Dringlicher Antrag

der Abgeordneten Dr.in Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Die Bundesregierung muss Farbe bekennen: Solidarische Finan­zierung aus den öffentlichen Budgetmitteln statt neuer Belastungen durch eine Pflegeversicherung!“ (666/A)(E)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka (den Vorsitz übernehmend): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße auf der Regierungsbank den Herrn Bundeskanzler, den Herrn Vizekanzler, Frau Bundesministerin Hartinger-Klein und Herrn Bundesminis­ter Dr. Moser.

Wir gelangen zur dringlichen Behandlung des Selbständigen Antrages 666/A(E).

Da dieser inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Der Dringliche Antrag hat folgenden Wortlaut:

Die Finanzierung der Pflege- und Betreuungsleistungen ist eine der größten Heraus­forderungen unserer Zeit.

Mehr als fünf Prozent der ÖsterreicherInnen brauchen Pflege. Statistisch gesehen ist jede vierte Familie hierzulande mit der Problematik der Hilfsbedürftigkeit Angehöriger unmittelbar konfrontiert.

Derzeit beziehen rund 450.000 Personen Pflegegeld und leisten für Pflege- und Betreuungsleistungen einen Eigenbeitrag von rund 600 bis 700 Mio. Euro.

Die Gesamtausgaben (Staat und Privat) für Pflege und Betreuung belaufen sich in Österreich Ende 2018 bei rund 5,7 Mrd. €: Bund und Länder je rund 2,5 Mrd Euro und Privatleistungen rund 650 Mio Euro.

Der Fiskalrat hat in einer Pressemitteilung vom 4.7.2017 errechnet, dass von 2015 auf 2030 die gesamtstaatlichen Nettoausgaben (Bruttoausgaben abzgl. Privatanteil) von 1,3% des BIP auf 1,4 bis 1,9% steigen. Im Worst-Case Szenario steigen die Pflege­kosten also in 15 Jahren um rund 45% (d.h. real um 2,5% p.a.). Ausgehend von diesem Szenario würden die Pflegekosten von rund 5,7 Mrd. Euro im Jahr 2018, real auf rund 7,7 Mrd. Euro im Jahr 2030 steigen.

Unterstellen wir eine Inflationsrate von 2% so steigen die nominellen Kosten für die Pflege jährlich um rund 4,5%. D.h. um rund 270 Mio. Euro pro Jahr. Dem steht ein nominelles Wachstum der staatlichen Einnahmen (siehe Strategiebericht der Bundes­regierung) von rund 3% gegenüber. Es verbleibt somit ein Delta von 1,5% oder knapp 90 Mio. Euro jährlich.

So gesehen also eine Herausforderung, der unser Sozialstaat mit Sicherheit ge­wach­sen ist.

Was aber macht die schwarz/blaue Bundesregierung?

•           Die schwarz/blaue Bundesregierung schreibt zur Finanzierung der Pflege folgendes in ihrem Regierungsprogramm:

„Zusammen.

Für unser Österreich.

Regierungsprogramm 2017 – 2022

Seite 119 

Nachhaltige Qualitätssteigerung bei Pflege und Betreuung

Pflege und Betreuung ist für alle Menschen in Österreich in bestmöglicher Qualität nachhaltig sicherzustellen. Mit einem klaren Bekenntnis zur Steuerfinanzierung aus einer Hand muss garantiert werden, dass das Geld bei den Menschen ankommt und nicht in den Strukturen versickert…“

•           Die schwarz/blaue Bundesregierung veranstaltet sehr medienwirksam einen so genannten „Pflegegipfel“. Das Ergebnis: sehr vage und unkonkret:

„Hartinger-Klein betonte vor Beginn der Veranstaltung, eine allfällige Pflegever­siche­rung dürfe "sicher nicht privat" kommen. Es solle entweder ein steuerfinanziertes System oder eines ähnlich der Sozialversicherung geben, sagte sie.“ (APA0274 II, CI 21.03.2019)

Auch FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz sah dies ähnlich: Keine Option sei etwa eine Pflegeversicherung nach deutschem Vorbild, "das ist gescheitert", sprach er sich klar gegen eine Versicherungspflicht (wie etwa bei der KfZ-Versicherung) aus. Ob es letzten Endes ein rein steuerfinanziertes System oder ein Sozialversicherungs-Modell werden soll, sei nicht die entscheidende Frage, sagte der Klubchef am Rande der Veranstaltung zur APA. (APA0274 II, CI 21.03.2019)

VP-Klubobmann August Wöginger meinte beim Pflegegipfel: „Die Ministerin hat auch eine Studie diesbezüglich auch in Auftrag gegeben, was das Schlagwort ‚Pflegever­siche­rung‘ anbelangt. Ich glaube, wir müssen hier diesbezüglich offen sein und einen breiten Diskussionsprozess zulassen.“ (21.3.2019, ORF-III-Livestream, 27:46–28:30min)

Er will sich auch nicht auf ein bestimmtes Modell festlegen: „Es geht darum, wie die steigenden Kosten im Pflegebereich in Zukunft abgedeckt werden sollen und da „wollen wir nicht von vornherein sagen, nur das ist das richtige Modell, sondern uns geht es um die Absicherung der Pflege in finanzieller Hinsicht und wir wollen uns alle Modelle anschauen.“ (vgl. ORF Hohes Haus, 24.3.2019)

Bundeskanzler Sebastian Kurz hält sich alle Optionen offen: „Wir schauen uns Modelle in aller Welt an und wollen ein System finden, das bestmöglich zu Österreich passt und eine nachhaltige Finanzierung sicherstellt", so Kurz. Die studierten Modelle reichten von einer Pflegeversicherung über eine Steuerzweckwidmung bis hin zu einer reinen Budgetfinanzierung. (APA 259, 18.3.2019)

•           Die schwarz/blaue Bundesregierung hält ihre verschriftlichen Versprechen nicht einmal eine halbe Legislaturperiode. Kein klares Bekenntnis mehr zur Steuerfinan­zierung aus einer Hand.

Die Einführung einer Pflegeversicherung nach Sozialversicherungsmodell würde be­deuten, dass alle Pflichtversicherten einen prozentuellen Beitrag ihres Einkommens zu leisten hätten. Wenn man nunmehr die Pflege- und Betreuungskosten von rund 5,7 Mrd. Euro in Pflichtbeiträge der rund 4,1 Mio. Erwerbstätigen umwandelt, ergäbe sich ein durchschnittlicher jährlicher Beitrag und somit eine zusätzliche Belastung von rund 1.400 Euro pro Jahr für jeden Versicherten.

Das kann und darf nicht die Lösung der Finanzierungsfrage in der Pflege sein!

Der Staat hat genug Geld, um die Pflege zu finanzieren. Die Menschen müssen nicht durch eine zusätzliche Pflegeversicherung belastet werden!

Weniger Eigenwerbung der Regierung und weniger Personal in den Ministerbüros, schon ist ein großer Teil der notwendigen Pflegefinanzierung gesichert.

Es bedarf eines Pflegsystems, das Sicherheit und Verlässlichkeit bietet und auf soli­den, finanziellen, durch öffentliche Budgetmittel finanzierten Beinen steht. Die Men­schen in unserem Land haben sich das verdient.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechend dem eigenen Regierungs­pro­gramm sicherzustellen, dass in Zukunft alle Pflegeleistungen ausschließlich aus den öffentlichen Budgetmitteln und keinesfalls über eine Pflegeversicherung jedweder Art finanziert werden.“

In formaler Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs. 1 iVm § 93 Abs. 1 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und einem Antrag­stel­ler/einer Antragstellerin Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf nunmehr Frau Klubobfrau Rendi-Wagner das Wort erteilen. – Bitte.