Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Dr. Peter Pilz, Alma Zadić, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend „Die Achse der Mutwilligen“ (1182/J)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gelangen nun zur dringlichen Behandlung der schriftlichen Anfrage 1182/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Seit wenigen Tagen führt Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Zwei Mal - 1998 und 2006 - hat Österreich diesen Vorsitz geführt, um die Einigung Europas voranzutreiben. Bei ihrem dritten Vorsitz steht die österreichische Bundesregierung zum ersten Mal auf der anderen Seite.

Die politische Wende, die die neue Bundesregierung in Österreich vollzieht, hat zwei Kerne. Der türkise Kern beherrscht die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Mit Abschaffung von Gewinnsteuern, 12 Stundentag und Angriff auf die Sozialversicherung bestimmt die ÖVP die neoliberale Linie. Das war keine Überraschung.

Der blaue Kern bestimmt die Linie der Regierung in der EU. Unter Kurz und Strache verlässt Österreich Schritt für Schritt die traditionelle Allianz der westeuropäischen Demokratien. Schon im September 2016 plädierte Strache für den Beitritt Österreichs in die Visegrad-Gruppe. Heute scheint es so weit. Das überrascht weit über Europa hinaus.

München – Wien – Budapest: die Achse der Mutwilligen

Für seine neue Politik braucht Kanzler Kurz neue Verbündete. Er findet sie in der euro­päischen Rechten. "Wer auf Orbán und Salvini herabschaut, zerstört die EU."1 Das sagt Kurz. „Die, mit denen wir zusammenarbeiten wollen, müssen, die heißen zum Bei­spiel: Heinz Christian Strache, Sebastian Kurz, Matteo Salvini und auch Victor Orban."2 Das sagt Jörg Meuthen, der Vorsitzende der AfD.

Im Verbund der neuen Rechten findet der italienische Innenminister Matteo Salvini die klarsten Worte: „Wir brauchen ein großes Aufräumen, Straße für Straße, Platz für Platz, Nachbarschaft für Nachbarschaft.“3

Das Projekt der europäischen Einigung konnte sich mit „Paris-Berlin“ bis heute auf eine starke Achse verlassen. Die rechte Wende baut auf eine neue Achse: „München – Wien – Budapest“.

Die Achse „Paris – Berlin“ setzt weiterhin auf gemeinsame europäische Lösungen. Die Achse „München – Wien – Budapest“ setzt auf nationale Alleingänge. Sie nimmt mutwillig die Beschädigung der EU in Kauf. Sie ist die Achse der Mutwilligen.

Polen und Ungarn sind die Pioniere des neuen Blocks in Osteuropa. Sie finanzieren bis zu 20 Prozent ihrer nationalen Budgets aus Zuwendungen der EU. Im Gegenzug verweigern sie jede Solidarität mit Staaten wie Österreich, die nicht nur 2015 ge­mein­sam mit Deutschland große Beiträge zur Lösung der Flüchtlingskrise geleistet haben. Sie sind die Trittbrettfahrer Europas. Ihre wichtigste Plattform ist „Visegrad“.

Im Zentrum der Renationalisierung steht die Flüchtlingspolitik. Ihr Rezept klingt einfach. Es besteht im Kern aus vier Punkten:

1.         Lager in Nordafrika

2.         Hilfe vor Ort

3.         undurchlässige europäische Außengrenzen

4.         Abschreckung durch Abschiebungen und Kürzung der Leistungen für Flüchtlinge, die es schon nach Europa geschafft haben.

Lager in Nordafrika sind ebenso unrealistisch wie eine hermetisch abgedichtete EU. Aber Hilfe vor Ort, das geht – wenn man will. Nur: Das World Food Programm WFP, von dem die Versorgung Hunderttausender Flüchtlinge mit Lebensmitteln abhängt, wird von österreichischen Regierungen seit Jahren im Stich gelassen. 2018 liegt Öster­reich mit 603.865 USD auf Platz 43 der Spenderliste – hinter Lesotho, Luxemburg und Island. Die Schweiz zeigt mit 55 Millionen USD, wie auch ein kleines Land wirksam helfen kann.

Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat Österreich für 2018 ganze 283.754 USD ver­sprochen. Die Schweiz beteiligt sich mit knapp 30 Millionen.

Statt der Flüchtlingshilfe finanziert Kanzler Kurz 2018 sich selbst – mit einem „Sonder­budget“ von 35,5 Millionen Euro. Für jeden Euro, den Kurz in Hilfe vor Ort investiert, in­vestiert er 30 Euro in sich selbst.

Und bei den Abschiebungen zeigt die Bundesregierung, wie man alles falsch macht. Ehemalige Flüchtlinge, die sich als Schlüsselarbeitskräfte bewährt haben, werden abgeschoben – und islamistische Hassprediger und Erdogan-Spitzel dürfen bleiben.

Der Fehlstart

„ ,Ich danke dir für deinen Mut und dass du hier für neue Bewegung sorgst‘, wendet sich Söder dann auch noch an Kurz persönlich.“4 Das berichtete die Presse am 20. Juni 2018 vom Besuch des bayrischen Ministerpräsidenten bei Kanzler Kurz in Linz. Strache und Kickl trafen zur gleichen Zeit den italienischen Innenminister Matteo Salvini in Rom.

Kurz machte aus seiner Unterstützung für die Grenzschließungspläne der CSU kein Hehl. Er verstärkte die Position der CSU: "Das Weiterwinken nach Mitteleuropa muss beendet werden!"5.

Am 20. Juni war der Putsch der CSU gegen die deutsche Bundeskanzlerin in vollem Gange. Innenminister Seehofer verfolgte mit der Schließung der bayrischen Grenze für Flüchtlinge aus Österreich ein offenes Ziel. Der Sturz von Angela Merkel war offen­sichtlich miteinkalkuliert.

In Linz war klar: Die CSU putscht gegen die deutsche Kanzlerin. Aber warum machte Kanzler Kurz da mit?

Österreich wäre das Hauptopfer der Schließung der bayrischen Südgrenze für Flüchtlinge geworden. Kanzler Kurz nahm den Schaden für Österreich in Kauf. Wa­rum? War ihm eine Führungsrolle beim Sturz der deutschen Kanzlerin wichtiger als das Herzstück seiner Innenpolitik, die eigene Flüchtlingsabwehr?

Mit seiner Beteiligung an der Seehofer-Aktion hat Kanzler Kurz der österreichischen Ratspräsidentschaft einen Fehlstart beschert. Statt die neue Führungsrolle für die Stärkung Europa zu nützen hat sich Kanzler Kurz am CSU-Putsch beteiligt.

Damit hat Kanzler Kurz österreichischen und europäischen Interessen geschadet.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundeskanzler folgende

Anfrage

Asyl und Migration Österreich/Deutschland

1.         Wie bereitet sich Österreich auf mögliche Rückweisungen von Asyl­wer­bern an der österreichisch-deutschen Grenze vor?

2.         Welche konkreten Ziele verfolgen Sie in den Verhandlungen mit Deutsch­land nach der dortigen Einigung zur Rückweisungspolitik?

3.         Gab es bereits Konsultationen zwischen Österreich und Deutschland im Vorfeld der Einigung von CSU und CDU auf die Rückweisung von Asyl­suchenden an der Grenze oder die Unterbringung in Transitzentren entlang der Grenze?

a.         Wenn ja, zwischen welchen konkreten Vertreterinnen und Vertretern und auf welchen Ebenen?

4.         Haben Sie bei Ihrem Treffen mit Markus Söder am 20. Juni in Linz vereinbart, die CSU mit ihren Plänen zur „Flüchtlingsabwehr“ gegen die deutsche Bundeskanzlerin zu unterstützen?

5.         Warum unterstützen Sie die Initiative der CSU, möglichst viele Flücht­linge nach Österreich zurückzuschicken?

6.         Werden durch die deutschen Maßnahmen mehr oder weniger Flücht­linge in Österreich bleiben?

7.         Wie viele Flüchtlinge sind 2018 und wie viele sind 2017 über die öster­reichische Grenze nach Deutschland gekommen?

8.         Wie viele davon (Frage 7) sind Asylwerber, für deren Asylverfahren an­dere Staaten als Deutschland zuständig sind?

9.         Wie viele davon (Frage 7) sind Asylwerber, für deren Asylverfahren Öster­reich zuständig ist?

10.       Wie viele Asylwerber sind 2017 und wie viele sind 2018 aus Deutsch­land wieder nach Österreich zurückgeschickt worden?

Asyl und Migration - Grenzen

11.       Wie sollen die angekündigten Maßnahmen zum Schutz der Südgrenze Österreichs konkret aussehen?

a.         Gab es Absprachen zwischen Ihnen und Bundesminister Kickl zur Grenzschutzübung „Puma“?

b.         Haben Sie oder Ihr Kabinett im Vorfeld mit Seehofer oder anderen Deutschen Regierungsvertretern betreffend eine mögliche Schließung der österreichischen Südgrenze Kon­takt gehabt?

12.       Wie viele Flüchtlinge sind 2018 an der Grenze zu Slowenien aufge­griffen worden?

13.       Wie viele Flüchtlinge sind 2018 an der Grenze zu Ungarn aufgegriffen worden?

14.       Was kostet der jährliche Grenzschutz gegen illegale Übertritte an der österreichischen Ost- und Südgrenze?

15.       Können Sie ausschließen, dass es in der Zeit des Sommerreiseverkehrs zu Grenzkontrollen an der österreichischen Südgrenze kommt?

16.       Können Sie garantieren, dass es durch diese Grenzkontrollen zu keinen Massenstaus kommt?

17.       Welche Belastungen für die Länder an den EU-Außengrenzen, wo laut aktuellen Dublin-Regeln die Asylanträge gestellt werden sollten, sind zu erwarten?

a.         Welche konkreten Maßnahmen sind bereits geplant, um die Länder an den EU-Außengrenzen zu entlasten?

b.         Welchen Beitrag möchten Sie leisten, um vor allem die Visegrad Staaten dazu zu bringen, die Länder zu unter­stützen, die durch ihre Lage an der EU-Außengrenze die meisten Geflüchteten in den letzten Jahren aufgenommen haben?

Asyl und Migration – EU Gipfel

18.       In welchen nordafrikanischen Staaten sollen die Anhaltelager für Flücht­linge errichtet werden?

19.       Welches Rechtssystem soll in diesen Migrationszentren angewandt wer­den?

20.       Wie soll die Einhaltung der Menschenrechte sichergestellt werden?

21.       Welche Staaten haben bisher abgelehnt, derartige Lager zu errichten?

22.       Welche Staaten haben diesbezüglich zugesagt?

23.       Welche Maßnahmen werden Sie im Rahmen des Ratsvorsitzes ergrei­fen, um eine Einigung zum einheitlichen europäischen Asylrecht herbei­zuführen?

24.       Bekennen Sie sich im Gegensatz zum Innenminister zum humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten?

25.       Wenn ja, wie werden Sie dann durchsetzen, dass in den Anhaltelagern außerhalb der EU Asylanträge gestellt werden können?

26.       Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu der 2015 getätigten Aus­sage des damaligen Generalsekretärs der FPÖ, Herbert Kickl, der in einer Aussendung die Europäische Menschenrechtskonvention kriti­sierte: Diese schaffe ein „Einfallstor für illegale Masseneinwanderung“?

27.       Der damalige ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter erwiderte dem damaligen Abgeordneten Kickl 2015, wer die Europäische Menschen­rechtskonvention in Frage stelle, bewege sich außerhalb des Verfas­sungs­bogens und sei ein „Totengräber des Abendlandes“. Werden Sie von Ihrem Innenminister eine Klarstellung fordern, dass Österreich wei­ter­hin in vollem Umfang zur EMRK steht?

Asyl und Migration – Hilfe vor Ort“

28.       Welchen konkreten Beitrag leistet Österreich derzeit zur Fluchtursachen­bekämpfung und zur „Hilfe vor Ort,“ die oftmals von der Regierung in den letzten Wochen versprochen wurde?

a.         Ist geplant, diese angesichts des Migrationsdrucks und Migrationspotentials aus Afrika zu erhöhen?

b.         Wenn ja, um wie viel?

c.         Welche konkreten Pläne haben Sie für die Reform des europäischen Handels, damit dieser den Menschen in Afrika nicht mehr ihre Lebensgrundlage entzieht?

29.       Für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wird für 2018 nur eine Zusage („pledge“) von 283.754 € ausgewiesen. Wie hoch sind die Zuwen­dun­gen, die das UNHCR 2017 von Österreich erhalten hat und welcher Be­trag wurde 2018 bereits geleistet?

30.       Schon als Minister mussten Sie vom Nationalrat dazu gezwungen wer­den, dem WFP 5 Millionen € zur Verfügung zu stellen. Wie hoch sind die Gelder, die dem WFP 2018 überwiesen wurden?

31.       Sind Sie bereit, dem WFP mit der Schweiz vergleichbare Mittel zur Verfügung zu stellen?

32.       Die Mittel für den Auslandskatastrophenfonds AKF sind im Doppel­bud­get 2018/19 von 20 Millionen auf 15 Millionen Euro gekürzt worden. Warum wird diese „Hilfe vor Ort“ um 25 Prozent gekürzt? Wie verträgt sich diese Kürzung mit Ihrer Behauptung, es sei mehr “Hilfe vor Ort” notwendig und geplant?

33.       Wie will man sicherstellen, dass Asylsuchende nicht über einen langen Zeitraum hinweg in Migrationszentren verbleiben, ohne die Perspektiven zu haben, entweder in der EU Asyl zu bekommen, in anderen Staaten auf freiwilliger Basis aufgenommen zu werden oder in ihr Heimatland zurückkehren zu können?

Hauptfrage „Flüchtlingsabwehr“?

34.       In ganz Europa gehen die Flüchtlingszahlen kontinuierlich zurück. Das Problem verlagert sich immer mehr von „Flucht“ zu „Integration“. Trotz­dem investiert die Bundesregierung in Flüchtlingsabwehr und kürzt Mittel für Integration. Im Zentrum gelungener Integration steht das Erlernen der deutschen Sprache. Warum haben Sie zugelassen, dass die Mittel für Deutschkurse gekürzt werden?

35.       Gerade durch das Engagement vieler freiwilliger Helfer und Helferinnen gelingt Integration durch Bildung und Arbeit immer besser. Warum las­sen Sie zu, dass gut integrierte Flüchtlinge, die perfekt Deutsch sprechen, sich in Ausbildung oder in einem Arbeitsverhältnis befinden und in Öster­reich gebraucht werden, abgeschoben werden?

Der Fehlstart

36.       Warum haben Sie bei der österreichisch-bayrischen Regierungssitzung in Linz die bayrische Linie in der Asylpolitik unterstützt?

37.       Warum haben Sie damit im innerdeutschen Asylstreit Partei ergriffen?

38.       Warum nahmen Sie in Linz in Kauf, dass Österreich durch die Rück­weisung von Flüchtlingen an der österreichisch-bayrischen Grenze Nach­teile entstehen?

39.       Warum nahmen Sie durch Ihre Parteinahme im innerdeutschen Asyl­streit in Kauf, dass die österreichische Ratspräsidentschaft beschädigt würde?

40.       Seit der antieuropäischen Wende der Bundesregierung werden Sie erstmals in angesehenen internationalen Medien wie der Financial Times  als „Austria´s far-right chancellor“ – Kanzler der extremen Rech­ten bezeichnet. Der FT-Journalist Edward Luce hat dem ORF berichtet, dass er deshalb von der österreichischen Botschaft in Washington „kon­taktiert“ worden sei.  Ist es Aufgabe des Außenministeriums, die nega­tive internationale Berichterstattung über Sie durch direkte Interven­tionen zu korrigieren?

41.       Wie wollen Sie den Schaden, den Sie durch Ihre Beteiligung am CSU-Putsch angerichtet haben, wiedergutmachen?

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1 https://derstandard.at/2000081642343/Kanzler-Kurz-Wer-auf-Orban-und-Salvini-herabschaut-zerstoert-die-EU .

2 https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5456481/Parteitag-in-Augsburg_Kurz-bekommt-Lob-von-AfDChef_Mitstreiter .

3 “We need a mass cleansing, street by street, piazza by piazza, neighbourhood by neighbourhood,” https://www.independent.co.uk/news/world/europe/italy-matteo-salvini-video-immigration-mass-cleansing-roma-travellers-far-right-league-party-a8409506.html .

4 https://diepresse.com/home/ausland/eu/5450553/Achse-WienMuenchen-via-Linz-Hauptbahnhof .

5 https://derstandard.at/2000081895460/Kurz-und-Soeder-machen-im-Asylstreit-auf-enge-Spezln-statt .

6 http://orf.at/stories/2444836/ .

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich erteile Abgeordnetem Pilz als erstem Frage­steller zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Geschäftsordnung 20 Mi­nu­ten nicht überschreiten darf, das Wort. – Bitte.