14.02

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (PILZ): Herr Präsident (in Richtung von Prä­sidentin Bures, die im Begriff ist, den Vorsitz zu übernehmen) oder Frau Präsidentin! Hohes Haus! Frau Ministerin Schramböck, Sie sehen eine Notwendigkeit für die Neu­regelung des Arbeitszeitgesetzes vor dem Hintergrund der Sicherung des Wirtschafts­standortes. Schauen wir uns doch einmal den Industriestandort Österreich an und werfen wir einen Blick auf die empirischen Fakten! (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Seit dem Jahr 2015 steigt in Österreich, in der österreichischen Industrie die Pro­duk­tion doppelt so stark wie jene in der Bundesrepublik Deutschland. Das bedeutet, dass die Rahmenbedingungen für die Industrie in Österreich ausgezeichnet sind. Dafür hät­ten wir eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes in Wirklichkeit nicht gebraucht. Wir hätten auch keine einseitigen Geschenke im Sinne des Großspenders Stefan Pierer, Chef der KTM Industries, gebraucht. Wir brauchen aber auch bei den Gewinnsteuern keine Geschenke an die Industrie; das wird ja die zweite Lieferung dieser Regierung an die Industrie sein.

Nun zu dieser Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes, die ich ja schon bei der Be­schlussfassung sehr scharf kritisiert habe: Alles, was ich damals kritisiert habe, bleibt aufrecht, beginnend beim Angriff auf die moderne Arbeitswelt, die eigentlich eine solche Regelung nicht braucht. Eine moderne Arbeitswelt braucht in Wirklichkeit eine Verkürzung der Arbeitszeit und nicht eine Verlängerung der Arbeitszeit. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Es ist so, dass die Argumente von wissenschaftlicher Seite seit Langem auf dem Tisch liegen. Wir wissen, dass längere Arbeitszeiten das Unfallrisiko steigern. Wir wissen, dass die physische und psychische Belastung bei längerer Arbeitszeit steigt. Wir wis­sen aber auch, dass die Leistungsfähigkeit abnimmt, mitunter, bei schweren Verletzun­gen, sogar dauerhaft.

Aber auch aus ökonomischer Sicht machen längere Arbeitszeiten nicht wirklich Sinn. Sie sind höchst bedenklich, weil sie letztendlich einen Leistungseinbruch bedeuten, der zu einer geringeren Wertschöpfung pro Kopf führt. Wenn wir also uns allen etwas Gutes tun wollen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Unternehmun­gen, dann macht die Verlängerung der Arbeitszeit, die da beschlossen wurde, keinen Sinn.

Es ist ganz im Gegenteil so, dass Länder, die eine niedrigere durchschnittliche Wochen­arbeitszeit haben, auch jene Länder sind, die höhere Produktivitätsgewinne und Zu­wächse aufweisen. In diesem Sinne können wir mit Recht sagen: Auch Österreich gehört zu diesen Ländern mit einer höheren Produktivität, deren Früchte man natürlich verteilen kann: in Form von kürzerer Arbeitszeit, in Form von höheren Löhnen. In diese Richtung muss sich eine moderne Arbeitszeitentwicklung bewegen.

Die Flexibilisierung in Richtung des 12-Stunden-Tages und der 60-Stunden-Woche geht meines Erachtens in die völlig falsche Richtung. Was wir also brauchen, ist nicht der Weg zurück ins 19. Jahrhundert, sondern eine moderne Arbeitszeitregelung mit einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. (Beifall bei der Liste Pilz. Zwi­schenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Was ich aber auch heftig kritisiert habe, ist die Frage der Freiwilligkeit. Wer argu­men­tiert – und das auch noch ins Gesetz schreibt und zu erreichen glaubt –, dass es aufgrund der Freiwilligkeit keine Kündigungen für Menschen, die den 12-Stunden-Tag kurzfristig ablehnen, gibt, ist meines Erachtens reichlich naiv, denn es gibt schlicht und einfach eine Asymmetrie in der Machtverteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeit­gebern. Die Arbeitnehmer sitzen immer am kürzeren Ast. Das ist nichts Neues, das wissen wir seit Langem, und das ändert sich auch dadurch nicht, dass wir die Frei­willigkeit im Gesetz verankern.

Da nützt es auch gar nichts, wenn uns Vizekanzler Strache versichert hat und immer wieder versichert, dass es aufgrund der Freiwilligkeit, wenn sie im Gesetz verankert ist, zu keinen Kündigungen kommen wird. Jüngste Fälle haben ja gezeigt, dass dieses Versprechen ein Bauchfleck gewesen ist. Jetzt argumentieren Sie, Frau Sozial­minis­terin: Ja, aber es sind nur wenige Fälle. Ich aber, Frau Ministerin, frage Sie: Woher wissen Sie das so genau? Kennen Sie die Dunkelziffern (Abg. Wöginger: Kennen Sie die?), und wissen Sie, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich aus Angst davor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, gar nicht erst trauen, die Frage nach einem 12-Stunden-Tag abzulehnen?

Vor diesem Hintergrund, nämlich der Möglichkeit, potenziell arbeitslos zu werden, und der Tatsache, dass wir in Österreich immer noch 360 000 Arbeitslose und rund 157 000 Bezieherinnen und Bezieher von Notstandshilfe haben, führen wir eine De­batte über die Abschaffung der Notstandshilfe. Da spielen Sie, Frau Sozialministerin, eine wirklich extrem unrühmliche Rolle.

Sie flattern wie ein Halm im Wind mit Ihren Positionen. Mal sagen Sie: Mit mir wird es keine Vermögensanrechnung geben! (Bundesministerin Hartinger-Klein: Ja!) – na schauen wir einmal, lassen Sie mich fertig reden! –, dann werden Sie von Bundes­kanzler Kurz, der auf das Regierungsprogramm verweist, zurückgepfiffen, und die Position wird anders. Da hat es ein Hin und Her gegeben, und am 12. November haben Sie uns erklärt, dass Sie und die FPÖ garantieren, dass die Notstandshilfe als Versicherungsleistung aufrechtbleiben wird.

Wer aber bislang immer dazu geschwiegen hat, das ist die ÖVP, der Bundeskanzler. Der Bundeskanzler hat sich von seinen Aussagen im Regierungsprogramm noch nie distanziert. In diesem Regierungsprogramm steht natürlich klipp und klar, dass es eine degressive Gestaltung der Leistungshöhe des Arbeitslosengeldes mit klarem zeit­lichem Verlauf und eine Integration der Notstandshilfe geben wird. Das heißt nichts anderes, als dass die Notstandshilfe im Arbeitslosengeld aufgehen wird.

Wenn man nach geltender Rechtslage in die Mindestsicherung hineinfällt, Herr Kollege Rosenkranz, was passiert dann? (Abg. Rosenkranz: Wo Sie träumen lassen?! Das ist ja schon schlimmer als beim Pilz! Sie können ja nicht einmal lesen!) – Nach geltender Rechtslage kommt es dann zur Vermögensanrechnung.

Herr Kollege Rosenkranz, ich werde Ihnen nun etwas vorlesen und Ihnen zeigen, dass ich durchaus in der Lage bin, zu lesen. (Abg. Rosenkranz: Dann ist die Frage, ob Sie es verstehen! – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Gemäß Regierungsprogramm, Seite 143, folgt beim Arbeitslosengeld – wörtlich – eine „Degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Inte­gra­tion der Notstandshilfe“. – Ist das nun klar genug, Herr Rosenkranz? Verstehen auch Sie, was das heißt? (Beifall bei der Liste Pilz. – Abg. Rosenkranz: Ja, wir haben es mitverfasst!)

Das bedeutet die Abschaffung der Notstandshilfe (Abg. Rosenkranz: Nein, Sie ver­stehen es doch nicht!) und das bedeutet – beim Übergang in die Mindestsicherung – die Vermögensanrechnung. (Abg. Rosenkranz: Nein, Sie verstehen es also doch nicht!) Das ist Hartz IV, Herr Rosenkranz! (Abg. Rosenkranz: Nein!) Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. (Abg. Rosenkranz: Nein, da können Sie auf den Balkon klet­tern!) Vor dem Hintergrund der Tatsache (Abg. Rosenkranz: Da können Sie Purzel­bäume machen ...!), dass sich die ÖVP nicht davon distanziert hat, will ich genau wissen, wie Sie dazu stehen.

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Bruno Rossmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Erhalt der Notstandshilfe als Versicherungsleistung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und die Sozialministerin, soll sicherstellen, dass die Notstandshilfe als Versicherungsleistung ohne staatlichen Ver­mögenszugriff erhalten bleibt.“

*****

Ich gebe Ihnen also hier und heute die Möglichkeit, sich dazu zu bekennen – gemein­sam mit der ÖVP im Übrigen. Wir werden ja sehen, wie Sie zu diesem Entschließungs-antrag stehen werden. Wenn Sie zustimmen und die ÖVP zustimmt, dann ist alles klar. Wenn Sie aber nicht zustimmen, dann ist auch alles klar, dann ist nämlich Ihre Zusage, dass es keine Abschaffung der Notstandshilfe geben wird, nichts wert. Das ist die Wahrheit, Herr Kollege Rosenkranz! (Abg. Rosenkranz: Ich erspare mir jetzt alles, was Ordnungsrufe bringen würde!)

Was ist das Schlimme an der Abschaffung der Notstandshilfe und am Vermö­gens­zugriff? – Das Schlimme ist, dass dieser Vermögenszugriff bedeutet, dass es praktisch zu einer Vermögenssteuer für die Mittelschicht kommt. Der untere Teil der Arbeitslosen hat kein Vermögen, da ist nichts zu holen, aber die obere Hälfte der Arbeitslosen hat durchaus Vermögen.

Auf der anderen Seite haben wir in Österreich eine extrem ungleiche Verteilung von Vermögen. Die obersten 10 Prozent verfügen über zwei Drittel des gesamten Vermö­gens, aber dort greifen Sie nicht zu. Nein, ganz im Gegenteil: Alle meine Anträge zur Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer haben Sie, meine Damen und Herren von der FPÖ und von der ÖVP, bislang abgelehnt. Und diese Regelung – ich glaube fest daran, dass sie noch nicht vom Tisch ist – bedeutet nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben. – Vielen Dank. (Beifall bei der Liste Pilz.)

14.12

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Bruno Rossmann, Daniela Holzinger, Freundinnen und Freunde

betreffend Erhalt der Notstandshilfe als Versicherungsleistung

eingebracht im Zuge der Debatte über den Dringlichen Antrag in der Sondersitzung am 16.11.2018

Begründung

Der medialen Berichterstattung war zu entnehmen, dass in Folge des mit 1. September 2018 in Kraft getretenen Arbeitszeitgesetzes bereits erste Kündigungen stattfanden.1 Die von Kündigungen betroffenen Beschäftigten sind es, die gemeinsam mit aktuell über 360.000 anderen Arbeitssuchenden von der anstehenden Reform des Arbeits­losengeldes, der Notstandshilfe und der Mindestsicherung negativ betroffen sein könn-ten.

Etwa 157.500 Personen haben im vergangenen Jahr Notstandshilfe bezogen, darunter auch viele Menschen mit Behinderung.2 Gemäß Regierungsprogramm (S. 143) folgt beim Arbeitslosengeld eine „degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeit­lichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe.“ Erläuterungen seitens der Regierung zu diesem etwas kryptisch formulierten Vorhaben waren von Beginn an wider­sprüchlich.

Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz soll es die Notstandshilfe nicht mehr geben und wer keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr hat, landet in der Mindestsicherung.3 Dort wartet nach geltendem Recht der staatliche Zugriff auf Vermögen (Ersparnisse, Auto, Eigenheim via Grundbucheintrag). Diesen argumentierte Kurz am 18.12.2017 wie folgt: „Wenn jemand Vermögen hat und nicht arbeiten geht, dann kann es nicht die Aufgabe der Allgemeinheit sein, ihn zu erhalten.“4 Sozialministerin Hartinger-Klein bestätigte am 02.01.2018: „Die Notstandshilfe wird in dem Sinn abgeschafft und geht in die Arbeitslose auf“, dementierte jedoch den sich daraus ergebenden Vermö­gens­zugriff.5 Am 05.01.2018 meldete sich jedoch Bundeskanzler Sebastian Kurz wieder zu Wort und meinte: „Die Notstandshilfe wird es in der derzeitigen Form nicht mehr geben. Und die Mindestsicherung steht all jenen offen, die keinen Anspruch auf Arbeits­losengeld haben oder deren Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist.“6 Zum dort durchaus wartenden Vermögenszugriff ergänzt Verkehrsminister Hofer am 10.01.2018: „Es wird Fälle geben, wo dieser Zugriff auch fair und gerecht ist.“7

Eben dieser Verkehrsminister Norbert Hofer dementierte wiederum kürzlich mediale Ge­rüchte darüber, dass die FPÖ den Widerstand gegen die Abschaffung der Not­standshilfe zugunsten eines Ausstiegs aus dem Migrationspakt aufgegeben haben soll.8 Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, die im April des Jahres auf die Frage nach der Abschaffung der Notstandshilfe noch immer antwortete: „Das ist Vorgabe des Regierungsprogramms“9, behauptet sogar: „Die FPÖ und ich garantieren, dass die Notstandshilfe als Versicherungsleistung bleiben wird.“10 Diese Position steht nicht nur im (wenn auch erfreulichen) Widerspruch zu ihren eigenen Ankündigungen Anfang des Jahres, sondern wartet vor allem auch noch auf Bestätigung des Koalitionspartners.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und die Sozialministerin, soll sicherstellen, dass die Notstandshilfe als Versicherungsleistung ohne staatlichen Ver­mögenszugriff erhalten bleibt.

1 Siehe z.B. Wiener Zeitung, 04.11.2018, Weblink: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/999766_12-Stunden-Tag-Neue-Sanktionen.html

2 Siehe z.B. Wiener Zeitung, 12.11.2018, Weblink: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/1001627_Wird-nicht-komplett-abgeschafft.html

3 Siehe z.B. Der Standard, 07.01.2018, Weblink: https://derstandard.at/2000071623806/167-000-waeren-von-Abschaffung-der-Notstandshilfe-betroffen; Kurier, 08.01.2018, Weblink: https://kurier.at/politik/inland/was-kommt-auf-oesterreichs-arbeitslose-zu/305.541.203; Die Presse, 10.01.2018, Weblink: https://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/5511093/Weniger-AMSGeld-nach-90-Tagen

4 ORF Zeit im Bild, 18.12.2017

5 ORF Zeit im Bild 2, 02.01.2018

6 ORF Zeit im Bild, 05.01.2018

7 PULS 4 Pro und Contra, 10.01.2018

8 Siehe z. B. Tageszeitung Österreich, 04.11.2018, Weblink: https://www.oe24.at/oesterreich/politik/daniel/Tuerkis-blauer-Abtausch-FPOe-soll-bei-Mindestsicherung-nachgeben/354554241; Kurier, 05.11.2018, Weblink: https://kurier.at/politik/inland/wie-geht-es-mit-der-mindestsicherung-weiter/400314870 ; Standard, 06.11.2018, Weblink: https://derstandard.at/2000090708311/50-plus-und-arbeitslos-Die-heikle-Abschaffung-der-Notstandshilfe

9 Profil, 10.04.2018, Weblink: https://www.profil.at/oesterreich/hartinger-klein-auva-interview-9829070

10 Kurier, 12.11.2018, Weblink: https://kurier.at/politik/inland/hartinger-notstandshilfe-bleibt-als-versicherungsleistung/400321341

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Rainer Wimmer. – Bitte, Herr Abgeordneter.