20.09

Abgeordnete Dr. Irmgard Griss (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Worum geht es bei diesem Antrag? – Bei diesem Antrag geht es darum, eine Rechtsschutzlücke zu schließen. Worin besteht diese Rechts­schutzlücke? – Diese Rechtsschutzlücke besteht darin, dass es keine Abhilfemög­lichkeit gibt, wenn ein Beamter im Bereich der Hoheitsverwaltung Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen von jemandem schädigen, und er deren Unwahrheit kannte oder kennen musste.

Das ist § 1330 Abs. 2 ABGB, Kreditschädigung. Es gibt diesbezüglich keine Mög­lichkeit, wenn das ein Beamter im Bereich der Hoheitsverwaltung macht. Anderswo, in der Privatwirtschaftsverwaltung, gibt es einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen den Beamten; im normalen Leben unter Privaten und in der Wirtschaft gibt es einen Unterlassungsanspruch.

Es gibt also eine Art von Immunität für Beamte im Bereich der Hoheitsverwaltung. Was könnte nun die Rechtfertigung dafür sein? – Die Rechtfertigung könnte sein, dass man sagt, ein Beamter kann seine Tätigkeit nicht ausüben, wenn die Gefahr besteht, dass er für Behauptungen, die kreditschädigend sind und deren Unwahrheit er kannte oder kennen musste, in Anspruch genommen werden kann. Ich hoffe nicht, dass das zutref­fen könnte.

Es ist im Ausschuss gesagt worden, wenn es so einen Unterlassungsanspruch gäbe, dann könnten Richter oder Staatsanwälte im Gerichtssaal nicht mehr das sagen, was sie sagen wollen. Also ich war mehr als 30 Jahre lang Richterin, aber mir ist das nicht untergekommen, dass diesbezüglich ein Bedarf bestünde, dass Richter oder Staats­anwälte Äußerungen machen, die kreditschädigend sind und deren Unwahrheit sie kannten oder kennen mussten. Ich glaube also, dass das nicht zutrifft, dass diese Gefahr nicht besteht. Selbst wenn sie aber bestünde, könnte man ja jederzeit sagen: Ausgenommen sind Tatsachenbehauptungen, die im Bereich der Gerichtsbarkeit von Richtern oder Staatsanwälten getätigt werden. Das würde nicht dagegensprechen.

Es gibt einen Bereich der Hoheitsverwaltung, in dem es möglich ist, etwas gegen solche Äußerungen zu unternehmen, und zwar ist das im Bereich der FMA. Wenn die FMA solche Behauptungen verbreitet, die unwahr sind, dann kann sich der davon Betroffene dagegen wehren. Das regeln Bestimmungen im Bankwesengesetz und auch im Wertpapieraufsichtsgesetz. Sonst gibt es das in der Hoheitsverwaltung aber nicht – und das ist eine Rechtsschutzlücke.

Schauen wir nach Deutschland! Wie ist das in Deutschland? – In Deutschland gibt es einen Unterlassungsanspruch. Das heißt, es kann gegen den Beamten vorgegangen werden – und eine solche Möglichkeit sollte auch bei uns bestehen. Man kann aber natürlich diskutieren, ob ein Unterlassungsanspruch gegen den Beamten der richtige Weg ist. Wir haben diesbezüglich bei der Amtshaftung ein anderes System als die Deutschen. Wir haben ja den Grundsatz, dass es einen Schadenersatzanspruch gegen den Staat, also nicht unmittelbar gegen den Beamten gibt. Das heißt, man könnte sich auch vorstellen, dass es in solchen Fällen einen Anspruch auf immateriellen Scha­denersatz gibt, der sich gegen den Bund richtet. Das muss man aber überlegen, das muss man abwägen.

Was meines Erachtens inakzeptabel ist, ist, dass die Bürger und Bürgerinnen solchen Äußerungen hilflos ausgeliefert sind. Die Gefahr besteht, und die Gefahr ist größer geworden, denn es gibt immer mehr politische Beamte, die sich in erster Linie nicht als Staatsdiener, sondern als Diener einer bestimmten Partei verstehen – daher muss da ein Rechtsschutz geschaffen werden. Um aber die Möglichkeit zu schaffen, auch einen anderen Weg zu gehen als in diesem Initiativantrag vorgezeichnet, bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Rechts­schutzlücken im Amtshaftungsrecht“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Verfassung‚ Reformen‚ Deregulierung und Justiz wird aufge­fordert, die in der Begründung aufgezeigte Rechtsschutzlücke unter dem Gesichts­punkt der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes für typenungebundenes Hoheits­handeln zu analysieren und dem Nationalrat ehest bald einen Gesetzesvorschlag zur Schließung dieser Rechtsschutzlücke zuzuleiten. Dieser Gesetzesvorschlag sollte insbesondere einen angemessenen und effektiven Abhilfemechanismus gegen ‚hoheit­liche Kreditgefährdungen‘ vorsehen.“

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Danke. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten von JETZT.)

20.15

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Rechtsschutzlücken im Amtshaftungsrecht

eingebracht im Zuge der Debatte in der 70. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Justizausschusses über den Antrag 463/A der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Haftung der Gebietskörperschaften und der sonstigen Körperschaften und An­stalten des öffentlichen Rechts für in Vollziehung der Gesetze zugefügte Schäden (Amtshaftungsgesetz - AHG) geändert wird (586 d.B.) – TOP 10

Zu den Garantien des Rechtsstaatsprinzips gehört die im Amtshaftungsgesetz (AHG) geregelte Haftung öffentlicher Rechtsträger für Schäden, die ihre Organe bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten rechtswidrig und schuldhaft verursachen.

Solcherart Geschädigten steht die Möglichkeit offen, sich bei dem Rechtsträger Ersatz zu verschaffen, für den das Organ gehandelt hat.

Das gilt aber nur für in Geld messbare Schäden. (siehe Mayer/KucskoStadlmayer/Stöger, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungs-rechts11 (2015) Rz 1291.)

Die Folge ist, dass Betroffene nicht die Unterlassung kreditschädigender Behaup­tungen (§ 1330 ABGB) erwirken können, wenn das Organ in Vollziehung der Gesetze gehandelt hat.

Eine ausführliche Darstellung des Problems findet sich bereits in Cohen, Amtshaftung bei schlichter Hoheitsverwaltung, Juristische Blätter 2014, 228. Darin wird unter ande­rem auf folgende Punkte hingewiesen:

• Verbreitet jemand unwahre Tatsachen, die den Kredit, den Erwerb oder das Fort-kommen eines/einer anderen gefährden, so kann der/die Gefährdete im Rahmen des allgemeinen Zivilrechts grundsätzlich Unterlassung und Widerruf begehren (§ 1330 Abs 2 ABGB). Anderes gilt jedoch bei "hoheitlicher Kreditgefährdung": Da § 1 Abs 1 AHG nur Geldersatz für Vermögens- und Personenschäden regelt, bestehen nach geltender Rechtslage keine Unterlassungs- und Widerrufsansprüche.

• Wird jedoch im Rahmen der Hoheitsverwaltung mit falschen Tatsachenbehauptungen etwa vor "unsicheren Produkten“, "gefährlichen Sekten", "konzessions-widrig handeln­den Banken" oder "gesundheitsschädigenden Lebensmitteln" gewarnt, so sind die Betroffenen in erster Linie daran interessiert, die rufschädigenden Meldungen aus der Welt zu schaffen und deren allfällige Wiederholung zu unterbinden.

• Derzeit wird „mit der zivilrechtlichen Sanktionslosigkeit ein Anreiz zu kreditgefähr­denden Tatsachenmitteilungen geboten." (Kletecka, Schutz gegen "hoheitliche Kredit­ge­fährdung"?, ecolex 1993, 441.)

• Im Rahmen der „schlichten“ rechtstypenungebundenen Hoheitsverwaltung bestehen, abgesehen von einigen sehr spezifischen auf der Kompetenz von Art 130 Abs 2 B-VG fußenden Instrumenten (wie etwa § 4 Abs 7, § 70 Abs 7 BWG, § 92 Abs 6 und 11, § 94 Abs 4 WAG und § 4 Abs 11 VAG) für Betroffene keine selbstständigen Überprüfungs-, Widerrufs- und Beseitigungsansprüche gegen rechtswidrige Äußerungen von Behörden und deren Organe.

• Die genannten spezifischen Rechtsschutzinstrumente entsprechen inhaltlich § 1330 Abs 2 ABGB. Sie vereint das gemeinsame Ziel, Abwehrmöglichkeiten gegen rufschä­digende hoheitliche Informationen und Äußerungen zu gewähren. Daraus lässt sich das Prinzip erschließen, dass es dem/der Betroffenen rechtlich möglich sein muss, aus schlichten Hoheitsakten drohende Schäden zu verhindern bzw. die behördlichen Äußerungen richtigstellen zu lassen.

• Nach der derzeitigen Rechtslage sollen Hoheitsakte nur auf öffentlich-rechtlichem Weg und nicht zivilrechtlich bekämpft werden können. Fehlt dem Verwaltungsakt aber gerade jenes Befehlselement (etwa das eines Bescheides), wie z.B. einer kredit­schädigenden öffentlichen Aussage eines/einer Beamten/Beamtin, und besteht kein adäquater Verwaltungsrechtsschutz, so geht der genannte Zweck ins Leere.

• Das österreichische Rechtsschutzsystem ist damit lückenhaft.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 1 Ob 303/97h vom 14.10.1997 dazu ausgeführt: "Eine in diesem Zusammenhang bei Unterlassungsansprüchen gegen den Rechtsträger oder das Organ bestehende allfällige Rechtsschutzlücke zum Nachteil des durch (..) hoheitlich erfolgte kreditschädigende Äußerungen Betroffenen entzieht sich einer Schließung durch die Rechtsprechungsorgane."

Um diese Lücke zu schließen, braucht es eine Gesetzesänderung, die Opfern kreditschädigender Aussagen von hoheitlichen Organen einen angemessenen und effektiven Rechtsbehelf zur Abhilfe zur Verfügung stellt.

Nur so kann den grundrechtlichen Vorgaben, die Art 6 und Art 13 EMRK sowie Art 47 der Grundrechtecharta an den Verwaltungsrechtsschutz stellen, angemessen Rech­nung getragen werden.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Verfassung‚ Reformen‚ Deregulierung und Justiz wird aufge­fordert, die in der Begründung aufgezeigte Rechtsschutzlücke unter dem Gesichts­punkt der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes für typenungebundenes Hoheits­handeln zu analysieren und dem Nationalrat ehest bald einen Gesetzesvorschlag zur Schließung dieser Rechtsschutzlücke zuzuleiten. Dieser Gesetzesvorschlag sollte ins­besondere einen angemessenen und effektiven Abhilfemechanismus gegen ‚hoheit­liche Kreditgefährdungen’ vorsehen."

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Klaus Fürlinger. – Bitte.