17.35

Abgeordnete Mag. Dr. Sonja Hammerschmid (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zu­schauer! Ich bin gerade ein bisschen sprachlos aufgrund der Rede meiner Kollegin Salzmann (Abg. Hörl: ... gute Rede! – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP), denn wenn es so wäre (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS), dass die Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler, die Expertinnen und Experten, die täglich in der Praxis stehen, auch gehört werden, dann hätten wir, glaube ich, ein anderes Bild. Wir haben das in der letzten Regierungsperiode mit Schwarz-Blau ganz anders erlebt: Da gab es ExpertInnenhearings, die vom Tisch gewischt wurden – wo sich nicht einmal ein Beistrich geändert hat –, auf die nicht einmal verwiesen wurde. Die Vergangenheit lässt also etwas anderes vermuten.

Aber zurück zu dieser Diskussion: Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemo­kraten gelten zwei starke Prämissen, um Bildungspolitik gelingen zu lassen. Die eine ist schlichtweg Chancengerechtigkeit für jedes Kind, also dass jedes Kind wirklich die Bildung bekommt, die es verdient, die seinen Potenzialen und Talenten entspricht. Wir wissen, dass wir da noch gewaltigen Nachholbedarf haben. Die Zweite ist: Jedem Kind alles zutrauen. Sie haben es in Ihrer Anfrage (in Richtung Meinl-Reisinger) so schön formuliert: dass in jedem Kind etwas „Großes steckt“. – Ja genau, in jedem Kind steckt etwas Großes, das sehen wir auch so. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Gute Bildungspolitik muss deshalb das Kind in den Mittelpunkt stellen und dement­sprechend auch vom Kind aus gedacht werden. Besonders in Zeiten wie diesen, in de­nen die Herausforderungen in unserer Gesellschaft, in unserer Arbeits- und Lebens­welt gewaltige sind, in denen wir nicht wissen, wie diese Arbeits- und Berufswelten in zehn oder zwanzig Jahren ausschauen – das ist die Realität, wenn wir an Digitalisie­rung, künstliche Intelligenz et cetera denken –, wissen wir nicht, was kommt.

Was heißt das für die Bildungspolitik in unserem Land? Wie stärken wir unsere jungen Menschen, damit sie diesen Herausforderungen auch gewachsen sind? Es erfordert modernste Pädagogik zur Vermittlung von Wissen und von Kompetenzen, die unsere Kinder zukunftsfit machen, und nicht ideologisch gefärbte Debatten. Sie wissen alle, dass ich Sie zu einem Bildungskonvent zur Erarbeitung von Bildungszielen eingeladen habe, um den Weg dorthin über Parteigrenzen und über Legislaturperioden hinweg einmal außer Streit zu stellen. Eine Antwort habe ich von den NEOS bekommen – Danke dafür! –, von allen anderen noch nicht.

Moderne Pädagogik gelingt dann, wenn die Schulen und die PädagogInnen die not­wendigen Ressourcen haben und Autonomie in der Gestaltung modernster Pädagogik, wenn sie die wissenschaftlichen Grundlagen bekommen, wie sie den Unterricht orga­nisieren können, wie sie die Stärken und Potenziale unserer Kinder in den Mittelpunkt stellen und diese auch adressieren können. Der Frontalunterricht, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen, hat meiner Meinung nach ausgedient, denn er adressiert diese Herausforderungen nicht in ausreichendem Maße. Das heißt, umfassende pädagogi­sche Autonomie erlaubt es, anders zu unterrichten, erlaubt es, die Probleme in den Mittelpunkt zu stellen, die Kreativität in den Mittelpunkt zu stellen, die Potenziale zu fördern und die Kompetenzen zu adressieren, die da beispielsweise heißen: Teamfä­higkeit, Selbstorganisation oder Selbstwirksamkeit – und das organisiert über Projekte und themenspezifischen Unterricht. Das ist etwas ganz anderes. Dorthin muss die Ge­staltung gehen. Da ist aber der Lehrer nicht mehr der Lehrer, der frontal Vortragende, sondern der Coach, der Mentor und Begleiter.

Wenn Sie nun, Herr Minister, sagen, dass die Wissenschaft sich nicht überall einmi­schen soll – insbesondere im Bildungsbereich –, dann stimmt mich das wirklich traurig. (Bundesminister Faßmann: Max Weber!) Dass Sie auf die Vorschläge, die von Frau Wiesinger kommen, irritiert reagieren, von Anpatzung und von einem Maulwurf spre­chen – das betrifft vielleicht nicht Sie, aber Ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Mi­nisterium, im Wesentlichen Frau Glück –, stimmt mich wirklich traurig, denn Sie und wir alle sollten gemeinsam darüber nachdenken, was denn von den Praktikern aus der täglichen Schulpraxis zurückkommt, was uns als PolitikerInnen mitgegeben wird und worüber wir nachdenken sollten. Auf wen hören Sie, Herr Bundesminister? Wen neh­men Sie ernst? Diese Frage kann ich Ihnen nicht ersparen.

Offensichtlich scheint es so zu sein, dass sich im Ministerium doch einiges verändert hat, zumindest in Ihrem Kabinett. Das ist ganz sicher so – es sind ja auch andere Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter dort tätig –, denn wissenschaftliche Erkenntnisse und langjährige LehrerInnenexpertise haben dort offensichtlich nicht den entsprechenden Platz gefunden.

Jetzt stellen Sie Frau Glück Frau Wiesinger zur Seite, auf deren eigenes Bitten, wie ich heute Ihren Ausführungen entnehmen durfte; Sie geben dafür auch eine erkleckliche Summe an Geld aus. Das ist das eine. Was mich daran aber stört, ist, dass dafür das Geld da ist, dass aber für Unterstützungspersonal in den Schulen, für einen Chancen­index mit viel mehr Lehrerinnen und Lehrern, schlichtweg für gute Pädagogik das Geld nicht da ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Wo bleiben in dieser Debatte die Interessen der Kinder? Wo bleibt in der Debatte der Aufschrei Ihrerseits darüber, dass es in Österreich noch immer kein zweites kostenlo­ses und verpflichtendes Kindergartenjahr gibt, obwohl die Elementarpädagogik doch eine ganz wichtige und zentrale Stellschraube im Leben eines Kindes ist? Wo bleibt der Aufschrei darüber, dass der flächendeckende Ausbau von ganztägigem Betreu­ungsangebot, sprich Kindergarten oder Schule, immer noch schleppend vorangeht? Sagen Sie nicht, das steht im Regierungsprogramm, denn dort ist es in verschwinden­der Form geparkt und mit vielen unbestimmten Bemerkungen versehen! Wo bleibt der Aufschrei darüber, dass der Bildungsabschluss eines Kindes mehr über die Herkunft des Kindes verrät als über die Talente, die das Kind – jedes Kind – hat?

Wo bleibt der Aufschrei darüber, dass SchulleiterInnen einen gemeinsamen Ethikun­terricht für alle fordern, man da aber lieber auf die Bedürfnisse der katholischen Kirche hört? Ich darf Frau Wiesinger zitieren: „Im Gegenzug betonte praktisch jeder konserva­tive Politiker, dass die Veränderungen in unserer Gesellschaft neue Antworten erfor­dern“, gerade in der Politik. „Niemand sprach sich gegen einen verpflichtenden Ethik­unterricht für alle aus. Aber man sei der katholischen Kirche und dem damaligen Koa­litionspartner FPÖ verpflichtet und dürfe daher den konfessionellen Religionsunterricht nicht schwächen.“ Dieses Argument habe ich nie verstanden, denn schließlich geht es nicht um eine Entscheidung zwischen Religionsunterricht oder Ethikunterricht, sondern um ein Nebeneinander dieser Fächer. – Ende des Zitats von Frau Wiesinger.

Deshalb unser Entschließungsantrag – und weitere werden folgen –:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Dr. Sonja Hammerschmid, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Ethikunterricht für alle“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung möge dem Nationalrat eine Novelle vorlegen, in der der der Ethikunterricht flächendeckend und verpflichtend für alle SchülerInnen ab der Sekundarstufe I (und nicht erst in der Oberstufe und nur für jene SchülerInnen, die keinen Religionsunterricht besuchen oder ohne Bekenntnis sind) umgesetzt wird.“

*****

Wie gesagt: Weitere Anträge werden folgen. Ich bitte Sie alle hier im Hohen Haus: Konzentrieren wir uns auf eine Debatte, die die Zukunftschancen unserer Kinder erhöht und in den Mittelpunkt stellt, und unterlassen wir medienwirksame Selbstinszenierun­gen! – Danke. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der NEOS sowie des Abg. Koza.)

17.42

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

gemäß §55 GOG-NR

der Abgeordneten Mag.a Dr.in Sonja Hammerschmid, Genossinnen und Genossen

betreffend Ethikunterricht für alle

eingebracht im Zuge der Debatte zur Dringlichen Anfrage der Abgeordneten Mag. Be­ate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betreffend Aufzeigen von Miss­ständen in der österreichischen Bildungspolitik

Je rasanter sich eine Gesellschaft im globalen Kontext verändert, desto wichtiger ist es, Orientierung zu finden. Fragen zu Weltanschauungen, Grundwerten, Menschen­rechten und unterschiedlichen gesellschaftlichen Normsetzungen erfordern die Fähig­keit zu differenzierten, individuellen Beurteilungen und eigenverantwortlichem, prinzi­piengeleitetem Handeln. Es geht auch um die Fähigkeit Toleranz zu entwickeln, also andere Standpunkte und Lebensweisen zu akzeptieren und andere Meinungen zu zu­lassen. Toleranz ist ein Schlüssel für eine funktionierende Demokratie.

Der Ethikunterricht soll einen Rahmen für eine qualifizierte Auseinandersetzung über diese Fragestellungen bieten und wäre auch ein Beitrag zur politischen Bildung und Entwicklung einer soliden Wertehaltung. Schule ist der geeignete Raum, um die Aus­einandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen in einem geordneten Umfeld zu führen. Das Erleben von sozialer Verantwortung, gesellschaftlichem Zusammenhalt und von zivilgesellschaftlichen Initiativen ist zu stärken. Der Ethikunterricht wirkt damit auch als wichtige Präventionsmaßnahme vor Fundamentalismus und Extremismus.

Die türkis-blaue Bundesregierung hat daher noch im März 2019 einen entsprechenden Ministerratsvortrag vorgelegt, in dem die legistische Umsetzung des verpflichtenden Ethikunterrichts in der Sekundarstufe II für alle jene SchülerInnen, die keinen konfes­sionellen Religionsunterricht besuchen, bis Sommer 2019 angekündigt wurde. Die tür­kis-grüne Bundesregierung nimmt sich nun die Umsetzung der ÖVP-FPÖ Pläne vor. Im Regierungsprogramm wird dazu folgendes festgehalten:

„Den bekenntnisorientierten Religionsunterricht beibehalten und den Ethikunterricht für all jene sicherstellen, die keinen Religionsunterricht besuchen (oder ohne Bekenntnis sind).“

Warum der Ethikunterricht nur für jene SchülerInnen eingerichtet wird, die sich von Re­ligion abmelden, und nicht für alle SchülerInnen, konnte bisher sachlich nicht ausrei­chend gerechtfertigt werden. Immerhin betreffen Fragestellungen, die im Ethikunter­richt diskutiert werden sollen, alle SchülerInnen.

Aus diesem Grund stellen die unterzeichnenden Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung möge dem Nationalrat eine Novelle vorlegen, in der der der Ethikunterricht flächendeckend und verpflichtend für alle SchülerInnen ab der Sekundarstufe I (und nicht erst in der Oberstufe und nur für jene SchülerInnen, die keinen Religionsunterricht besuchen oder ohne Bekenntnis sind) umgesetzt wird.“

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht und ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Brückl. – Bitte.