19.45

Abgeordnete Mag. Dr. Sonja Hammerschmid (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem Zitat be­ginnen: „Man darf Migration nicht auf den Islam beschränken und Integration nicht auf plumpe Botschaften wie ‚Kopftuch – ja oder nein‘. Wer das macht, der meint es nicht ernst mit dem Thema.“ – Wahre Worte, denen ich nur zustimmen kann. Dieses Zitat stammt von Sebastian Kurz aus seiner Zeit als Integrationsstaatssekretär. Zum damali­gen Zeitpunkt wollte er noch auf Expertinnen und Experten hören – das hat er in die­sem Interview noch betont – und nicht blanken Populismus in den Mittelpunkt stellen.

Diejenigen, die sich tagtäglich mit interkulturellen Themen beschäftigen, sagen uns, die Einführung des Kopftuchverbotes als einzelne Maßnahme ist nicht zielführend. Als sol­che aber, als Einzelmaßnahme, liegt es heute hier im Parlament vor. Wir sagen auch ganz klar, kein Mädchen darf gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen. (Abg. Wurm: Traurig!) Klar ist aber auch, dass hinter diesem Zwang, ein Kopftuch zu tragen, oft viel, viel mehr steckt und daher ein reines Verbot keine Abhilfe schaffen wird, denn sobald die Kinder das Schulgebäude verlassen, werden sie es wieder aufsetzen. (Bei­fall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić.)

Integration ist ein fortlaufender und langwieriger Prozess und eine viel zu wichtige Auf­gabe, als dass man sie für populistische Aussagen und Maßnahmen missbrauchen darf. Für uns war immer wichtig, ein umfassendes Integrationspaket für die Schulen in Österreich zu verhandeln, und wir haben Ihnen mehrfach die Hand gereicht, diesen Diskurs zu führen, und zwar mit Expertinnen und Experten beispielsweise aus dem In­tegrationsrat oder aus der Wissenschaft und mit den Betroffenen.

Es geht nämlich um ein Bündel an Maßnahmen. Es geht darum, Sprachförderung aus­zubauen. Es geht darum, ganztägige Schulangebote auszubauen. Genügend Ressour­cen sind ein Thema und auch genügend Psychologen, Sozialarbeiterinnen und Sozial­arbeiter – das war heute schon mehrfach Thema.

Was aber hat die Bundesregierung getan? – Sie hat 80 Millionen Euro einfach gestri­chen, und zwar 80 Millionen Euro für genau diese Maßnahmen, bei denen es um So­zialarbeiter, Psychologen, Deutschpädagogen und Integrationspädagogen geht. (Bei­fall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Cox und Zadić.)

Da sieht man, wo die Prioritäten liegen, und da sieht man auch, dass dieses Thema In­tegration nachhaltig für Sie einfach nicht wichtig ist. Es ist eine Verlogenheit und eine Symbolhaftigkeit hinter dieser Maßnahme – nicht mehr und nicht weniger. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Loacker. – He-Rufe und weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Das zeigt sich auch darin, dass diese Maßnahme nicht einmal in Begutachtung ge­schickt wurde. Da könnte man sagen, ja, typisch für diese Bundesregierung, es ist ganz oft so. Wovor aber haben Sie Angst gehabt, Herr Minister? – Dass Ihnen die Ex­pertinnen und Experten das in der Luft zerreißen? Warum haben Sie das nicht ge­macht? – Es ist also nur die Schlagzeile.

Bei Ihnen von der FPÖ werde ich überhaupt grantig (Ruf bei der FPÖ: Ja, was ist?), wenn Sie sich als oberste Beschützer der Frauen- und Kinderrechte aufspielen. (Abg. Wurm: Die letzten Beschützer, Frau Kollegin!) Liebe FPÖ, wo waren Sie denn bei den Frauenrechten in der letzten Nationalratssitzung? (Abg. Wurm: Ihr habt die Frauen­rechte aufgegeben!) – Alle 30 Anträge vom Frauenvolksbegehren wurden abgelehnt. (Beifall bei SPÖ und JETZT.)

Wie wichtig sind Ihnen die Kinderrechte – es geht um 70 000 Kinder – bei der Abschaf­fung der Mindestsicherung? In der Sozialhilfe Neu geben Sie dem zweiten Kind 4,50 Eu­ro und dem dritten Kind 1,50 Euro. (Abg. Hauser: Plus Familienbeihilfe! – Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.) Wie wichtig sind Ihnen denn die Kinder? (Abg. Wurm: Haben Sie nicht aufgepasst ...?)

Ich könnte das noch lange fortsetzen, um Ihre Doppelzüngigkeit aufzuzeigen (Abg. Ro­senkranz: Das ist doch reine narzisstische Dialektik!): Ihre Ablehnung von Frauenquo­ten, von Frauenförderung oder von Frauenhäusern (Zwischenrufe bei der FPÖ), von Ihren sprachlichen Entgleisungen gegenüber Frauenrechten und Gleichbehandlung ganz zu schweigen. (Zwischenruf des Abg. Hauser.)

Dialogverweigerung war leider der Fall, und wir fordern den Dialog einmal mehr ein.

Deshalb bringen wir auch folgenden Entschließungsantrag ein – es geht um die Sum­me der Maßnahmen und nicht um Symbolpolitik –:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen

betreffend bessere Integration

Der Nationalrat wolle beschließen – (Abg. Hauser: ... wieder nichts gelernt! – weitere Zwischenrufe bei der FPÖ) –:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein Gesamtpaket für bessere Integration so­wie für mehr Gleichstellung und bessere Chancen für Mädchen als Regierungsvorlage dem Nationalrat zu übermitteln. Dieser Gesetzesentwurf soll gemeinsam mit ExpertIn­nen des Integrationsrates, der neu eingerichteten Ombudsstelle für Kulturfragen, den Parlamentsfraktionen, VerfassungsexpertInnen und VertreterInnen der LehrerInnenge­werkschaft und der SchülerInnenvertretung ausgearbeitet werden. Der Fokus dieser Regierungsvorlage soll vor allem auf Maßnahmen für Schulen mit besonderen Heraus­forderungen liegen. Insbesondere betrifft dies die Anstellung von mehr LehrerInnen und Unterstützungspersonal an Volksschulen. Auch die Streichung der Mittel für den Integrationstopf soll umgehend von der Bundesregierung zurückgenommen werden, um für bessere Sprachförderung und Integration an Schulen zu sorgen. Hierfür wird die Bundesregierung aufgefordert, eine entsprechende Novelle des BFG 2019 sowie des BFRG 2019-2022 vorzubereiten.“

*****

(Beifall bei der SPÖ.)

19.51

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

gemäß §55 GOG-NR

der Abgeordneten Mag.a Dr.in Sonja Hammerschmid

Genossinnen und Genossen

betreffend Gesamtpaket zur Integration statt Symbolpolitik

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Unterrichtsausschusses über den Antrag 495/A der Abgeordneten Dr. Walter Rosenkranz, Karl Nehammer, MSc, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird (612 d.B.) (TOP 5)

Mit dem Kopftuchverbot setzt die Bundesregierung eine Einzelmaßnahme, die den komplexen Herausforderungen an Österreichs Schulen nicht gerecht wird und bei der die Gefahr besteht, dass sie – da sie nur an eine einzige Religionszugehörigkeit ge­richtet ist – zu einer Stigmatisierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe beiträgt. Anstatt faktenbasierte Politik zu betreiben und Expertinnen und Experten in den Ent­stehungsprozess von Gesetzesvorhaben einzubeziehen, setzt die aktuelle Bundesre­gierung auf Symbolpolitik. Anstatt sich im Detail mit Problemlagen in Österreichs Schu­len auseinanderzusetzen, wird Angstmache betrieben und kaum ein realer Beitrag zur Verbesserung der Situation geleistet.

Um sicherzustellen, dass Schulen in Österreich jedes Kind und jeden Jugendlichen op­timal entlang seiner Talente und Potenziale – unabhängig von Einkommen oder Bil­dungsstand der Eltern – fördern, braucht es ein umfassendes Gesamtpaket zur Intensi­vierung der Integrationsbemühungen an Schulen. Auch Kindern mit einer anderen Mut­tersprache als Deutsch müssen optimale Chancen geboten werden. Etwas mehr als ein Viertel der Schülerinnen und Schüler in Österreich hatte im Schuljahr 2016/17 eine nicht-deutsche Umgangssprache. Dies stellt einen Anknüpfungspunkt von mehreren dar. Bildungschancen sind der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben, ein positiv gestaltetes Aufwachsen und für ein Vorwärts in unserer Gesellschaft. Dieser Zugang umfasst alle Kinder und Jugendlichen, die in Österreich leben.

Dem Kopftuchverbot als Einzelmaßnahme stehen IntegrationsexpertInnen skeptisch gegenüber. Kenan Güngör, Soziologe an der Universität Wien und Mitglied des Exper­tenrates für Integration, den Sebastian Kurz in der Zeit als zuständiger Staatssekretär gründete, stellte beispielsweise fest: „Es ist keine grundlegende Lösung. Wir haben viele Herausforderungen, aber die Regierung verschärft die Probleme anstatt sie zu lö­sen. Sie kocht häppchenweise Themen auf, um eine Gruppe als problematisch darzu­stellen. Selbst bei längst integrierten Muslimen entsteht der Eindruck: ‚Sie reden über das Kopftuch, aber sie meinen uns.‘ Wir laufen Gefahr, Menschen, die schon lange Teil dieser Gesellschaft sind, zu verlieren. Die Regierung spielt mit einem hohen Risiko an gesellschaftlicher Polarisierung. Wir müssen die Probleme angehen, aber wir müssen sie redlich angehen.“ (Oberösterreichische Nachrichten, 23.11.2018) Auch der ÖVP-nahe Lehrergewerkschafter Paul Kimberger äußerte sich ähnlich: "Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Dafür ist ein breiter Diskurs mit Experten notwendig. Das jetzt einfach zu beschließen, halte ich für falsch." (Tiroler Tageszeitung, 23.11.2018)

Österreichs Schülerinnen und Schüler haben sich mehr als reine Symbolpolitik ver­dient, zum Beispiel mehr Mittel für Integration an Schulen. Aber gerade hier hat die Bundesregierung massiv gekürzt und LehrerInnen für die Sprachförderung, Integra­tionspädagogInnen und SozialarbeiterInnen gestrichen. Wir brauchen eine breite De­batte über bessere Integrationsmaßnahmen, Chancengerechtigkeit und wie der Kampf gegen Diskriminierung von Mädchen am besten geführt werden kann. Wir wollen eine zeitgemäße Lehr- und Lernorganisation und keine Retropolitik. Und allen voran bedarf es mehr LehrerInnen und Unterstützungspersonal. Zusammengefasst: Es braucht drin­gend umfassende Reformschritte, die die Situation für Schülerinnen und Schüler – auch jene für Kinder ohne Migrationshintergrund, auf die in der Debatte zu oft verges­sen wird – LehrerInnen und Eltern verbessern.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein Gesamtpaket für bessere Integration so­wie für mehr Gleichstellung und bessere Chancen für Mädchen als Regierungsvorlage dem Nationalrat zu übermitteln. Dieser Gesetzesentwurf soll gemeinsam mit ExpertIn­nen des Integrationsrates, der neu eingerichteten Ombudsstelle für Kulturfragen, den Parlamentsfraktionen, VerfassungsexpertInnen und VertreterInnen der LehrerInnenge­werkschaft und der SchülerInnenvertretung ausgearbeitet werden. Der Fokus dieser Regierungsvorlage soll vor allem auf Maßnahmen für Schulen mit besonderen Heraus­forderungen liegen. Insbesondere betrifft dies die Anstellung von mehr LehrerInnen und Unterstützungspersonal an Volksschulen. Auch die Streichung der Mittel für den Integrationstopf soll umgehend von der Bundesregierung zurückgenommen werden, um für bessere Sprachförderung und Integration an Schulen zu sorgen. Hierfür wird die Bundesregierung aufgefordert, eine entsprechende Novelle des BFG 2019 sowie BFRG 2019-2022 vorzubereiten.“

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