13.59

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Regierungsmitglieder! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei allem Dank, den wir jetzt gehört haben: Ich weiß nicht, wie es euch allen, kurz vor Weihnachten, geht, wenn ihr an die Menschen denkt, die diese Krise sehr hart trifft, die vielleicht sogar Angehörige verloren haben. Mir fällt immer ein, wie eine Mutter, die ihren Job verloren hat – sie hat mir das telefonisch mitgeteilt –, jetzt vor Weihnachten zu Hause sitzt. Wie soll sie ihrer Tochter, die nicht hat in die Schule gehen können, Hoffnung und Zuversicht geben? Es gibt Betriebe, die nicht wissen, wie es weitergeht, Menschen, die um ihre Existenz bangen.

Wie kann es sein, wenn man weiß, wie es den Menschen in Österreich gerade geht – wie wir vom Herrn Bundeskanzler und vom Herrn Vizekanzler gehört haben –, dass man das Gefühl hat, es geht eigentlich nur um einen Beliebtheitswettbewerb? Sebastian Kurz hat mehrmals erklärt, wie gut man sei, wie entschlossen man nicht agiert habe, Werner Kogler hat sehr oft erklärt, wie toll wir durch die Krise gekommen sind: Wir in Österreich haben in Europa einmalig reagiert, das ist eine Erfolgsgeschichte! (Präsidentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Denkt man jetzt an diese Mutter, die ihrer Tochter vor Weihnachten Zuversicht geben soll: Hat die irgendetwas davon, wenn uns die Bundesregierung erklärt, wie super die Bundesregierung ist? (Zwischenruf bei der ÖVP.) Haben wir irgendetwas davon, wenn wir uns gegenseitig Gschichtln erzählen, anstatt kritisch zu überlegen, wie wir es besser machen können? (Zwischenruf des Abg. Deimek.)

Bei jedem Einsatz im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr überlegt man sich nach dem Einsatz, bei der Krisenevaluierung und auch mittendrin: Was hätte man besser machen können? Niemand hat etwas davon, wenn wir jetzt Gschichtln drucken und uns erzählen, wie toll Österreich ist. Die Zahlen in Österreich sind im November – in Relation – so hoch gewesen wie nirgendwo sonst auf der Welt. Heute hören wir, das ist eine einmalige Erfolgsgeschichte. Das ist den Menschen gegenüber, die stark betroffen sind, eine unwürdige Erzählung. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Sebastian Kurz – ich sage es dir jetzt ganz offen, bei allem persönlichen Einsatz –, du hast gesagt, wir müssen bei den Testungen auf indirekten Zwang setzen, es ist not­wendig, es ist der Ausweg, der geblieben ist. Ich frage jetzt ganz ehrlich – mitten in der Krise ist das für mich eigentlich dramatisch –: Was ist denn passiert, dass du persönlich das Vertrauen verloren hast, dass du nicht mehr in der Lage bist, die Menschen mitzunehmen, zu überzeugen? Wann ist die Kraft der Überzeugung – du hast gesagt, du kannst Menschen dafür begeistern, dass sie sich testen lassen – verloren gegangen? Mitten in dieser Krise ist doch irgendetwas passiert!

Indem wir uns gegenseitig anlügen, wird es nicht besser werden. Sebastian, war es vertrauensbildend, als du gesagt hast, man muss den Menschen Angst einjagen, man muss ihnen erzählen, dass Oma und Opa vielleicht sterben werden? War es vertrauens­bildend, als du im Kleinwalsertal Selfies gemacht hast? War es vertrauensbildend, als die Coronaapp kaputt gemacht wurde? War das, was in Österreich mit der Teststrategie passiert ist, vertrauensbildend? Da sind doch viele, viele Dinge nicht so gelaufen, wie sie hätten laufen sollen. (Abg. Melchior: Jetzt ist es aber genug ...! – Zwischenruf der Abg. Pfurtscheller.)

Sebastian, wenn wir nicht ändern, wie du über die Opposition drüberfährst, wenn wir diesen Weg nicht ändern, wenn wir nicht miteinander schauen, dass wir diese Krise ideal lösen, dann wird es auch nicht besser werden. Es ist leider sehr, sehr viel passiert, das Vertrauen gekostet hat. Gerade vor Weihnachten müssten wir darüber nachdenken, wie wir da wieder besser werden können. Sebastian, Selbstlob bringt uns nicht weiter. (Beifall bei der SPÖ.)

Andere Staaten haben sehr kritisch überlegt, was man denn besser machen kann, weil es eben um Menschenleben geht – das ist ja kein Spiel, das ist kein Beliebtheits­wett­bewerb, bei dem man mit einem verkleideten Babyelefanten posiert und sich fotogra­fieren lässt. Das löst doch keine Probleme in Österreich! Schauen wir doch, dass wir besser werden und das Krisenmanagement verbessern! (Zwischenrufe der Abgeord­neten Melchior, Ottenschläger und Pfurtscheller.)

Ich frage auch offen – betreffend die Kritik an der ÖVP –: Sebastian, was hat dich denn aufgehalten? Was hat dich aufgehalten, eine Teststrategie für die Pflegeheime zu entwickeln? Was hat dich aufgehalten, im Sommer die Schulen sicherer zu machen? Was hat dich aufgehalten, gewisse Berufsgruppen jetzt schon proaktiv zu testen? Wir haben da so viele Vorschläge gehört. Pamela Rendi-Wagner – weil das heute oft angesprochen wurde – schlägt seit Mai vor, die Screeningprogramme auszuweiten, die Teststrategie zu verbessern, sensible Berufsgruppen proaktiv zu testen. Wir diskutieren das seit Mai (Zwischenruf des Abg. Lausch), irgendwann im Jänner soll es – spät, aber doch – umgesetzt werden. Das ist leider der österreichische Weg.

Andere Staaten haben gesagt: Man setzt auf Expertinnen und Experten und holt sie mit an Bord. In Österreich hat die Politik gesagt: Wir machen das alles allein! Wir brauchen keinen Christian Drosten, wir haben Elli Köstinger! Die wird das mit den Testungen schon hinkriegen! – So funktioniert doch Krisenmanagement nicht! Da geht es um Menschen­leben! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Brandstätter.)

Ich bitte jetzt wirklich, gerade vor Weihnachten: Erzählen wir uns bitte nicht gegenseitig, was wir heute gehört haben, erzählen wir uns nicht gegenseitig, wie super Österreich ist – das ist blanker Hohn, wenn man den Menschen in die Augen schaut, die jetzt zum Beispiel gerade im Krankenhaus arbeiten! (Ruf bei der ÖVP: Es ist blanker Hohn, was du daherredest!) Überlegen wir uns bitte über die Weihnachtsfeiertage, was in Österreich eben nicht funktioniert hat und wie wir es gemeinsam besser machen können! Von dem Lob, das sich Kanzler und Vizekanzler jetzt gegenseitig ausrichten – wie super sie sind –, hat kein Mensch in Österreich, der von dieser Krise betroffen ist, etwas. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Zwischenruf des Abg. Martin Graf.)

14.04

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Gabriela Schwarz. – Bitte.