Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll33. Sitzung, 29. Juni 2018 / Seite 66

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Aber jetzt zum Initiativantrag: Dieser Initiativantrag stellt einen Systembruch dar, er ist nämlich ein massiver Angriff auf die Sozialpartnerschaft. Jetzt kann man die Sozialpart­nerschaft bei uns im Lande kritisieren, zum Teil, würde ich sagen, zu Recht, zum Teil zu Unrecht. (Abg. Rosenkranz: Aber nicht zu viel, sonst verliert man die Pension!) Ich möchte schon in Erinnerung rufen, dass die Sozialpartnerschaft – hören Sie mir zu, Herr Kollege Rosenkranz (Abg. Rosenkranz: Wie bitte?) – einer der wesentlichen Grundpfeiler der Wohlstandsentwicklung und der Entstehung des Wohlfahrtsstaates in der Zweiten Republik gewesen ist. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Hafenecker: Da geht es um Ihren Wohlstand, um Ihren persönlichen Wohlstand!)

Es gibt viele politikwissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Länder mit korporatis­tischen Systemen in Bezug auf die Wohlstandsentwicklung deutlich besser gefahren sind als Staaten, die keine korporatistischen Systeme haben. (Abg. Gudenus: Das ist schon längst überholt! Das ist nicht mehr zeitgemäß!)

Dieser Initiativantrag ist ein Antrag, der zu einer Win-lose-Situation führt, und wenn wir Win-win-Situationen haben wollen, dann würde ich weiterhin der Auffassung sein, dass der Ausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Konsensweg erfolgen muss, auch und gerade in Fragen der Entwicklungen im Bereich Arbeitszeit. Nur so­zialpartnerschaftliche Lösungen, die im Konsensweg gefunden werden, können zu ei­ner Win-win-Situation führen. Bleiben wir dabei, verlassen wir diesen Pfad der Entwick­lung, der in den letzten Jahrzehnten so erfolgreich gewesen ist, nicht!

Nun komme ich zu einigen Tatsachen, die uns Arbeitsmediziner immer wieder mit zu bedenken und mit auf den Weg geben, wenn es um den 12-Stunden-Tag und um die 60-Stunden-Woche geht.

Erster Punkt: Bereits nach dem zweiten 12-Stunden-Tag würde es für eine vollständi-
ge Erholung drei Tage brauchen. Im Extremfall sind jedoch 13 aufeinanderfolgende
60-Stunden-Wochen erlaubt – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!

Zweiter Punkt: Ab der 7. Stunde steigt das Unfallrisiko erheblich an – Sie wollen 12 Stunden zulassen! –, und bereits ab 6 bis 8 Stunden tritt ein erheblicher Leistungs­einbruch ein. Das heißt sozusagen, dass die Produktivität, der geleistete Output pro Ar­beitsstunde sinkt. Wenn die Produktivität nach 6 bis 8 Stunden bereits sinkt, dann soll­ten die Menschen nicht noch mehr arbeiten müssen – das ist kontraproduktiv!

Wir liegen in Europa ohnehin schon an der Spitze, was die geleistete Arbeitszeit an­langt. Wir gehören zu den Top Drei, gemeinsam mit Griechenland und dem Vereinigten Königreich. Es geht daher darum, die Erkenntnis zu nutzen, dass Länder mit niedrige­rer durchschnittlicherer Arbeitszeit eine höhere Produktivität erreichen; dazu gehören zum Beispiel Dänemark, Niederlande, Schweden. Ein vernünftiger Vorschlag zu einer zeitgemäßen Regelung der Arbeitszeit muss daher mit einer Verkürzung der Arbeits­zeit beginnen. (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Noch etwas im Zusammenhang mit der Verkürzung der Arbeitszeit: Seit den 1980er-Jahren wurde die Arbeitszeit in Österreich nicht mehr gesenkt, obwohl die Produktivität gestiegen ist. Wir sind in Österreich reicher geworden, und diesen Reichtum müssen wir nutzen, um kürzere Arbeitszeiten durchzusetzen. Wir können uns das leisten. Der Wirtschaftssoziologe Jörg Flecker hat in diesem Zusammenhang von Zeitwohlstand gesprochen. Nutzen wir diesen Zeitwohlstand, arbeiten wir doch weniger! Es kann doch nicht sein, dass die geplante Flexibilisierung etwas ist, was wir wollen. Es führt – und es ist auch der Wunsch der Bevölkerung, weniger zu arbeiten – in eine völlig fal­sche Richtung.

Wenn wir in der Gesellschaft davon überzeugt sind, dass uns Gesundheit etwas wert ist, wenn Unternehmen wollen, dass Menschen in ihren Betrieben arbeiten, die nicht


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