hübner.) Das hätte der Weg sein sollen – war er leider nicht.

Was sind die Konsequenzen dieses Referendums? – Auf jeden Fall gilt: Selbst dann, wenn das „Remain“-Lager gewonnen hätte, also knapp eine Mehrheit erreicht hätte, wäre das auch keine Lösung gewesen, denn dann wäre dieser Februar-Deal, der zwi­schen Cameron und den anderen Regierungschefs ausgehandelt worden ist, zum Tra­gen gekommen. Damit wäre auch zum Tragen gekommen, dass sich zum ersten Mal ein Mitgliedstaat – offiziell bestätigt und vereinbart – vom Ziel der „ever closer union“, der gemeinsamen politischen Union verabschieden kann.

Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Europa der zwei Geschwin­digkeiten ist kein Problem, das ist in Ordnung, aber ein Europa, das in zwei unter­schiedliche Richtungen fährt, kann nicht funktionieren. Das hätte sich so oder so nicht ausgehen können. (Beifall bei den NEOS.)

Der Brexit, so viele Nachteile er für Europa und natürlich insbesondere für Großbritan­nien bringt, bedeutet dennoch auch eine Chance, denn in jeder Krise liegt auch eine Chance. Es ist klar, die Zeit des Durchwurschtelns ist vorbei. Es ist klar, dass Europa vor einer Weggabelung steht. Die entscheidende Frage ist: Europa, wie hältst du’s mit der politischen Union? Wir müssen uns die Frage stellen, was unsere Vorstellung von einem gemeinsamen Europa ist. Was ist unsere Vorstellung von der Zukunft, was ist un­sere Vision?

Diese Frage habe ich auch dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister im Ausschuss gestellt, und die Antworten, die ich bekommen habe, waren folgende: Au­ßenminister Kurz sagt, er glaubt nicht an Visionen. Kanzler Kern sagt, er möchte nicht auf der Ebene der Visionen tätig sein, sondern auf der Ebene der Lösungen, dort möchte er arbeiten. – Ja, schon, zu arbeiten, das ist in Ordnung, aber in welche Richtung, mit welchem Ziel?

Ich erwarte mir von politischen Führungskräften in ganz Europa das, was ihre ureigens-
te Aufgabe ist, nämlich Leadership zu zeigen. Zu Leadership gehört es nun einmal, eine Vision zu entwickeln – und wenn Ihnen dieses Wort zu pathetisch ist, dann sagen Sie Ziel dazu. Dieses Ziel müssen Sie entwickeln, und Sie müssen dafür Begeisterung im Land, bei den Bürgern entfachen, sonst wird das nicht funktionieren.

Kanzler Kern hat weiters angesprochen, man möge einfach weiterarbeiten, man möge zum Beispiel das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Europa lösen – da muss man doch so ehrlich sein und sagen: Dazu hat die Europäische Union weder die Kompetenz noch die Instrumente. Wenn man von der Union verlangt, die Jugendarbeitslosigkeit zu besei­tigen – ohne institutionellen Rahmen, ohne Kompetenzen –, dann ist das nur ein weiterer Beitrag zum Scheitern Europas.

Zu Klubobmann Lopatka, auch er ist leider nicht mehr im Saal, möchte ich insgesamt sa­gen: Ich kann fast keinen Unterschied mehr zwischen seinen Ausführungen und jenen der FPÖ erkennen, offenbar ist da kein Unterschied mehr auszumachen. (Ruf bei der ÖVP: Schwachsinn!) Die Europapartei ÖVP hat sich offenbar verabschiedet.

 


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