13.36

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Damen und Herren der Bundesregierung! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in Zeiten wie diesen gibt es drei Themenbereiche, die die Menschen Tag und Nacht beschäftigen. Das ist ihre Gesundheit, das ist ihre wirtschaftliche Situation, und das ist die Angst um ihre persönliche Freiheit.

Wir werden heute noch ausführlich Gelegenheit haben, über Gesundheit und wirt­schaftliche Situation zu diskutieren. Aber ich frage Sie jetzt nur kurz: Was spricht dagegen, den Menschen das Arbeitslosengeld zu geben, das sie jetzt in dieser spe­ziellen Situation brauchen? Was spricht dagegen, das Arbeitslosengeld jetzt zu erhö­hen und die Bezugsdauer zu verlängern? (Beifall bei der SPÖ.) Das hat mir hier noch niemand, weder der Bundeskanzler noch der Vizekanzler, bei seinen Ansprachen erklären können. Erklären Sie uns das (Abg. Belakowitsch: ... eh schon weg!), dann gewinnen Sie uns vielleicht für einen Schulterschluss – oder auch nicht, geschätzte Damen und Herren.

Ich möchte aber jetzt in der kurzen Redezeit, die ich noch habe, einen Bereich an­sprechen, der hier etwas zu kurz kommt, wenn Sie mir diese Formulierung erlauben: Die Angst der Menschen um ihre persönliche Freiheit ist nicht unbegründet. Es gibt derzeit Maßnahmen, die es in Österreich noch nie zuvor gegeben hat, und die Menschen haben auch Angst. Es gibt einen Garanten, dass diese Maßnahmen nicht überschießend sind und dass sie gerechtfertigt sind, das ist die parlamentarische Demokratie in unserem Land. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jede und jeder von Ihnen, geschätzte Damen und Herren Abgeordnete, das ähnlich sieht, ich bin mir aber nicht mehr sicher, was die Mitglieder der Bundesregierung betrifft.

Wie ist es zu erklären, dass der Herr Bundeskanzler hier zu uns spricht und sagt: Morgen in der Pressekonferenz werde ich sagen, wie es weitergeht, nicht hier!? Wie ist es zu erklären, dass der Vizekanzler spricht und kein Wort darüber verliert, dass die Läden vielleicht wieder aufsperren, und jetzt lesen wir in der APA plötzlich, dass er ein Interview dazu gegeben hat?! – Das ist nicht die parlamentarische Demokratie, wie ich sie mir von der Regierung erwarte, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der FPÖ sowie des Abg. Schellhorn.)

Das bringt mich zu einem anderen Thema: Was soll dieses laute Schweigen zu Ungarn? Was soll dieses Schweigen zu Ungarn, geschätzte Damen und Herren? 14 Staaten haben bereits erklärt, dass diese Ausschaltung des Parlaments so nicht hinzunehmen ist. Die Europäische Volkspartei hat es erklärt, ja sogar die ÖVP-Europaabgeordneten haben es gesagt, und hier in Österreich ist weder der Bundeskanzler noch der Vizekanzler in der Lage, auch nur ein Wort über Ungarn zu verlieren. Das ist ein richtiger Skandal, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Scherak.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Redezeit ist schon überschritten. – Bitte.

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (fortsetzend): Und um der Bundesregierung zu helfen (Zwischenruf des Abg. Krainer) und sie, wie gesagt, zu unterstützen, stellen wir folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betref­fend „rasche Wiederherstellung der vollen Rechte des ungarischen Parlaments“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, werden aufgefordert:

- unverzüglich und ohne Einschränkungen die de facto Ausschaltung des Parlaments in Ungarn zu verurteilen und sich auf allen Ebenen für eine rasche Wiederherstellung der vollen Rechte des ungarischen Parlaments einzusetzen;

- mit Nachdruck die dadurch gegebene Verletzung europäischer Werte und der grundlegenden Prinzipien einer liberalen Demokratie zu verurteilen;

- sich auf europäischer Ebene für eine gemeinsame Verurteilung des Vorgehens der ungarischen Regierung [...] einzusetzen;

- auf eine rasche Fortsetzung des Rechtstaatlichkeitsverfahrens [...]“ zu drängen.

*****

Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier irgendjemand gegen diesen Antrag stimmen kann. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Scherak.)

13.39

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Pamela Rendi-Wagner, Mag. Jörg Leichtfried, Genossinnen und Genossen

betreffend rasche Wiederherstellung der vollen Rechte des ungarischen Parlaments

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 1

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen, nutzen Regierungen weltweit weitreichende Vollmachten, die ihnen Epidemie- oder Notstandsgesetze gewähren. Dabei stellen sich immer wieder heikle Fragen zu Grundrechten und demokratischer Kontrolle, weshalb die jeweiligen drastischen Maßnahmen in der Regel zeitlich be­grenzt sind und auch der parlamentarischen Kontrolle unterstehen.

Am 1. April haben 13 EU-Staaten in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, dass es legitim sei, dass die Mitgliedsstaaten außerordentliche Maßnahmen ergreifen um ihre BürgerInnen zu schützen. Gleichzeitig haben sie ihre große Sorge geäußert über die möglichen Verletzungen des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Grundrechte, die von der Annahme solcher Notmaßnahmen herrühren könnten.

Die österreichische Bundesregierung hat sich dieser Erklärung nicht angeschlossen.

Ministerpräsident Viktor Orbán verordnete Ungarn einen eigenen Weg und brachte am 20.03.2020 einen Gesetzesentwurf ein, der es ihm erlaubt per Dekret auf unbestimmte Zeit ohne Mitwirkung des Parlaments zu regieren. Auch für die Staatsanwaltschaft waren weitreichende neue Kompetenzen vorgesehen, inklusive der Möglichkeit lang­jährige Haftstrafen für Personen, die Falschinformationen verbreiten zu verhängen.

Die Opposition stimmte dem Gesetzesentwurf nicht zu, da sie insbesondere auf eine Befristung dieser umfassenden Vollmachten drängte. Das Gesetz konnte daher nicht im Eilverfahren beschlossen werden.

Am 30.03.2020 wurden die Maßnahmen mit der Mehrheit der FIDESZ-Abgeordneten doch beschlossen. Viktor Orbán ist es nun erlaubt zeitlich unbegrenzt per Dekret und ohne Parlament zu regieren.

Ministerpräsident Orbán verordnete der ungarischen Demokratie damit auf unbe­stimmte Zeit Quarantäne. Die Corona-Krise zu missbrauchen, um das Parlament hand­lungsunfähig zu machen, ist völlig inakzeptabel und darf nicht ohne Folgen bleiben.

Gegen Ungarn läuft bereits ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren der Europäischen Union, das in letzter Konsequenz zum Entzug von Stimmrechten führen kann. Eine rasche Fortsetzung dieses Verfahrens mit der logischen Konsequenz eines Stimmrechts­entzugs muss die Folge der aktuellen Entwicklung in unserem Nachbarland sein.

Nationalrats- und EU-Abgeordnete von SPÖ, Grünen und NEOS sowie der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas verlangten in einer gemeinsamen Erklärung ein „ent­schie­denes Einschreiten“ der EU-Kommission. Die Europäische Kommission müsse „um­gehend Stellung beziehen und mit dem Europäischen Gerichtshof entschieden ein­schreiten“, forderten sie.

Neben dem österreichischen EU-Kommissar Hahn und Vizekanzler Kogler hat sich auch Justizministerin Alma Zadić kritisch zu den Vorkommnissen in Ungarn geäußert: „Diese Entwicklungen bereiten mir große Sorge. Die Grundpfeiler der Demokratie müssen auch in Krisenzeiten halten" (Kurier, 30.03.2020).

Der Ankündigung der EU-Kommissionspräsidentin zur Absicherung der europäischen Grundprinzipien und Werte nach dem Parlamentsbeschluss in Ungarn, müssen nun rasch konkrete Taten folgen.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, werden aufgefordert:

- unverzüglich und ohne Einschränkungen die de facto Ausschaltung des Parlaments in Ungarn zu verurteilen und sich auf allen Ebenen für eine rasche Wiederherstellung der vollen Rechte des ungarischen Parlaments einzusetzen;

- mit Nachdruck die dadurch gegebene Verletzung europäischer Werte und der grund­legenden Prinzipien einer liberalen Demokratie zu verurteilen;

- sich auf europäischer Ebene für eine gemeinsame Verurteilung des Vorgehens der ungarischen Regierung durch alle anderen EU-Staaten einzusetzen;

- auf eine rasche Fortsetzung des Rechtstaatlichkeitsverfahrens nach Artikel-7 des Vertrags über die Europäische Union gegen Ungarn hinzuwirken“.

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kaniak. – Bitte.