Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll39. Sitzung, 26. September 2018 / Seite 82

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verunsichert. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns als Bürgerinnen und Bürger nicht zu sehr von den Krisen, die uns derzeit widerfahren, verunsichern lassen.

Der griechische Arzt Hippokrates hat damals die Krise als jenen Moment in einer fie­berhaften Erkrankung bezeichnet, in dem sich entscheidet, ob sich das System stärkt oder der Mensch stirbt. Wenn wir das auf die Gesellschaft übertragen: Nein, wir wer­den nicht sterben. Das heißt aber, das System stärkt sich gerade, und zwar sehr eigen­tümlich und auf den ersten Blick nicht ganz begreifbar.

Wir brauchen diese Stärkung, wir brauchen diese Erneuerung, weil Österreich – auch das merkt man gar nicht so richtig, weil wir mittendrin sind – in einem groben Umbruch ist. Die Zweite Republik ist zu ihrem Ende gekommen, jedenfalls dann, wenn wir sa­gen, das rot-schwarze Machtkartell war wesenskonstituierend, war das primäre, domi­nante Muster. Ich stehe nicht an – das habe ich schon oft gesagt – zu betonen, wir haben diesem rot-schwarzen Machtkartell über Jahrzehnte auch viel zu verdanken.
Ich glaube, es war 1945 aus pragmatischer Sicht nicht das Blödeste. (Heiterkeit der Abg. Rendi-Wagner.)

Natürlich hatte es aber auch negative Abrisskanten und Begleiterscheinungen, die dann zunehmend größer wurden: Korruption, Freunderlwirtschaft, Stillstand und struk­turelle Verkrustung. – Somit hat sich dieses dominante Muster zuletzt selbst überlebt, es ist tot. Das Alte ist tot, das Neue ist noch nicht ganz da. In dieser Phase sind wir, und wir brauchen nun jede Kraft, guten Willens in dieser Erneuerung mitanzupacken.

Wir müssen Österreich neu erfinden, und wir müssen das gemeinsam machen. Wir sind gemeinsam gewählt, also das ist so. Wir brauchen Erneuerung, jeder Abgeordne­te muss da mit ran. Ich behaupte, jeder Abgeordnete hat auch seine politische Lauf­bahn mit Idealismus gestartet, jeder von uns! Es ist so unendlich wichtig, dass wir die­sen Ort in uns, an dem wir mit Idealismus gestartet haben, jeden Tag aufs Neue su­chen und finden. Diesen Ort müssen wir groß machen. Es gibt in jeder Fraktion gute Leute, es gibt überall Idealismus.

Natürlich gibt es auch inhaltliche Auffassungen, die ich jenseitig finde, da werden wir dann in der Auffassung auseinandergehen. Das aber ist Parlamentarismus, und den brauchen wir. Auf diese Positionen, bei denen wir auseinandergehen, werde ich nun halt nicht hingehen, denn das ist mein Abschied. Nie ist die Liebe so groß wie im Abschied – Karlheinz Kopf, wenn ich dich sehe (erheitert); eine Liebeserklärung, nicht wahr! (Allgemeine Heiterkeit und allgemeiner Beifall.)

Ich kann berichten – weil wir hier herinnen auch oft streiten –: Wenn man die Men­schen näher kennt, merkt man, selbst wenn man inhaltlich weit auseinanderliegt – ich schaue auf Herrn Rosenkranz –, dass in jedem etwas Liebenswürdiges steckt, in je­dem von uns, das ist so. (Heiterkeit bei den NEOS.) Wenn man miteinander arbeitet, lernt man das auch kennen.

Insofern sind wir immer wieder auch dazu verpflichtet, gemeinsam innezuhalten und zu fragen: Was ist denn gerade los? Wo stehen wir als Gemeinschaft? – Wir müssen na­türlich erkennen, dass mit der Migration, der Digitalisierung und der Globalisierung die Menschen sehr verunsichert sind. Das treibt sie in die Angst, in die Unsicherheit und manche auch in die dumpfe Bewusstlosigkeit. Das sind keine guten Orte: Angst, Ohn­macht, Bewusstlosigkeit. Ich glaube, wir können andere Orte schaffen. Wir können das. Wir können unsere Herzen befragen, wir können unseren Verstand befragen und wir können in den ehrlichen Austausch gehen.

Wir müssen auch, wenn wir unsere derzeitige Gesellschaft betrachten, erkennen, dass wir natürlich – ob im Arbeitsalltag, in der Wirtschaft, in der Politik oder in anderen Seg­menten – sehr viel Stress, negativem Stress, einer Reizüberflutung und einer Be­schleunigung ausgesetzt sind. Überall blinkt etwas, überall läutet etwas, jeder will et-


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