22.06
Abgeordnete Mag. Dr. Sonja Hammerschmid (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Regierungsmitglieder! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses! Geschätzte Zuschauer auf der Galerie, vor den Fernsehschirmen und des Livestreams! „Ich will in einem Land leben, in dem alle Kinder dieselben Chancen“ auf die beste Bildung „haben“ (Beifall bei SPÖ und NEOS – Abg. Rosenkranz: Also Österreich!) – egal, welcher Herkunft, egal, welche Eltern sie haben, egal, welchen Namen sie tragen, die beste Bildung für alle Kinder! – Das war mein erster Satz hier im Parlament.
Ich durfte in den letzten 19 Monaten eine Bildungspolitik, eine sozialdemokratische Bildungspolitik gestalten, die es den Schulen, den Pädagoginnen und Pädagogen ermöglicht, zu gestalten, wie es die Kinder brauchen, um ihre Talente und Potenziale ganz besonders zu unterstützen und ganz besonders zu fördern – eine sozialdemokratische Bildungspolitik, die kein Kind zurücklässt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Gudenus: Alle, alle!)
Wenn ich jetzt ins Regierungsprogramm schaue, dann sehe ich, dass sich eines konsequent durchzieht: Aussonderung, Selektion, Restriktion und Bestrafung stehen im Vordergrund. – Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und der gebotenen Kürze nehme ich mir heute und jetzt nur zwei Themen vor, zum einen die Stärkung der Sonderschulen. Das tut mir wirklich weh.
Ich darf Sie daran erinnern, dass wir 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert haben. Ich darf Sie weiters daran erinnern, dass wir 2012 einen Nationalen Aktionsplan Behinderung mit dem Ziel, ein inklusives Schulsystem zu schaffen, verabschiedet haben. Und wir haben in den Modellregionen Erfahrungen gesammelt, was gelingen kann, wie inklusive Schule gelingen kann, und haben bereits jetzt mehr als 70 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Schulen. Wäre da nicht Niederösterreich, wären es wahrscheinlich 80 Prozent, denn Niederösterreich hat besonders viele Sonderschulen.
Anstatt sich jetzt darauf zu konzentrieren, inklusive Schulen, inklusive Pädagogik, Innovation in dieser Pädagogik und die Unterstützungsstrukturen zu stärken, konzentrieren Sie sich darauf, Sonderschulen auszubauen, diese Kinder wieder zu separieren, die Kinder wieder zu stigmatisieren und den Kindern die Hoffnung zu rauben, dass sie im Leben wirklich Fuß fassen können und dass sie auch eine Chance haben, auf dem Arbeitsmarkt zu reüssieren. (Beifall bei der SPÖ.) Schauen Sie doch nach Südtirol: 40 Jahre gelebte Inklusion, gelebte Autonomie. Dort kann man sehen, was gelingen kann.
Das zweite Thema, das ich mitgebracht habe, ist das vom Herrn Bundeskanzler sehr geschätzte Ziffernnotenthema. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler – leider ist er nicht im Raum –, wenn Sie glauben, mit der Wiedereinführung der Ziffernnoten (Abg. Rauch: Gott sei Dank!) die Probleme und die Herausforderungen im Schulsystem lösen zu können, dann ist das wirklich zu kurz gegriffen. Ich darf daran erinnern, dass Hunderte Pädagoginnen und Pädagogen die alternative Leistungsbeurteilung in langwieriger, ausführlicher Arbeit in 2 000 Schulversuchen entwickelt haben, ganz klare Kompetenzbeschreibungen entwickelt haben, Portfolios entwickelt haben, die viel, viel mehr Aussagekraft haben als jedwede Ziffernnote, und die den Pädagoginnen und Pädagogen und den Eltern auch mitgeben, wo die besonderen Stärken ihrer Kinder, aber auch die besonderen Bedürfnisse liegen, sodass sie gleich gezielt ansetzen können. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der Liste Pilz.)
Auf Basis dieser langjährigen Erfahrungen in den Tausenden Schulversuchen haben wir, liebe ÖVP – und viele, die damals dabei waren, sind noch hier –, im Juni 2016 beschlossen, die alternative Leistungsbeurteilung in das Regelschulwesen zu bringen und die Schulpartner darüber entscheiden zu lassen. (Zwischenruf des Abg. Rauch.) Wir haben gesagt: Liebe Pädagoginnen und Pädagogen, liebe Eltern, entscheidet, welche Art der Leistungsbeurteilung ihr für eure Kinder in der Volksschule haben wollt!
Sehr geehrter Herr Bundesminister Faßmann, ich habe mit Freude die heutige Presseaussendung gelesen. Sie betonen, dass Sie die Autonomie der Schulen stärken und ausbauen wollen. – Lassen wir den Schulen die Autonomie! Sie sollen entscheiden, ob sie alternative Leistungsbeurteilungen oder Ziffernnoten wollen. (Beifall bei SPÖ und NEOS.) Deshalb habe ich auch einen Antrag mitgebracht, den ich jetzt einbringe.
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag. Dr.in Sonja Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Wiedereinführung von Ziffernnoten in der Volksschule“
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die im Schulrechtspaket 2016 enthaltene Möglichkeit am Schulstandort autonom über eine alternative Leistungsbeurteilung in der Volksschule zu entscheiden, fortzusetzen und weiterzuentwickeln.“
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Zum Schluss appelliere ich an den Wissenschafter in Ihnen, Herr Bundesminister Faßmann: Verlassen Sie bitte den Boden der wissenschaftlichen Integrität nicht! Machen Sie bitte Politik auf Basis von Fakten und bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen und Grundlagen, und bitte schüren Sie nicht Ängste von Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen, indem Sie populistische Ansagen machen! Ich kenne Sie schon lange, wir kennen einander gut. Ich vertraue darauf, dass Sie die Bildungspolitik sehr faktenbasiert, sehr wissenschaftlich orientiert weitergestalten werden, und ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)
22.12
Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr.in Sonja Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen betreffend Wiedereinführung von Ziffernnoten in der Volksschule
eingebracht im Zuge der Debatte zur Regierungserklärung
Die alternative Leistungsbeurteilung in ihrer heutigen ausdifferenzierten Form ist das Ergebnis jahrelanger pädagogischer Entwicklungsarbeit. In rund 2.000 Schulversuchen an Volksschulen wurden Kompetenzbeschreibungen eingesetzt, die nach Meinung pädagogischer ExpertInnen, Eltern- und LehrerInnenvertreterInnen valide Aussagen über die Talente und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler treffen. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen und Rückmeldungen von ExpertInnen und Betroffenen wurde die alternative Leistungsbeurteilung bis einschließlich zur 3. Klasse der Volksschule und der Sonderschule als Teil eines umfassenden Informationssystems im Schulrechtspaket, das im Juni 2016 als erster Teil der Bildungsreform durch den Nationalrat beschlossen wurde, verankert.
In Bewertungsgesprächen werden die Eltern oder Erziehungsberechtigten über den Lern- und Entwicklungsstand, über Lernfortschritte und Leistungsstärken sowie Begabungen ihres Kindes informiert. Darüber hinaus ergeht jeweils am Ende des Wintersemesters und am Ende des Unterrichtsjahres eine schriftliche Semester- bzw. Jahresinformation, die das Zeugnis mit Ziffernbeurteilungen ersetzt. Die Entscheidung darüber, ob anstelle des Notensystems eine Beratung und Information der Eltern über die Leistungs- und Entwicklungssituation des Kindes stattfindet, wird im Rahmen der Schulautonomie am Standort festgelegt.
Im Regierungsprogramm ist nunmehr vorgesehen, diese bewährte Form der Leistungsbeurteilung rückgängig zu machen und wieder flächendeckend zur alten, verpflichtenden Ziffernbenotung zurückzukehren. Bereits nach Bekanntwerden des Vorhabens von ÖVP und FPÖ hat dies empörte Reaktionen von Eltern, SchülerInnen und LehrervertreterInnen hervorgerufen und „alle Alarmglocken schrillen lassen“. Diese Entscheidung wird über die Köpfe von SchülerInnen und Eltern hinweg getroffen und als „Retro-Pädagogik“ betrachtet.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
“Die Bundesregierung wird aufgefordert, die im Schulrechtspaket 2016 enthaltene Möglichkeit am Schulstandort autonom über eine alternative Leistungsbeurteilung in der Volksschule zu entscheiden, fortzusetzen und weiterzuentwickeln.“
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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht daher in Verhandlung.
Als Nächster erteile ich Frau Nationalrätin Claudia Plakolm das Wort. – Bitte, Frau Nationalrätin.