13.19

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Ich habe zugeschaut, wie das die Frau Kollegin gemacht hat; sie wird das können, darum mache ich das auch so. (Die Rednerin desinfiziert das Rednerpult.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer, wo auch immer Sie sind! Wir sind jetzt am Ende der Woche drei – weil ich vorhin Woche zwei gehört habe –, mehr oder weniger am Ende der Woche drei des Shutdowns.

Morgen beginnen die Osterferien, und ich hoffe sehr, dass das jetzt für viele Familien eine Zeit ist, in der man dieses Homeschooling zumindest ein bisschen beiseite­schieben und die Zeit miteinander und füreinander auch ein bisschen anders nutzen kann, denn ich fühle mit, ich weiß, was das heißt.

Es wurde heute sehr viel darüber diskutiert, ob es einen Strategiewechsel braucht. – Nein, den braucht es unserer Meinung nach jetzt nicht. Ich glaube, es ist auch zu früh, darüber zu sprechen, weil wir noch nicht sicher kein können, welche Auswirkungen die zunehmende Ausbreitung des Virus auf unser Gesundheitssystem hat.

Was ich von der Bundesregierung aber verlange, ist ein Prioritätenwechsel oder eine Prioritätenverschiebung. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen in vielen Reden sehr viel davon gehört, dass Gesundheit vorgeht und dass wir alles machen, um die Folgen danach abzufedern. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, zu sagen: Wir müssen drei Ziele gleichermaßen verfolgen und in die Balance bringen: das Gesundheits­system stabilisieren und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaft und die Gesellschaft nicht kollabieren. Die beiden Letzteren stehen nämlich tatsächlich auf der Kippe. (Beifall bei den NEOS.)

Ich höre immer wieder, dass es diese Zielkonflikte gibt. – Das mag schon sein. Ich bin aber überzeugt davon, dass gute Politik, die ausgewogen agiert, die balanciert, es schafft, eine gesamthafte Betrachtungsweise anzuwenden, eine Betrachtungsweise, die nicht nur darauf schaut, welche Zuwächse an Fallzahlen von Neuinfektionen auf Basis von Testungen zu verzeichnen sind, wie viele Menschen zusätzlich intensiv­medizinisch betreut werden und – bedauerlicherweise – wie viele Todesfälle es gibt, sondern gesamthaft betrachtet: Wie viele Arbeitslose gibt es? Wie viel Verzweiflung gibt es in den Familien? Wie viele Insolvenzen stehen vor der Tür? Wie viele Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter wissen nicht, wie sie im nächsten Monat über die Runden kommen? Wie viele kleine Betriebe und wie viele große systemrelevante Unternehmen in Österreich werden in den nächsten Tagen – hoffentlich nicht Tagen, sondern Wochen, aber dann sicherlich – in die Situation kommen, tatsächlich krachen zu gehen? Das geht mit guter Politik, dass man diese drei Ziele kombiniert und gesamthaft darauf schaut.

Ich komme zum ersten Ziel: das Gesundheitssystem stabilisieren. Ja, da passiert auch viel Richtiges. Ich möchte ein paar Dinge herausgreifen, die ich heute ganz explizit erwähnen möchte; es ist schon angesprochen worden. Wenn das Tragen von Masken dazu beiträgt, dass wir unser Leben bald wieder aufnehmen können, dann ist das eine gute Maßnahme. Gleichzeitig aber nicht dafür Sorge zu tragen, dass niedergelassene Ärzte in Österreich und auch Pflegepersonal flächendeckend ausreichend mit den entsprechenden höher klassifizierten Schutzmasken ausgerüstet werden, das ist fahrlässig, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das muss oberste Priorität haben. (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Kaniak.)

Testen, testen, testen! Das wird auch von uns seit Wochen angesprochen. Endlich wird es diese repräsentativen Testungen geben. Ich halte das für einen Schlüssel, damit wir an Datengrundlagen kommen, damit wir relativ rasch unser Leben wieder aufnehmen können. Tracken wir das Virus und nicht die Bürgerinnen und Bürger! Das ist unser Credo.

Wirtschaft stabilisieren: Dazu möchte ich sagen, manchmal bin ich doch reichlich überrascht von der Naivität oder dem Kleinreden vonseiten mancher Kolleginnen und Kollegen. Wir stehen hier möglicherweise an der Schwelle einer globalen Rezession, deren Auswirkungen wir uns nicht im Geringsten vorstellen können. Wir reden nicht davon, dass wir das mit ein bissl Härtefallfonds und mit ein bissl Notfallfonds in den nächsten Wochen in den Griff bekommen, sondern wir reden davon, dass uns das auf europäischer Ebene, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Finanzrahmen, jedenfalls fünf Jahre beschäftigen wird.

Das wird Dimensionen haben, die wir uns nicht vorstellen können, deshalb ist es so wichtig, die Wirtschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Bitte hören Sie auf, das gegeneinander auszuspielen! Diese moralische Keule, nämlich zu sagen: Wir können doch nicht die Wirtschaft priorisieren, weil es sonst Tote gibt!, ist unredlich. Es ist unredlich, diese Dinge gegeneinander auszuspielen! Das muss in einer Balance gesamthaft betrachtet werden, und auch da sind wir in Woche drei.

Das ist jetzt die dritte Sitzung in dieser Woche drei. Am Ende der Woche drei gibt es genügend Betriebe, die immer noch kein Geld gesehen haben, denen Sie gesagt haben, es werde Garantien geben, es werde Haftungen geben, es werde Stundungen geben, die tolle Coronakurzarbeit, die manchmal – verzeihen Sie! – so ein bisschen roboterhaft rübergebracht wird.

Die Unternehmen haben aber haben kein Geld gesehen. Sie können sich die Kurz­arbeit nicht leisten, wenn das erst in einem oder in drei Monaten refundiert wird. Sie können es sich nicht leisten, auf Garantien und Stundungen zu schauen, weil ihnen das Geld fehlt. Ganz viele kleine, aber auch mittelständische und große Betriebe stehen vor der Situation, dass es um Tage geht und nicht um Wochen.

Wir haben mehrfach gesagt, was es für diese Unterstützung der Wirtschaft braucht. Und was ist passiert? – Sie haben tatsächlich ein Bürokratiemonster aufgebaut, wobei, wie auch schon mehrfach angesprochen wurde, Unternehmerinnen und Unternehmer zu Bittstellern degradiert wurden, und nehmen in Kauf, dass die Arbeitslosigkeit, die jetzt schon auf dem Höchststand seit 1946 ist – und wir wissen, dass sie eigentlich höher ist, weil da noch nicht alle eingerechnet sind –, noch weiter in die Höhe schnel­len wird.

Wirtschaftshilfe braucht es, um Elend und Arbeitslosigkeit zu verhindern. Es geht nicht nur darum, den Unternehmerinnen und Unternehmern unter die Arme greifen zu kön­nen, damit die über die Runden kommen, sondern es geht darum, die Unternehmen zu retten, damit es die Unternehmen und die Arbeitsplätze nachher weiterhin gibt und wir tatsächlich auch wieder hochfahren können. Das ist ein wesentlicher Unterschied, und wenn Sie von einer Almosenpolitik sprechen wie etwa im Zusammenhang mit diesem Härtefallfonds, habe ich bisweilen das Gefühl, dass Sie das noch nicht verstanden haben. (Beifall bei den NEOS.)

Wir haben auch schon länger gesagt, dass es neben diesen Garantien und Haftungen selbstverständlich auch Verlustausgleiche braucht, also nicht rückzahlbare Zuschüsse. Ich habe vernommen, dass das jetzt laut diesen Richtlinien im Notfallfonds drinnen sein soll – es gibt ja wahnsinnig viel, was jetzt von Regierungsseite ohne Einbindung des Parlaments beschlossen werden kann.

Ich sage aber: Abstand halten!, das ist ein gutes Thema. Ich verstehe es absolut nicht und halte es für wirklich verwerflich, dass Sie diese Situation nutzen, um diese drin­gend notwendigen Maßnahmen jetzt parteipolitisch und machtpolitisch sozusagen auszunutzen, und hier Konstruktionen machen, die letztlich Ihrer Partei, vor allem der ÖVP, unter Mittun der Grünen, nutzen. Sie treiben hier Menschen in die Abhängigkeit Ihres eigenen parteipolitischen Machtapparats, den Sie konstruiert haben. – Da kann ich nur eines sagen: Schämen Sie sich! Abstand halten, auch davon! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Der dritte Punkt heißt: Gesellschaft stabilisieren – die offene und freie Gesellschaft. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wie soll sie in sechs, acht Monaten oder zehn Monaten ausschauen?

Ich komme einmal zum Thema Bildung: Wir wissen jetzt schon, und auch das sind alarmierende Zahlen, dass 20 Prozent der Kinder von den Lehrerinnen und Lehrern über Homelearning gar nicht erreicht werden, weil es keine Geräte gibt oder weil Eltern sich nicht kümmern. – Das sind dramatische Zahlen. Wo ist Ihr Vorschlag dazu, Herr Bundesminister Faßmann? Sie sind in der Verantwortung, für ein entsprechendes För­derangebot zu sorgen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, von Sonderbudgets über Fördercoachings bis hin zu stufenweiser Öffnung et cetera; wir sind ja gesprächs­bereit. Wir dürfen gerade in so einer Situation kein Kind zurücklassen, das ist unser Credo. (Beifall bei den NEOS.)

Es geht darum, dass diese physische Distanzierung nicht zu einer sozialen oder psychischen Distanzierung wird. Social Distancing wird nämlich immer wieder ein bisschen falsch als soziale Distanzierung übersetzt. Das soll es ja genau nicht sein, und auch das hat für uns NEOS oberste Priorität.

Jetzt komme ich zu der freien und offenen Gesellschaft, weil sie für uns so wichtig ist. Gerade in Krisenzeiten ist es sehr verlockend, Grund- und Freiheitsrechte und Daten­schutz auszuhebeln und die Privatsphäre aufzugeben. Grund- und Freiheitsrechte sind kein Schönwetterprogramm, sondern höchste Güter. Gerade in Krisenzeiten dürfen Sie nicht – quasi mit einem Freibrief – über Bord geworfen werden.

Was Sie heute hier in diesem Gesetzespaket an giftigen Pillen verstecken, das ist doch wirklich allerhand. Da geht es um sensible Gesundheitsdaten, da geht es um die Weitergabe dieser sensiblen Gesundheitsdaten, und wir wissen auch, was da noch alles herumschwirrt: von Big Data bis hin zum verpflichtenden Tracking über die Handys; das muss ich Ihnen nicht sagen.

Ich finde es ein bisschen lustig, wenn die FPÖ, nachdem man in der letzten Regierung durchaus gesehen hat, dass das mit der Überwachung doch nicht so ganz ernst ge­nommen wird, jetzt darauf pocht – soll mir aber recht sein. Freiheit und Gesundheit, das ist völlig richtig. Ich habe mir aber die Frage gestellt: Was wäre eigentlich, wenn die FPÖ noch in der Regierung wäre und diese Maßnahmen heute vorgeschlagen worden wären? – Da wäre ein Bahöl, da wären die Leute auf der Straße! Die Grünen sind in der Regierung, und jetzt gibt es ein Greenwashing dieser Überwachungs­maß­nahmen. Das werden wir nicht zulassen, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei den NEOS.)

Dass die Demokratie gefährdet sein kann, sehen wir an unserem Nachbarland Ungarn, wo sich das Parlament über Nacht mehr oder weniger selber entmachtet hat, sodass dort in dieser Krise nur noch per Dekret regiert werden kann. Ich finde es beschämend, dass das offizielle Österreich da keine Worte gefunden hat. Mich haben da übrigens auch Schreiben erreicht, was sozusagen als erste Notfall- -

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Darf ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen, die Redezeit ist um.

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (fortsetzend): ... Viktor Orbán er­griffen wurde. Ich kann Ihnen sagen: Das hat eher etwas mit Korruption als mit Krisen­bekämpfung zu tun.

Ich bringe noch folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „Einschränkung der Demokratie in Ungarn“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, der Bundesminister für euro­päische und internationale Angelegenheiten sowie die Bundesministerin für Europä­ische Union und Verfassung, wird aufgefordert, in allen Gremien der Europäischen Union das Aussetzen des Parlamentarismus in Ungarn auf das Schärfste zu verurteilen und sich für eine rasche Fortsetzung und einen zeitnahen Abschluss des Art-7-Verfahrens gegen Ungarn einzusetzen.

Weiters möge die Bundesregierung sich in allen Gremien der Europäischen Union dafür einsetzen, dass die Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union, wie etwa die zeitlich unbegrenzte Aussetzung des Parlamentarismus, strengen Sanktionen unterliegt.“

*****

Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei den NEOS.)

13.30

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Einschränkung der Demokratie in Ungarn

eingebracht im Zuge der Debatte in der 22. Sitzung des Nationalrats über TOP 1

Mit dem im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise am 30.3.2020 im ungarischen Parlament beschlossenen "Notstandgesetz" verabschiedet sich Ungarn von der Demo­kratie. Das Gesetz ermöglicht es Orbán ohne zeitliche Begrenzung per Verordnung ohne Befassung des Parlaments zu regieren. Orbán kann also solange ohne Parla­ment regieren, solange er dies will. Darüber hinaus untersagt das Gesetz Wahlen und beinhaltet mehrjährige Haftstrafen für die Verbreitung von "unwahren" und "verzerrten" Fakten - und beschneidet somit die in Ungarn ohnehin schon sehr verdünnte Mei­nungs­äußerungsfreiheit weiter. 

Diese legislativen Maßnahmen wurden von einer breiten Front medial heftig und ent­schlossen kritisiert. Exemplarisch dazu etwa Vizekanzler Werner Kogler, der die Aus­schaltung des ungarischen Parlaments "auf das Schärfste" kritisierte, Othmar Karas, der den ungarischen Beschluss als „schockierend und völlig inakzeptabel“ bezeichnete oder Claudia Gamon, die darauf hinwies, dass die ungarische Regierung "die Corona-Krise auf besonders widerwärtige und gefährliche Weise" ausnütze und die Demokratie in Ungarn de facto abschaffe.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, der Bundesminister für euro­päische und internationale Angelegenheiten sowie die Bundesministerin für Euro­päische Union und Verfassung, wird aufgefordert, in allen Gremien der Europäischen Union das Aussetzen des Parlamentarismus in Ungarn auf das Schärfste zu verurteilen und sich für eine rasche Fortsetzung und einen zeitnahen Abschluss des Art-7-Verfahrens gegen Ungarn einzusetzen.

Weiters möge die Bundesregierung sich in allen Gremien der Europäischen Union dafür einsetzen, dass die Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union, wie etwa die zeitlich unbegrenzte Aussetzung des Parlamentarismus, strengen Sanktionen unterliegt."

*****

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steinacker. – Bitte.