Wenn wir für einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen stimmen, würde das also heißen, dass genau diese radikalislamistischen Netzwerke in der Türkei gestärkt würden, was wir alle natürlich nicht wollen.
Punkt zwei: Unter dem Deckmantel Terrorismusbekämpfung – konkret benannt: PKK-Bekämpfung – deklariert Erdoğan alle seine Gegner zu Terroristen oder zu Staatsfeinden. Er suspendiert sie, er inhaftiert sie, und es wird ihnen kaum politischer Raum gelassen, um ihre Kritik auch offen vorzutragen.
Warum er das macht, das hat sehr viele verschiedene Gründe. Ein Grund dafür ist natürlich, dass er die gesamte ultranationalistische türkische Wählerschaft nicht verlieren will, er ist auf ihre Unterstützung angewiesen. Ein weiterer Grund ist, dass er verantwortlich dafür ist, dass die Friedensverhandlungen mit der PKK und auch mit der HDP gescheitert sind.
Was viele vergessen, ist einfach, dass die Türkei nie ein demokratisches Land war. (Abg. Schimanek: Wenn sie kein demokratisches Land ist, dann …!) Es stimmt nicht, dass die armenische oder die kurdische Frage mit der PKK begonnen hat. Es hat in der Geschichte der Türkei immer schon Massaker und Genozide an Minderheiten gegeben. Das ist auch der Grund dafür, dass Erdoğan auch all seine Gegner diesbezüglich sozusagen als Terroristen oder Staatsfeinde deklariert.
Die PKK ist, wenn wir das so auslegen würden, natürlich nur eine Folge dieser Unterdrückungs- und Assimilierungspolitik. Wenn Erdoğan heute seine wichtigsten Verhandlungspartner im Friedensprozess als Terroristen oder als Staatsfeinde deklariert, dann ist das einfach ein offenes Zeichen, dass er kein Interesse am Friedensprozess, an den Friedensverhandlungen hat. Da sollten wir ansetzen, da können wir wirklich Druck ausüben.
Punkt drei: Unter dem Deckmantel der Demokratisierung der Türkei sperrte Erdoğan auch die letzten objektiven Medien einfach zu. Die AKP ist auch gerade dabei, die letzten kritischen Abgeordneten – damit meine ich jene der HDP – einfach zu inhaftieren. Diese Inhaftierungen darf man nicht unterschätzen, denn ich denke, diese Inhaftierungen können wirklich dazu führen, dass in der Türkei der nächste Bürgerkrieg ausbricht.
Aufgrund der Ausgangssperren, die Erdoğan – unter Anführungszeichen – „Säuberungsaktion“ nennt, sind schon über eine Million Kurden und Aleviten in die Westtürkei gereist.
Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wird Präsident Erdoğan sicherlich nicht unter Druck setzen, weil ihm das, wie ich denke, gerade irgendwie recht sein würde, denn dann kann er sich isolieren und sein eigenes islamistisches Imperium gründen.
Damit ist uns aber natürlich nicht geholfen, damit lassen wir alle demokratischen Kräfte und alle Minderheiten in der Türkei im Stich. Die Beitrittsgespräche sind ein Garant für die Minderheiten und auch für all die demokratischen Kräfte in der Türkei. (Zwischenruf des Abg. Hübner.) Ich finde, ein Abbruch ist wirklich kein guter strategischer Weg, um Erdoğan mit diesem Mittel unter Druck zu setzen. (Beifall bei den Grünen.)
Ich rede klar und offen: Präsident Erdoğan ist schon an und für sich eine Fluchtursache, aber dieser Weg ist nicht gerade der richtige strategische Weg. Wenn man wirklich die Demokratisierung der Türkei will, dann muss man einfach andere Hebel ansetzen, andere politische Maßnahmen setzen – und das wäre die Reaktivierung des Friedensprozesses, denn nur eine effektive Friedenspolitik kann auch die Flüchtlingszahl reduzieren. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)
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