Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll167. Sitzung / Seite 65

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Eines muss klar sein: Ein Sozialbericht ist kein Börsenbericht. Das heißt, das ist kein Bericht, bei dem man das Auf und Ab von Börsenkursen bunt in Tabellen und Grafiken darstellt und vollkommen ausblendet, welche Auswirkungen das auf Beschäftigte hat. (Abg. Belakowitsch-Jenewein: Da schau! Da hat er uns was gesagt!) Der Sozialbe­richt bildet die Lebensrealität der österreichischen Bevölkerung ab. (Abg. Peter Wurm: Nicht ganz ...! – Abg. Belakowitsch-Jenewein: Sollte!) Wie wir jetzt sehen, lassen die­se Zahlen einen Interpretationsspielraum, und darum ist es auch wichtig, dass sie inter­pretiert werden. (Zwischenruf des Abg. Steinbichler.)

Zieht man jetzt zum Beispiel den Bereich der Armutsvermeidung heran, dann sieht man, dass die Armutsgefährdungsquote in Österreich seit dem Jahr 2008 gesunken ist. (Abg. Peter Wurm: Markus, das kannst ja selber nicht glauben!) Nehme ich jetzt das subjek­tive Empfinden der Menschen in unserem Land her – und da bin ich bei dir, Peter –, dann muss ich sagen, die gefühlte Realität ist eine andere.

Wenn wir heute vor Supermärkten – und das ist nicht nur in Großstädten ein Phäno­men, sondern bereits auch in kleineren Städten – Menschen finden, die Zeitungen ver­kaufen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, dann sind wir auf einmal mit Ar­mut in einem Ausmaß, wie wir es vielleicht vor vielen Jahren noch nicht kannten, kon­frontiert.

Darum betrifft dieses Problem immer auf der einen Seite diese Zahlen und auf der an­deren Seite dieses persönliche Empfinden, das wir im Tagesgeschäft haben. Da ist mir sehr wichtig, dass wir uns selbst diese Zahlen anschauen und auch die eigenen Bilder im Kopf überdenken, denn natürlich – es ist schon angesprochen worden –, ich bin Ge­werkschafter, und wenn ich an das Thema unselbständig Beschäftigte denke, dann habe ich sofort das Bild im Kopf: Da werden Menschen aus abgesicherten Beschäfti­gungsverhältnissen in prekäre Jobs gedrängt. Wenn man sich jetzt diesen Bericht an­sieht, dann kann man erkennen, dass im Jahr 2014/2015 die Zahl der unselbständig Be­schäftigten von 460 000 auf 440 000 gesunken ist.

Wenn man genauer hinschaut und sich fragt, wie es sich tatsächlich mit den prekären Arbeitsverhältnissen verhält, dann sieht man, dass die Zahl der Neuen Selbständigen von 2008 auf 2015 um fast 8 000 gestiegen ist, aber im gleichen Umfang die Zahl der freien Dienstverträge zurückgegangen ist, weil wir bei diesen sozialpolitische Absiche­rungen geschaffen haben, die es für die Unternehmen unattraktiver machen, Menschen als freie Dienstnehmer zu beschäftigen, und es damit geschafft haben, diesen Trend hin zu freien Dienstverhältnissen zu bremsen und zu stoppen. Und das sind die Dinge, bei denen es, glaube ich, wichtig ist, dass wir selbst auch kritisch hinschauen: Wie weit stimmen die Bilder, die wir im Kopf haben, dann auch mit der Realität überein?

Darum wäre es auch wichtig, sich einmal den Bereich des Wohnens anzuschauen. Ich glaube, es ist für uns irgendwie klar, dass Menschen, die wenig Einkommen haben, in Wohnungen leben, die kleiner sind, in Wohnungen leben, die vielleicht nicht ganz den üblichen Standard haben. Wenn man sich dann aber auch die Entwicklung des Lebens­raums, den Menschen zur Verfügung haben, anschaut, dann sieht man auf ein­mal: Bei Menschen mit niedrigen Einkommen stagniert der Lebensraum, bei Menschen mit mitt­leren und höheren Einkommen merken wir, dass der Lebensraum zunimmt. Das heißt, diese Menschen sind aktuell nicht am Wohlstandsgewinn in unserer Gesellschaft betei­ligt.

Erschreckend ist eigentlich, wenn man diese Kosten des Wohnraums auf den Quadrat­meter herunterbricht und dann auf einmal draufkommt, dass Menschen mit niedrigen Ein­kommen auf den Quadratmeter berechnet 40 Prozent mehr zahlen als Menschen mit mittleren Einkommen und 80 Prozent mehr als Menschen mit hohen Einkommen; ins­gesamt zahlen sie nur 20 oder 30 Prozent weniger als das, was Menschen mit hohen Ein-


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