16.33

Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesmi­nister! Sehr geehrtes Hohes Haus! Das hat im Großen und Ganzen sehr gut funktio­niert. – Ich glaube, es wissen alle, wo das zu hören war, nämlich gestern im Ö1-„Mittags­journal“. Das waren die Worte unseres Bundeskanzlers zum Thema Ischgl. Der Bericht der unabhängigen Expertenkommission zu Ischgl zeichnet ein ganz anderes Bild und kommt zu einem gänzlich anderen Schluss.

Blicken wir zurück – einiges wurde schon gesagt –: Am 4. März informieren die isländi­schen Behörden mittels des europäischen Frühwarnsystems, des EWRS, das Land Tirol und die Bundesregierung – es ist das Bundesministerium für Gesundheit – über Urlau­ber, die sich in Ischgl mit Corona angesteckt haben. Das sind Warnungen, Warnungen internationaler Natur, die offenbar von den Behörden, sowohl von den Tiroler Behörden als auch von den Gesundheitsbehörden im Bund, nicht wirklich ernst genommen wur­den. Sie wurden in den nächsten Tagen sogar heruntergespielt.

Es folgen Tage, an denen immer mehr Warnungen aus immer mehr Ländern in Europa eingehen, die Zahl der Infizierten in Europa steigt. Trotzdem passiert nichts, tagelang passiert nichts, acht Tage lang passiert nichts! Die Lokale, die Seilbahnen, die Pisten, alles ist weiter voll mit Tausenden, ja Zehntausenden internationalen Urlaubern. Die Bundesregierung wird nicht tätig und das Land Tirol wird nicht so tätig, wie man es erwarten dürfte. Aber alles hat im Großen und Ganzen sehr gut funktioniert, sagt Se­bastian Kurz.

Sehr geehrte Damen und Herren! Dieses Nichthandeln, diese Zögerlichkeit, diese Un­entschlossenheit hatte, und das wissen wir spätestens heute nach diesem Bericht, dra­matische Folgen: Von Ischgl aus verbreitete sich das Virus in ganz Europa. Tausende, laut Medienberichten über 11 000 Coronainfizierte gingen allein von Tirol aus. Da waren zum Teil schwere Coronaerkrankungen dabei, es gab auch Todesfälle, die auf Ischgl zurückzuführen sind. Aber alles hat im Großen und Ganzen sehr gut funktioniert, so unser Bundeskanzler.

Nicht abgestimmt, nicht vorbereitet und – wie wir wissen – auch nicht zuständig kündigt Sebastian Kurz am 13. März damals in einer seiner Pressekonferenzen eine Quarantäne für das Paznauntal und Sankt Anton an. Ja, wir haben bereits gehört, was das zur Folge hatte. Es löste genau das aus, was immer passiert, wenn man nicht abgestimmt ist, wenn man nicht vorbereitet ist: Man löst Panik und Chaos aus. Also wenn man eines im Krisen­management lernt, dann dass man zwei Dinge unbedingt vermeiden muss, nämlich Pa­nik und Chaos. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Panik und Chaos haben genau zum Gegenteil einer Viruseindämmung geführt, sie ha­ben dazu geführt, und das haben wir auch schon gehört, dass Zehntausende Urlauber sich von einer Stunde zur nächsten in Busse gesetzt haben, dicht gedrängt, auch in Züge, und das Land verlassen haben. Genau dieses Chaos hat bei der Virusverbreitung in Europa wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Das war die Folge einer nicht vorberei­teten Pressekonferenz außerhalb des Zuständigkeitsbereichs. Aber alles hat im Großen und Ganzen sehr gut funktioniert – laut Sebastian Kurz.

Diese Einschätzung teilt er im Übrigen in Österreich nur mit einem, und das ist der Tiroler Gesundheitslandesrat Tilg. Auch der kam heute schon zur Sprache, weil er in einem legendären „ZIB 2“-Interview ebenfalls die Meinung vertreten hat, alles richtig gemacht zu haben. Man kann also annehmen, dass Sie zumindest in dieser Frage sehr gut mit­einander abgestimmt sind.

Ob mich das fröhlich stimmt? – Nein, sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.) Die bisher bekannten Fakten und der Bericht der unabhängigen Kommission zei­gen nämlich ein völlig anderes Bild, sie zeichnen ein Bild des Multiorganversagens. Sie zeichnen ein Bild des Brechens aller Regeln des Krisenmanagements. Das ist der Suk­kus des Berichts der unabhängigen Tiroler Expertenkommission. Und ich bin dankbar und froh, dass diese Kommission letztlich auch auf Druck und Initiative der SPÖ Tirol zustande gekommen ist und vieles ans Tageslicht gebracht hat. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Dornauer! Dornauer!) – Genau.

Diese Kommission, das wissen wir heute und das war der Auftrag, hat unter erheblichem Zeitdruck gearbeitet. Umso bemerkenswerter ist, wie umfassend und gut dieser Bericht am Ende geworden ist. Eines ist aber klar: Es konnte nicht alles aufgearbeitet werden. Da wurden viele Fragen aufgeworfen, die es in den nächsten Wochen und Monaten noch zu beantworten gilt.

Die heutige Dringliche Anfrage empfinde ich als einen wichtigen weiteren Schritt auf dem Weg der notwendigen parlamentarischen Aufklärung. Diese Aufklärung, sehr geehrte Damen und Herren, ist notwendig, weil es wichtig ist, aus Fehlern so schnell wie möglich und so rasch wie möglich zu lernen, denn Ischgl, und das haben Sie bereits gesagt, Herr Bundesminister, darf sich nicht wiederholen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hörl: Pande­miekonzept? Was ist Ihr Pandemiekonzept?)

Es ist wichtig – für die Bevölkerung, für uns als Parlament, aber vor allem auch für Sie als zuständige Behörde –, zu wissen, warum da eigentlich erst tagelang verzögert ge­handelt wurde. Warum wurde acht Tage nicht entschieden? – Acht Tage: eine lange Zeit, eine wertvolle Zeit.

Warum hat die Regierung einfach nur zugesehen oder weggeschaut? Warum wurde acht Tage lang innerhalb der Bundesregierung und innerhalb des Landes Tirol Verant­wortung herumgeschoben und abgeschoben? Bei einer Gesundheitskrise zählt nämlich jede Stunde, zählt jeder Tag – das ist aber kein Coronaspezifikum, das ist nicht überra­schend, das ist nichts Neues für uns, das hätte schon bekannt sein sollen –, und gerade wenn es um Infektionen geht, dann wird durch Zögern und Warten vor allem eines ge­fährlich (Zwischenruf der Abg. Kirchbaumer): dass es zu einer unkontrollierten weiteren Ausbreitung kommt und dass aus einem Virusschneeball eine Coronalawine wird. In acht Tagen ist es eine solche geworden, die ganz Europa erfasst hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Nun lassen Sie mich zum Schluss kommen – und zu einem ganz wichtigen Punkt, den ich und den wir als SPÖ seit März vehement einfordern, auch hier im Hohen Haus: Das ist Verantwortung. Das ist zentrale Verantwortung (Abg. Hörl: Wo war Ihr Konzept? Wo war Ihr Konzept?) im Kampf gegen eine Pandemie, die eine solche Dimension hat, im Kampf gegen eine Gesundheitskrise, die eine Jahrhundertkrise ist. Dieser Kampf kann nur mit einer klaren Verantwortung, mit einer zentralen Steuerung und einer zentralen Koordinierung erfolgreich sein. (Zwischenruf des Abg. Wöginger.) Ja, denn erst diese Klarheit ist Basis, Herr Wöginger, für rasches Handeln und für rasches Entscheiden. (Abg. Wöginger: ... der SPÖ!)

Genau das, dieses rasche Handeln, diese Entschlossenheit, hat in Ischgl gefehlt. Genau das war der Fehler in Ischgl: die fehlende Entscheidung, die fehlende Verantwortung – und wenn Sie so wollen, ist Ischgl die Offenbarung der Verantwortungslosigkeit (Heiter­keit der Abg. Kirchbaumer) des Coronakrisenmanagements unserer Republik. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn dieser Expertenbericht jedoch eines ermöglicht, dann die Chance, aus diesen Fehlern, die aufgezeigt wurden, zu lernen. Übernehmen Sie bitte diese Verantwortung, Herr Bundesminister, und da meine ich auch die restliche Bundesregierung. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

16.42

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Kaniak. – Bitte. (Abg. Wöginger: ... Dornauer!)