16.51

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Sehr geehrtes Hohes Haus! Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Ministerinnen! Vor fünf Tagen ist die Begutach­tungsfrist für die drei Sozialversicherungs-Organisationsgesetze zu Ende gegangen. Sie, Frau Ministerin Hartinger-Klein, haben sich in einer Aussendung für die zahlrei­chen – ich glaube, es waren fast 90 – Stellungnahmen zu diesem Gesetz bedankt. Spa­ren Sie sich den Dank und hören Sie endlich auf die Expertinnen und Experten, die zu diesem Gesetzentwurf etwas zu sagen haben, denn diese Bedenken sind ja nicht aus dem Nichts entstanden! (Abg. Deimek: Das mit dem Dank ist immer eine Frage der Höflichkeit! Den könnte man auch von manchen Fraktionen erwarten!)

Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Offensichtlich arbeiten Sie aber nur für die Konzerne in Österreich. Sie setzen bisher alle Forderungen von Industriellenver­einigung und Wirtschaftskammer um (Beifall bei der SPÖ – Abg. Belakowitsch: Was reden Sie da?): Geschenke für Wirtschaft und Konzerne. (Abg. Belakowitsch: Wo le­sen Sie das raus?) Sie müssen ihnen, der Wirtschaft und den Konzernen, offensichtlich viel zurückzahlen. (Abg. Zanger: Hat Ihnen die Rede der Kern geschrieben? – Abg. Belakowitsch: Oder der Fußi?)

Geschenk Nummer eins: mehr Macht für die Wirtschaft. Gerade 28,7 Prozent zahlen die Arbeitgeber in die Gebietskrankenkassen ein. Trotzdem geben Sie den Arbeitge­bern, der Wirtschaft in der ÖGK die Hälfte der Entscheidungsmacht über die Gelder der Beschäftigten. (Abg. Deimek: ... die Finanztricks des Herrn Kern! – Abg. Belako­witsch: Aber lesen können Sie ganz gut!)

Wobei sich jetzt aber die Frage stellt: Wie lange gibt es denn noch eine Selbstverwal­tung? – Bundeskanzler Kurz sagt, das kann man auf orf.at nachlesen: „zumindest so­lange es“ noch „die Selbstverwaltung gibt“. – Das heißt, es ist nicht nur so, dass die Wirtschaft jetzt die halbe Macht in der Selbstverwaltung bekommen hat, sondern of­fensichtlich wird da auch geplant, die Selbstverwaltung abzuschaffen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Belakowitsch: Haben Sie eine Glaskugel?)

Verlierer sind natürlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Abg. Belakowitsch: Nein, die Funktionäre!), denn zusätzlich stopfen Sie den Großkonzernen und Großbe­trieben Geld in den Rachen, indem Sie die AUVA-Beiträge senken. (Abg. Deimek: Aber ganz ehrlich: Wenn die ... der Selbstverwaltung ist, dass ich zehn Monate auf ei­nen Facharzttermin warte und dass ... ihre Medikamente nicht kriegen, dann verzichte ich auf die Selbstverwaltung!) Die Leidtragenden sind jeweils 7 Millionen Menschen in unserem Land. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich komme jetzt zum Geschenk Nummer zwei: Sie treiben die Privatisierung unseres Gesundheitssystems voran. Zusätzliche Privatsanatorien, Freunde von unserem Vize­kanzler werden mit 15 Millionen Euro zusätzlich dotiert und extra evaluiert. (Abg. Bela­kowitsch: Was erzählen Sie da eigentlich? Könnten Sie da Namen nennen? Wer sind die Freunde, von denen Sie da reden?) Die AUVA mit der Ausgliederung in eine Be­triebs-GmbH ist für mich der erste Schritt, auch dort zu privatisieren.

Es gibt natürlich ein klares Motiv: Dort, wo Unsicherheit besteht – und wir kommen zu einer Dreiklassenmedizin –, treiben Sie die Menschen dazu, vermehrt in die private Krankenversicherung zu investieren. Das spült natürlich in Kassen, wie zum Beispiel jene der Uniqa, viel Geld hinein. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass unser Finanz­minister von dort herkommt. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rosenkranz: Das ist un­glaublich! Das ist unglaublich!)

Geschenk Nummer drei: Die Konzerne – natürlich wieder – profitieren in Zukunft auch auf legalem Weg, um zu mehr Geld zu kommen. Die Beitragsprüfung wird in das Fi­nanzministerium eingegliedert – der Rechnungshof sagt auch hierzu, die Gebietskran­kenkassen sind die effizienteren Prüfer –, weil es natürlich wieder darum geht, dass die Arbeitnehmer verlieren sollen: verlieren dahin gehend, dass in Zukunft nicht mehr die Kollektivvertragseinstufungen überprüft werden und es somit passieren kann, dass es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Krankengeld, Wochengeld, Arbeitslosen­geld und eben auch in der Pension zu Verlusten kommt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eines der besten Gesundheitssys­teme der Welt, nämlich ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem. Das ist gut so, und so soll es auch bleiben. Sie jedoch, meine Damen und Herren von der Bundesre­gierung, wollen die Dreiklassenmedizin. (Abg. Belakowitsch: Nein, wir wollen sie eben nicht! Die haben Sie eingeführt!) Sie wollen, dass Gesundheit zum Luxus wird.

Ich fordere Sie auf: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Setzen Sie sich wieder an den Verhandlungstisch und reden Sie mit Expertinnen, Experten und Betroffenen, bevor es zu spät ist und unser Gesundheitssystem durch Ihre Pläne zerstört ist.

Ich möchte auch folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „echte Reform angehen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Regierungsvorlage zum Sozialversiche­rungs-Organisationsgesetz samt der im Kontext stehenden übrigen Regierungsvorla­gen zurückzuziehen und stattdessen eine Regierungsvorlage unter Einbeziehung der Versichertenvertreter (Sozialpartner) zu erarbeiten, die unter anderem auch die Ver­sprechungen der Bundesregierung umsetzt:

gleiche Leistungen für alle Versicherten

echte Selbstverwaltung in allen Trägern

keine Selbstbehalte

mehr Geld für das Gesundheitssystem für Leistungsausbau.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Rädler: Die Rede hat Sekretär Drozda ge­schrieben!)

16.56

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Pamela Rendi-Wagner, MSc, Muchitsch und GenossInnen

betreffend echte Reform angehen

eingebracht im Zuge der Debatte über die Dringliche Anfrage betreffend die Zerstörung unseres gut funktionierenden Gesundheitssystems durch die Kassenzentralisierung

Die legistische Umsetzung des Vorhabens der schwarz-blauen Bundesregierung be­züglich Sozialversicherungsstruktur-Umbau wird von allen Seiten heftig kritisiert. Nicht nur, dass es unter völliger Missachtung der Betroffenen entstanden ist, ist in den Stel­lungnahmen von einem „Spiel mit Zahlen“ über das „Ende der Selbstverwaltung“ bis hin zu „fehlenden Fusionszielen“ und „Verfassungswidrigkeit“ die Rede. Das Vorhaben entwickelt sich zur schlechtest vorbereiteten Zentralisierung der Zweiten Republik.

Nach all dieser begründeten Kritik und nachdem zahlreiche Erfahrungen zeigen, dass übereilte Fusionen zu 70 Prozent scheitern und viel mehr kosten, als sie letztendlich bringen,

stellen die unterzeichneten Abgeordneten daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Regierungsvorlage zum Sozialversiche­rungs-Organisationsgesetz samt der im Kontext stehenden übrigen Regierungsvorla­gen zurückzuziehen und stattdessen eine Regierungsvorlage unter Einbeziehung der Versichertenvertreter (Sozialpartner) zu erarbeiten, die unter anderem auch die Ver­sprechungen der Bundesregierung umsetzt:

• gleiche Leistungen für alle Versicherten

• echte Selbstverwaltung in allen Trägern

• keine Selbstbehalte

• mehr Geld für das Gesundheitssystem für Leistungsausbau.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu einer tatsächlichen Berichtigung ist Frau Abgeordnete Belakowitsch zu Wort ge­meldet. – Bitte.