Nationalrat, XXV.GPStenographisches Protokoll197. Sitzung, 4. Oktober 2017 / Seite 76

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Enttäuschung oder Lustlosigkeit. Eltern und Lehrende, die Raum und Zeit bereitstellen wollen, damit sich Kinder unterschiedlich entwickeln können, sind schnell mit dem Druck konfrontiert, dass das Damoklesschwert der weitreichenden Entscheidung droht, näm­lich, ob ein Kind ein Gymnasium besuchen kann oder in eine NMS geschickt wird.

Aber Eltern wollen das Beste für ihre Kinder und wünschen für sie die besten Rah­menbedingungen für ein geglücktes Leben. Das trifft besonders auf Bildung und Aus­bildung zu. Die meisten Eltern bemühen sich daher um frühe Förderung, einen geeig­neten Kindergartenplatz und eine gute Schule. Wer selbst gut gebildet ist, über ein ausreichendes Einkommen verfügt und das österreichische Bildungssystem kennt, da­zu noch in einer größeren Stadt oder deren Umgebung wohnt, wird weitestgehend fin­den, wonach gesucht wird. Zusätzlich werden Großeltern, Au-pairs, Babysitter, Horte, Feriencamps und Nachhilfeinstitute in Anspruch genommen, um die Betreuung und den Bildungserfolg sicherzustellen. Für viele Eltern gleicht der Bildungsweg der Kinder aber einem Hürdenlauf. Die viel beschworene Wahlfreiheit ist großteils ein Konstrukt, das der Realität, mit der Eltern und Kinder im Alltag konfrontiert sind, nicht entspricht.

So übersteigt die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen das Angebot bei weitem. Eltern müssen sich frühzeitig, oft schon während der Schwangerschaft, um einen Platz in einer Krippe umschauen. Wer sein Kind mehr als nur das verpflichtende letzte Jahr in den Kindergarten geben möchte, muss mitunter hohe Kosten in Kauf nehmen und bekommt den Platz vielleicht nur, wenn beide Eltern berufstätig sind. Und dann müs­sen Eltern oft schmerzhafte Kompromisse eingehen, denn die Qualität der Kindergär­ten ist nicht garantiert. Phasenweise werden bis zu 21 Kinder von einer Pädagogin (die überwiegende Mehrheit sind Frauen) betreut, es fehlen Freiflächen, Gärten, Bewe­gungsräume und vor allem zusätzliches Personal, das speziell ausgebildet ist, z.B. im Bereich der sprachlichen Frühförderung. Die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätig­keit wird nicht erleichtert, wenn Kindergärten wie in Tirol an bis zu 44 Werktagen im Jahr geschlossen haben oder wochentags schon um 14:00 schließen. Immerhin ein Vorgeschmack auf die Schule.

Denn auch in der Schule ist der Vormittagsunterricht noch immer die Regel und einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung gibt es nicht. Viele Eltern fühlen sich über­fordert, wenn sie ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen wollen. Klassenwiederho­lungen gibt es nicht mehr, aber auch keine Anpassung an das Lerntempo der Kinder. Wer Nachhilfe braucht, muss sich meist selber darum kümmern und häufig auch dafür zahlen, denn der Unterricht verlangt, dass die Kinder mithalten. Fördermaßnahmen gibt es in den Volksschulen nämlich viel zu wenig. Eine Lehrkraft steht die meiste Zeit allein in der Klasse. Zusätzliche Lehrkräfte für Teamteaching, ausgebildete Fremdsprach­assistenInnen, Deutsch als Zweitsprache-Lehrkräfte, SozialarbeiterInnen, Schulpsy­cholgInnen, SonderpädagogInnen u.a. gibt es immer noch viel zu wenig. Spätestens in der vierten Volksschulklasse setzt der Notendruck ein, denn die Familien stehen vor der wohl wichtigsten Entscheidung und größten Hürde auf dem Bildungsweg, nämlich der Frage Gymnasium oder Neue Mittelschule. Wobei sich glücklich schätzt, wer sich diese Frage stellen kann, gibt es doch in manchen Gebieten gar keine AHS-Langfor­men und damit auch keine durchgängigen Bildungswege bis zur Matura.

SchülerInnen mit Behinderungen haben es im selektiven Schulsystem doppelt schwer. Sie haben zwar eine angebliche Wahlfreiheit, das bedeutet aber auch, dass sie keinen Rechtsanspruch haben, weder auf den Besuch eines Kindergartens vor Schuleintritt, noch auf einen Platz in der nächstgelegenen Volksschule oder Neuen Mittelschule. Für sie bleibt oft nur eine Sonderschule, die zwar alles an Betreuung und Pflege bietet, was nötig ist, aber keine soziale Inklusion und keinen gleichberechtigten Zugang zu Bil­dung.

Kein Wunder also, dass sich viele Eltern große Sorgen machen, ob und wie ihre Kinder den Bildungsweg bewältigen. Bereits jetzt suchen jene, die es sich leisten können, den


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