10.30

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! (Ruf: Prä­sentieren Sie den Plan A?) Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank, auf der Galerie und vor den Fernsehschirmen! Das, was wir heute erleben, ist, dass die Bundesregierung ein Arbeitszeitgesetz beschließen möchte, das die massivste Verän­derung beziehungsweise Verschlechterung seit 30 Jahren in diesem Bereich bringt. Es ist dies ein Gesetz, das nicht nur ungerecht, sondern auch völlig unausgegoren und durch und durch unvernünftig ist! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Wir erleben eine Bundesregierung, einen Bundeskanzler Kurz und einen Vizekanzler Strache, die uns einreden wollen, dass all das halb so wild ist und dass sich ohnehin wenig ändert. Wenn sie besonders lustig drauf sind, dann erklären sie uns auch noch, dass das grandiose Vorteile für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Land bringt.

Wenn wir uns ein bisschen umschauen, dann sehen wir allerdings Folgendes: Die Ein­zigen, die in diesen Jubelchor einstimmen, sind die Wirtschaftskammer und die Indus­triellenvereinigung. Die lassen sich das viel Geld kosten. Sie schalten Inserate, veröf­fentlichen riesige Werbeplakate, machen dümmliche Filme, um all das zu bewerben, und sie jubeln, dass jetzt endlich das geliefert wird, was sie bei dieser Bundesregierung bestellt haben.

Meine Damen und Herren! Wenn es keine Änderung gibt, wie erklären Sie sich dann das eigentlich? Wie erklären Sie den Betroffenen, dass dieser Jubel so einseitig aus­fällt, und wie erklären Sie, dass es keinen einzigen Arbeitnehmervertreter gibt, der der Meinung ist, dass dieses Gesetz brauchbar ist? (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeord­neten der Liste Pilz.)

Ich habe keinen einzigen Betroffenen getroffen, der darin auch nur irgendeine Art von Verbesserung erkennen kann. Allerdings diskutiert man jede Menge Verschlechterun­gen. Wenn Sie es mir nicht glauben, sehr geehrte Damen und Herren von der ÖVP, dann hören Sie auf Ihre eigenen Leute, zum Beispiel auf Herrn Zangerl, den Chef des ÖAAB in Tirol. (Ironische Heiterkeit bei der ÖVP.) – Sie lachen über Ihre eigenen Par­teifreunde! (Abg. Wöginger: Er ist nicht ÖAAB-Chef!) Das ist eine tolle Solidarität! Bra­vo! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Der Arbeiterkammerpräsident Tirols hält Ihnen vor: „Die türkisen Putschisten sitzen nun an der Spitze und bezahlen mit Zinsen an die Großsponsoren und die Industriellenver­einigung zurück, was die ihnen im Wahlkampf gespendet haben. Das gab es früher in diesem Ausmaß nicht, das ist demokratiegefährdend.“ – Das sagt Herr Zangerl. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

Das ist keine einzelne Stimme. Wenn man sich die Zitate der letzten Wochen von Leu­ten anschaut, die sich mit dem Gesetz auseinandergesetzt haben, dann sieht man, dass auch die Stimmung bei der FPÖ bemerkenswert gekippt ist. (Abg. Schimanek: Oh mein Gott!) Es war der Tiroler FPÖ-Arbeitnehmervertreter, der aus Ihrer Partei aus­getreten ist und gesagt hat, dass es sich hier um Arbeiterverräter handelt, und der ge­sagt hat, dass Sie dafür nicht gewählt worden sind. – Dem kann man kaum etwas hin­zufügen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.) Das, was Sie tun, hat er einen Angriff auf die Arbeitnehmer in unserem Land genannt.

Schauen Sie sich Herrn Haimbuchner, den heimlichen Parteichef der FPÖ, an! (Heiter­keit und Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ich finde das großartig! Jahrelang hat Herr Kickl, der Reimeschmied, von der sozialen Heimatpartei FPÖ gesprochen. Sogar Herrn Haim­buchner ist das aber zu dreist geworden, und er hat das Wort sozial aus den Plakaten streichen lassen, und das aus gutem Grund – weil er offenbar nicht mehr bereit ist, die Leute für dumm zu verkaufen, so wie Sie das tun! (Beifall bei der SPÖ.)

Das Interessante ist, dass das schlechte Gewissen, das Sie haben, richtig durch die Gegend trieft! Sie kommen permanent mit Ablenkungsmanövern daher. Permanent werden irgendwelche Routen geschlossen.

Mein Lieblingsbeispiel ist übrigens die berittene Polizei: 15 Prozent der Polizeiplanstel­len sind nicht besetzt, und der Innenminister will – zum Gaudium der Öffentlichkeit – ei­ne berittene Polizei erfinden. (Abg. Rädler: Das ist sinnvoll!) Er versucht, zwölf Pferde mit schwarzbraunem Fell zu beschaffen, verladefromm und kastriert, ist aber nicht ein­mal in der Lage, zwölf ausreichend große Pferde zu organisieren! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden nicht nur als Arbeiterverräter in die Geschichte eingehen, sondern auch als die Erfinder der Ponypolizei. Das dürfen Sie dann mit sich ausmachen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie sich anschauen, wie die Diskussion läuft, können Sie feststellen, dass die Leute genau verstehen, was Sie da tun. Die Bischofskonferenz, der Katholische Fami­lienverband, unzählige Frauenorganisationen, ÖVP- und FPÖ-Arbeitnehmer haben sich bei uns beteiligt, etwa auch Vertreter der freiwilligen Feuerwehren in einem Begutach­tungsverfahren. 200 verschiedene Stellungnahmen sind hier eingegangen.

Letztes Wochenende waren 100 000 Demonstranten auf der Straße. Wir hatten unzäh­lige Betriebsversammlungen. Was aber tun Sie jetzt? – Sie versetzen den Leuten ei­nen Schlag ins Gesicht und sagen: Uns ist all das egal! Sie fahren da drüber und wol­len das schon ab dem 1. September haben. – Ich sage Ihnen aber: Wir werden da Wi­derstand leisten, und nicht nur heute, sondern das wird weitergehen! Sie werden das Thema nicht mehr loswerden, weil wir eine klare Meinung dazu haben! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wollen nicht, dass die Unternehmen Rekordgewinne haben. Es ist gut, wenn es so ist, aber wenn dann der Druck auf die Arbeitnehmer erhöht wird, dass die Dividenden um 35 Prozent steigen und Sie den Menschen sagen: Ihr müsst noch mehr liefern, ihr müsst noch besser funktionieren!, dann wollen wir das nicht, weil das nicht gerecht ist. Wir wollen auch nicht, dass Arbeit und Familie nicht mehr vereinbar sind. Das ist es nämlich, was Sie hier produzieren. Sie sprechen von Freiwilligkeit. Haben Sie den Men­schen aber auch gesagt, dass Ihrer Freiwilligkeit, nach welcher man ohne Angabe von Gründen ablehnen kann, auch die Kündigungsmöglichkeit des Unternehmens ohne Angabe von Gründen gegenübersteht? – Das ist lächerlich! Das nimmt Ihnen so nie­mand ab!

Ich will auch nicht, dass die Verfügbarkeit der Menschen für das Arbeitsleben eine to­tale sein muss. Das, was Sie hier tun, ist eine Arbeitszeitverlängerung. Herr Wöginger hat Herrn Taschner zitiert. Fragen Sie den einmal, wie diese Systeme entwickelbar und ausbeutbar sind! Die 48-Stunden-Woche kann zur Norm werden, die 60-Stunden-Wo­che in verschiedenen Einzelfällen. (Abgeordnete von ÖVP und FPÖ halten türkis-blau gerahmte Tafeln mit der Aufschrift „Freiwilligkeit garantiert!“, „Es bleibt dabei!“, „8 Stun­den am Tag“ und „40 Stunden in der Woche“ in die Höhe.)

Sie nehmen den Leuten die Überstundenzuschläge weg! Sie wissen, wie Betriebsver­einbarungen laufen und dass starke Betriebsräte Zuschläge verhandelt haben, die weit über das hinausgehen, was Sie jetzt vorschlagen! (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Herr Haubner! Das ist die Wahrheit, und Sie wissen es. 100 Prozent betragen die Zuschläge zum Beispiel in der Metallindustrie. (Beifall bei der SPÖ.)

Sie sagen: Freiwilligkeit garantiert! – Wissen Sie, was ehrlich gewesen wäre? – Ehrlich wäre gewesen, wenn Sie auf Ihre Taferln geschrieben hätten: Panierte Eislutscher für alle! Dann hätte ich Sie ernst genommen, aber nicht mit diesen Papierln! (Anhaltende Zwischenrufe. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.)

Sie machen die Ungerechtigkeit zum Programm, meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Sie haben das bei der Grunderwerbsteuer getan, wo kleine Wohnungskäufer ‑ ‑

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka (das Glockenzeichen gebend): Entschuldigung! Jeder hat das jetzt gesehen, könnten Sie jetzt bitte die Taferln wieder wegtun?!

Abgeordneter Mag. Christian Kern (fortsetzend): Sie machen die Ungerechtigkeit zum Programm. Sie haben das gestern auch wieder bewiesen, als Sie die Grunder­werbsteuer für Menschen, die eine kleine Wohnung oder einen Schrebergarten kaufen, bei 3,5 Prozent belassen haben, die großen Immobilieninvestoren aber ausgenommen haben.

Wenn Sie sich fragen, warum diese Politik gemacht wird, darf ich Sie, alle Fernsehzu­schauer, bitten: Schauen Sie einmal im Internet nach, wer den Wahlkampf der ÖVP bezahlt hat! – Es sind genau jene, die jetzt begünstigt werden! Das ist die Politik, die Sie hier abliefern: ausschließlich im Interesse Ihrer Großsponsoren! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Sie die ÖBB vorbringen, darf ich Ihnen Folgendes sagen: Ich bin stolz auf dieses Unternehmen! Ich weiß, was die Leute dort leisten! – Es ist uns allerdings auch nicht entgangen, dass Sie jahrelang erklärt haben: Die Leute dort hackeln nichts, die gehen zu früh in Pension, die kosten zu viel!, dass Sie jetzt aber die ÖBB als Leistungsträger entdecken. Ganz ehrlich: Das braucht man jetzt nicht besonders ernst zu nehmen!

Ich weiß, was die Leute dort leisten, aber ich weiß auch, was sie dafür bekommen, und das verdanken sie einem starken Betriebsrat, der dafür sorgt, dass diese Leistung ho­noriert wird. Das ist ein System, das funktioniert, das Sie aber für den Rest Österreichs nicht haben wollen! (Beifall bei der SPÖ.)

Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und wir lehnen auch ab, dass man versucht, da­ran herumzudoktern, denn dieses Konzept, das Sie da vorlegen, funktioniert so nicht! Strache selbst hat einmal erklärt: Der 12-Stunden-Tag ist eine „asoziale leistungsfeind­liche Idee, da dies für alle Arbeitnehmer Nettolohnverluste bedeuten würde“. (Zwi­schenrufe bei der FPÖ.)

Ja, das stimmt, er hat völlig recht: So, wie Sie das umsetzen, ist das das Ergebnis. Meine einzige Frage ist nur: Warum sind Sie denn da schon wieder umgefallen und machen das mit, was Ihnen die ÖVP hier vorschreibt? (Beifall bei der SPÖ.)

Geschätzte Kollegen von der FPÖ! Das ist mittlerweile all Ihren Funktionären aufgefal­len, das ist Ihren Wählern aufgefallen, und deshalb geben wir Ihnen sozusagen eine letzte Chance zur Läuterung: Wir bringen heute einen Antrag ein, eine Volksabstim­mung über dieses Unrechtsgesetz durchzuführen, das Sie hier einbringen. Wenn Sie es ernst meinen, dann haben Sie den Mumm und stimmen Sie dem Antrag zu! Dann stellen wir uns vor die Wähler und Wählerinnen hin und lassen sie entscheiden, ob sie das in dieser Form wollen!

Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn Sie auch das ignorieren und diese ausgestreckte Hand abweisen, dann wird, das garantiere ich Ihnen, diese Diskussion mit dem heuti­gen Tag trotzdem nicht vorbei sein. Wir und die Österreicher und Österreicherinnen wer­den diese Vorgehensweise so nicht akzeptieren! (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ.)

Ich darf daher den erwähnten Antrag einbringen:

Antrag auf Durchführung einer Volksabstimmung

der Abgeordneten Mag. Christian Kern, Kolleginnen und Kollegen zum Antrag 303/A der Abgeordneten Peter Haubner, Ing. Wolfgang Klinger, Kolleginnen und Kollegen be­treffend „ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der über den Antrag 303/A der Abgeordneten Peter Haubner, Ing. Wolfgang Klinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wer­den zu fassende Gesetzesbeschluss des Nationalrates ist nach Beendigung des Ver­fahrens gemäß Art 42 B-VG, jedoch vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsi­denten, einer Volksabstimmung zu unterziehen.“

*****

Danke. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ. – Abg. Haider: Eine schwache Abschieds­rede!)

10.41

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Antrag auf Durchführung einer Volksabstimmung

§ 84 GOG-NR iVm Art 43 B-VG

der Abgeordneten Mag. Kern, Mag. Schieder, Muchitsch, Kolleginnen und Kollegen

zum Antrag 303/A der Abgeordneten Peter Haubner, Ing. Wolfgang Klinger, Kollegin­nen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Ar­beitsruhegesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der über den Antrag 303/A der Abgeordneten Peter Haubner, Ing. Wolfgang Klinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wer­den zu fassende Gesetzesbeschluss des Nationalrates ist nach Beendigung des Ver­fahrens gemäß Art 42 B-VG, jedoch vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsi­denten, einer Volksabstimmung zu unterziehen.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Klubobmann Rosenkranz. – Bitte.