15.42

Abgeordnete Dr. Stephanie Krisper (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Regie­rungs­mitglieder! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause! Heute ist wieder viel Emotion im Raum. Viel Emotion haben auch wir NEOS, weil es darum geht, Rechtsstaat, Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen, die wir insbesondere auch durch Sie, Herr Innenminister Nehammer, gefährdet sehen. Und dann müssen wir uns gerade auch von Ihnen noch anhören: Recht muss Recht bleiben!

So auch im Falle der Abschiebung von Tina letzte Woche: Tina wurde, wie auch ihre Schwester, hier in Österreich geboren, war bestens integriert, ging in die 2. Klasse Gymnasium. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler verstehen die Welt nicht mehr und haben dementsprechend am Nachmittag vor der Abschiebung demonstriert. Danach gingen über 600 Menschen in Graz und Innsbruck auf die Straße, weil eben nicht zu verstehen ist, was hier besser wird, wenn diese Kinder abgeschoben werden.

Sie meinten, das musste sein, alles andere wäre Amtsmissbrauch gewesen. – Das stimmt nicht! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.) Kein Gesetz der Welt hat Sie zu einer Abschiebung gezwungen. Es war Ihre Entscheidung, die Kinder mitten in einer Pandemie im Winter abzuschieben. Sie haben versprochen, sich den Fall und das Recht anzusehen. Das haben Sie nicht gemacht! Was Sie gemacht haben, ist das, was Sie wahnsinnig gut können, so wie nach dem Terroranschlag am 2. November, nämlich die Schuld auf andere schieben. Sie haben die Schuld dieses Mal so wie schon damals fälschlicherweise – wobei die Untersuchungskommission schon aufzeigen konnte, dass das fälschlicherweise so war – wieder einmal auf die Justiz geschoben.

Sie meinen im Nachhinein auch hier, die Unabhängigkeit der Justiz wäre berührt ge­wesen, wenn die Verwaltungsbehörden in diesem Fall zu einer anderen Entscheidung gekommen wären. Das ist – im Gegenteil! – hier nicht der Fall. Hätten Sie, wie ver­sprochen, inhaltlich geprüft, wäre das nicht nur rechtens gewesen – die gesetzlichen Bestimmungen hätten das hergegeben –, sondern die Behörden wären sogar dazu verpflichtet gewesen, vor der Abschiebung das Kindeswohl noch einmal zu prüfen (Abg. Mahrer: Das wurde getan!), insbesondere in diesem Fall, in dem die letzte inhaltliche Entscheidung des BVwG über eineinhalb Jahre her ist und davor keine höchstge­richtliche Entscheidung in dieser Phase, wie Sie behauptet haben, von einem Höchst­gericht ergangen ist.

In jedem Fall hätten Sie kurz vor der Abschiebung noch einmal das Kindeswohl prüfen müssen, und es bleibt Ihr Versagen, dass Recht eben nicht Recht geblieben ist. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

Noch dazu wurde – apropos Recht muss Recht bleiben – im Mai 2020 für die Kinder ein Antrag auf Bleiberecht nach § 55 Asylgesetz eingebracht. Dieser wurde nicht in der gesetzlich vorgesehenen sechsmonatigen Frist bearbeitet, es wurde bis heute nicht entschieden. Sie verteidigen auch dieses Vorgehen Ihrer Behörde. Wie sollen wir jemandem wie Ihnen vertrauen?

In Ihrer Not gehen Sie dann auch noch auf die Mutter los. Ich möchte Ihnen aber sagen: Es gibt keine Sippenhaftung. Tina ist ein eigenständiges Wesen und hat eigene subjektive Menschenrechte. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Grünen.) Ihr Kindeswohl ist zu schützen, insbesondere wenn sie schon in Österreich so alt geworden ist, dass auch der EGMR meint, dass sie schon aus dem Adaptable Age betreffend das Herkunftsland heraus ist.

Was können wir nun tun, um dieses mangelnde Rechtsbewusstsein des Herrn Innen­ministers, unterstützend für die Menschenrechte, ein bisschen abzufedern? – Es gibt nämlich abseits dieses Falls viele Fälle, in denen Menschen im Dunkeln, im Stillen abgeschoben werden, gut integrierte Familien, die eben glauben, sie bekommen noch ein humanitäres Bleiberecht, wenn sie leise bleiben und nicht in die Medien gehen.

In dem Flieger mit Tina saß eine armenische Familie, die nur einen Asylantrag gestellt hat, viele Jahre hier war und von der ein Sohn in einer der Lehre gleichzustellenden Ausbildung steckte. Es sind viele Fälle, die unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungs­schwelle bleiben.

Was tun wir für diese Fälle? – Da wir NEOS uns dessen schon länger gewahr sind, haben wir ja im Innenausschuss einen Antrag liegen, der ein Anhörungsrecht der Länder und Gemeinden vorsieht, weil diese ein viel besseres Gespür dafür haben, wie gut die Menschen bei uns integriert sind und ob sie arbeitsmarktpolitisch nicht vernünftigerweise bei uns zu halten sind. Dieser Antrag liegt schon im Innenausschuss und diesbezüglich hoffe ich auf Unterstützung der Grünen.

Weiters brauchen wir bei solch einem Innenminister anscheinend eine klare gesetzliche Regelung eines Abschiebestopps für in Österreich geborene minderjährige Kinder, die sechs Jahre rechtmäßig hier aufhältig waren.

Damit Sie das tun, was Sie versprochen haben und bei dem Ihre Behörde säumig ist, stelle ich hiermit folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Prüfung von Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG hinsichtlich der am 28.1.2021 nach Georgien abgeschobenen Mädchen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Prüfung des anhängigen Antrags auf ,humanitärem Bleibe­recht‘ (§ 55 AsylG iVm Art 8 EMRK) der am 28.01.2021 nach Georgien abgeschobenen Mädchen unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls ehestmöglich abge­schlos­sen bzw. von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung eines ,humanitärem Blei­berechts‘ durchgeführt wird.“

*****

Ansonst sollten Sie sich im Innenministerium darauf konzentrieren, dass Terrorattentate verhindert werden, dass nicht dabei zugeschaut wird, wie Neonazis sich für einen Krieg rüsten, und dass Milliardenbetrüger dingfest gemacht werden, anstatt dass man ihnen bei der Flucht hilft. Unser Vertrauen darauf, dass Sie das machen, ist dahin, Herr Minis­ter. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

15.48

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Prüfung von Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG hinsichtlich der am 28.1.2021 nach Georgien abgeschobenen Mädchen

eingebracht im Zuge der Debatte in der 81. Sitzung des Nationalrats über ein aus­reichend unterstütztes Verlangen gemäß § 46 Abs. 6 des Geschäftsordnungsgesetzes der FPÖ mit dem Titel "Für die Freiheit – Gegen Zwang, Willkür und Rechtsbruch!"

Wie in der dringlichen Anfrage angeschnitten, findet derzeit eine Diskussion über die Rolle des Sicherheitsapparates im Zusammenhang mit der Durchsetzung verfassungs­rechtlich höchst bedenklicher, unverhältnismäßiger und grundrechtswidriger Maßnah­men statt. Diese Frage wird auch im Zusammenhang mit der in der Nacht vom 27. auf den 28. Jänner 2021 durchgeführten Abschiebung zweier Schülerinnen nach Georgien debattiert.

In den darauffolgenden Tagen haben hunderte Menschen von ihrem Recht auf Ver­samm­lungsfreiheit Gebrauch gemacht und gegen die Abschiebungen der Kinder mitten in der Corona-Pandemie demonstriert, so sind etwa in Graz und in Innsbruck über 600 Leute auf die Straße gegangen. Die Demonstration in Innsbruck am 30.01.2021 wurde von der Polizei aufgelöst. Auch am Nachmittag vor der Abschiebung am 27.01.2021 wurde bereits vor dem Familienanhaltezentrum Zinnergasse gegen die für die Morgen­stunden des nächsten Tages geplante Abschiebung von Tina und ihrer Schwester demonstriert. Auch in der Nacht der Abschiebung fanden sich Personen vor dem Fa­milienanhaltezentrum zusammen. Vielen war dies ein Anliegen, um dem wartenden Vater zur Seite zu stehen. Die zwei Mädchen und andere Kinder, die von der Abschiebung betroffen waren, mussten durch die eskalierende Dynamik stundenlang im Auto sitzen und das emotionale Geschehen miterleben. 

Durch Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt wurde eine Entscheidung durch­gesetzt, deren Überprüfung Innenminister Nehammer zugesagt hatte. Um dies im Nach­hinein zu verteidigen, berief sich Minister Nehammer auf einen angeblich anderweitig begehenden Amtsmissbrauch, die vermeintlich das Absehen von der Abschiebung nicht ermöglichende Rechtslage, eine rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungs­gerichts (diese datiert jedoch vom September 2019) und eine Entscheidung eines Höchstgerichtes (der Verwaltungsgerichtshof fasste seinen Beschluss in dem Verfahren im Dezember 2019, die sich jedoch nicht inhaltlich mit dem Fall auseinandersetzt).

Bei Entscheidungen, die Familien und Kinder betreffen, ist im besonderen Maße das Kindeswohl zu beachten: Gemäß Art 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, Art 3 UN-Kinderrechtskonvention und Art 24 EU-Grundrechtecharta muss das Wohl des Kindes bei jeder Maßnahme durch öffentliche oder private Stellen vorrangige Erwägung sein. Auch bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ist das Kindeswohl daher vorrangig zu berücksichtigen. 

Im konkreten Fall hätte eine Prüfung hinsichtlich des Kindeswohl nochmals vorge­nommen werden müssen, weil die letzte inhaltliche Entscheidung des Bundesverwal­tungsgerichts bereits eineinhalb Jahr her und daher nicht ausreichend rezent ist. Dies insbesondere in einem derartigen Fall, in dem die betroffene Person sich nicht mehr in dem "adaptable age" (siehe Rechtsprechung des EGMR) befindet. 

Medienberichten zufolge hat Innenminister Nehammer eine "gründliche Prüfung" der Fälle vor der Abschiebung zwar zugesagt. Eine inhaltliche Prüfung im Sinne einer Abwä­gung mit Blick auf das Kindeswohl ist aber nicht bekannt, nur ein Auflisten der obigen Argumente.

Dazu kommt, dass für die beiden Mädchen schon im Mai 2020 ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG gestellt wurde. Eine Entscheidung des Bundesamtes von Fremdenwesen und Asyl ist nicht bekannt, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehene Frist von sechs Monaten schon längst verstrichen ist. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Prüfung des anhängigen Antrags auf "humanitärem Bleibe­recht" (§ 55 AsylG iVm Art 8 EMRK) der am 28.01.2021 nach Georgien abgeschobenen Mädchen unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls ehestmöglich abge­schlos­sen bzw. von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung eines "humanitärem Bleibe­rechts" durchgeführt wird."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steger. – Bitte.