16.34

Abgeordneter Ing. Reinhold Einwallner (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine sehr ge­schätzten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Satz in Richtung der grünen Abgeordneten beginnen, die jetzt hier zum wiederholten Mal argumentieren, sie könnten unseren Anträgen nicht zustimmen, weil diese ja sowieso keine Mehrheit hier im Haus fänden. Da muss ich Ihnen eines ausrichten: Sie haben offenbar ein falsches Verständ­nis von Parlamentarismus – ich schaue mir den Inhalt der Anträge an und entscheide dann, ob ich zustimme oder nicht, und entscheide nicht danach, ob sie dann vielleicht eine Mehrheit bekommen oder nicht! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der NEOS sowie der Abg. Fürst.)

Meine Damen und Herren, die heutige Sondersitzung gibt uns die Möglichkeit, über grundlegende Haltungen dieser Bundesregierung und des Innenministers zu sprechen. Zum einen geht es um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und des Demons­tra­tionsrechtes, eines sehr hart erkämpftes Rechts, das gesetzlich gut verankert ist, in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, aber auch in unserem Staatsgrund­gesetz.

Das ist ein Recht, das es zu wahren gilt, und dieses Recht steht nicht im Widerspruch zur Bekämpfung der Pandemie, so wie es der Minister darstellt, nein! Die Aufgabe des Innenministers ist es, auf der einen Seite darauf zu achten, dass die Grund- und Freiheitsrechte respektiert werden, und auf der anderen Seite darauf, dass Maßnahmen so gesetzt werden, dass der Schutz vor der Pandemie berücksichtigt wird und Vorgaben für eine Demonstration gemacht werden.

Das Nichtzulassen von Demonstrationen führt genau zu dem, was wir am Sonntag gesehen haben: dass die Lage unkontrolliert ist, dass sie für die Polizistinnen und Poli­zisten schwer abschätzbar ist und eigentlich im Chaos endet – das soll nicht sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Es war die denkbar schlechteste Variante, die der Innenminister gewählt hat, eine totale Fehleinschätzung der Situation, die der Innenminister getätigt hat, denn diese hat zu dieser Situation geführt, die kaum mehr zu beherrschen war.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt aber auch noch zu einem weiteren Thema kommen, das wir heute im Laufe der Debatte schon behandelt haben: Die Vor­gangsweise der Regierung, und im Speziellen des Innenministers, bei den Abschie­bungen bereits bestens integrierter, in Österreich geborener Kinder ist schlicht und einfach unerträglich, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Hamann.)

Nicht nur die Vorgangsweise an sich ist unerträglich, dass man dort bei diesen Abschie­bungen mit Polizeihunden und mit der Wega aufmarschiert, nein: Was noch verwerflicher ist, ist eigentlich die Absicht, die dahintersteht. Klubobfrau Maurer hat es im „Report“ gesagt: Es war ein Ablenkungsmanöver, Herr Minister, und das ist eigentlich das Beschämende – ein Kurz-Nehammer-Medientrick auf dem Rücken von Kindern! Das akzeptieren wir nicht! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Fürst.)

Herr Innenminister, das sind zwei ganz entscheidende Punkte, die sich in eine Fehler­kette einreihen, die seit Beginn Ihrer Amtszeit vorhanden ist. Über ein Jahr lang reiht sich in Ihrem Ressort und in Ihrer Amtsführung ein Fehler an den anderen – das Ver­trauen ist erschöpft, Herr Innenminister! (Bundesminister Nehammer: Welches?)

Ich bringe daher einen entsprechenden Antrag ein:

Misstrauensantrag

der Abgeordneten Ing. Reinhold Einwallner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ver­sagen des Vertrauens gegenüber dem Bundesminister für Inneres“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundesminister für Inneres wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrats das Vertrauen versagt.“

*****

Meine Damen und Herren von den Grünen! Wir geben Ihnen heute hier die Möglichkeit und die Chance, Haltung zu zeigen, wenn es darum geht, wie mit den Grund- und Freiheitsrechten in unserem Land umgegangen wird, Haltung zu zeigen, wenn es darum geht, wie wir zukünftig mit dem humanitären Bleiberecht umgehen. – Danke schön. (Bei­fall bei der SPÖ.)

16.39

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Misstrauensantrag

gemäß § 55 GOG-NR

der Abgeordneten Ing. Reinhold Einwallner, Mag. Jörg Leichtfried,

Genossinnen und Genossen

betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber dem Bundesminister für Inneres

eingebracht im Zuge der Debatte über die Dringliche Anfrage betreffend „Für die Frei­heit – gegen Zwang, Willkür und Rechtsbruch!“

Begründung

Seit 7. Jänner 2020 trägt Karl Nehammer die politische und rechtliche Verantwortung für das Bundesministerium für Inneres. Die dreizehn-monatige Amtszeit von Karl Nehammer zeichnet sich durch Härteentscheidungen gegen Kinder, Skandale, Behördenversagen und durch Eingriffe in hart erworbene Grundrechte aus.

Karl Nehammer trägt die Verantwortung für die Abschiebung von Kindern, die sich langjährig in Österreich aufgehalten haben, zum Teil sogar in Österreich geboren wurden, die Schule besuchten und als gut integriert galten. Nehammer und seine ihm unterstellten Behörden negierten dabei das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder und andere europäische Normen, welche bei solchen Entscheidungen dem Kindeswohl Vorrang einräumen. Trotz politischer Bemühungen und den Bemühungen der Zivilgesellschaft wurden aus parteipolitischen Motiven Härte und Kompromiss­losig­keit höher bewertet als die Rechte vulnerabler Gruppen und deren Schicksal. Gegen die Schüler*innen, die gegen die Abschiebung protestierten, wurde mit einer Einheit der WEGA und einer Hundestaffel vorgegangen. Es ging Nehammer dabei nie um das Kindeswohl, sondern nur um politischen Populismus.

Als populistisch muss auch die Vorgangsweise der Bundesregierung und insbesondere des Innenministers im Zusammenhang mit den humanitär unerträglichen Flüchtlings­lagern in Lesbos bezeichnet werden, in welchen die dort lebenden Kinder besonders unter den unmenschlichen Bedingungen leiden. Anstatt durch die Aufnahme von hundert Kindern effizient Hilfe zu leisten, machte Nehammer daraus eine Medienshow, brachte Hilfsgüter persönlich nach Griechenland, die Monate später noch immer nicht bei den frierenden Menschen angekommen waren. Aus dem Leid der Kinder Pressebilder zu erzeugen, darf in einer humanistischen Gesellschaft nicht toleriert werden, ein Innen­minister, der solche Bilder erzeugt, um von der Untätigkeit der Bundesregierung beim humanitären Engagement abzulenken, hat unser Vertrauen verloren.

Das bereits schwer angeschlagene Bundesamt für Verfassungsschutz und Terroris­mus­bekämpfung taumelte in seiner Amtszeit weiter von Skandal zu Skandal, die in Aussicht genommene Neuaufstellung stockt, das Parlament ist in die Reform nur unzureichend eingebunden. Nunmehr wurde auch bekannt, dass der wegen Betruges in Milliarden­höhe gesuchte Jan Marsalek laufende Geschäftsbeziehungen mit dem BVT hatte. Ein ehemaliger Abteilungsleiter des BVT soll Marsalek bei seiner Flucht geholfen haben. Das Ansehen des BVT verschlechterte sich international weiter, da es nunmehr auch zum Thema im Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages wurde.

Für die SPÖ wurde Karl Nehammer aber bereits im Zusammenhang mit dem Terror­anschlag in Wien am 2. November 2020 untragbar. Wie auch die von ihm selbst eingesetzte Untersuchungskommission in ihrem Zwischenbericht feststellte, lag grobes Behördenversagen im Innenministerium vor. Trotz Hinweise auf eine Radikalisierung des späteren Täters und trotz Bekanntwerdens des Versuchs, im Ausland Munition zu kaufen, unternahmen die zuständigen Behörden zunächst nichts und reagierten in Folge zu spät. Hinweise blieben ein Monat lang unbearbeitet, die Kommunikation zwischen BVT und den LVTs funktioniert nicht reibungslos. Gleichzeitig wurde von der Unter­suchungskommission festgehalten, dass bei den strafrechtlichen Bestimmungen zur Bekämpfung des Terrorismus keine Änderungen notwendig sind, da keine Lücken vorliegen. Um von seiner Verantwortung abzulenken, patzten er und der Bundeskanzler zunächst das Justizministerium an, dann wurde ein großes Terror-Bekämpfungspaket geschnürt, welches in Begutachtung geschickt und dort von Expertinnen und Experten in vielerlei Hinsicht kritisiert wurde. Anzumerken bleibt, dass bis heute der Abschluss­bericht der Kommission noch immer nicht vorliegt, daher konnte er auch nicht für weitere Strategien berücksichtigt werden.

Nach den Entscheidungen, die zu den skandalösen Bildern am Sonntag, den 31. Jänner 2021 in Wien führten, ist aber Karl Nehammer endgültig in seiner Funktion als Innen­minister nicht mehr tragbar. Die Versammlungsfreiheit ist eines der am härtesten erkämpften Grundrechte, die es gibt. Sie ist daher sowohl im österreichischen Staats­grundgesetz, in der EMRK und in der Grundrechtecharta der EU verankert. Die SPÖ sieht die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit extrem kritisch. Auch am Sonntag war die Untersagung der Veranstaltung auf diese Art und Weise die falsche Entschei­dung.

In der Pandemie-Situation ist es wesentlich, dass es bei Demonstrationen klare Auflagen gibt: Menschen haben das Recht zu demonstrieren, aber ohne andere Menschen ge­sund­heitlich zu gefährden. So könnte etwa vom Veranstalter eingefordert werden, dass dieser bereits im Vorfeld nachweist, dass er durch einen Ordnungsdienst die Einhaltung dieser behördlichen Auflagen gewährleisten kann. Die Einhaltung dieser Auflagen ist durch die Polizei zu kontrollieren und gegebenenfalls zu sanktionieren. Dies kann bis zur Auflösung der Versammlung führen.

Für die Demonstration am Sonntag wäre das die rechtlich gebotene Vorgehensweise gewesen. Die Untersagung einer Demonstration – die dann dennoch – unter chaoti­schen Bedingungen und ohne Einhaltung von gesundheitsschützenden Auflagen stattfindet, war jedenfalls die schlechteste Variante.

Ein Innenminister, der die zentralen europäischen und österreichischen Grundrechte achtet, hätte daher im Vorfeld den Organisatoren der Versammlung strikte Auflagen erteilen müssen, wie die Versammlung unter den gegebenen gesundheitlichen Bedin­gungen stattfinden kann, und sie darauf hinweisen müssen, dass sie für die Einhaltung dieser Vorschriften verantwortlich sind. Denn das Versammlungsrecht ist so ein bedeut­sames Grundrecht, dass es auch in gesundheitlich herausfordernden Zeiten nicht zur Gänze den Bürgerinnen und Bürgern entzogen werden darf. Hätten die Organisatoren auf die Einhaltung nicht geachtet und wären Verstöße gegen Auflagen, die dem Gesund­heitsschutz dienen, vorgefallen, hätte die Versammlung von den Behörden aufgelöst werden müssen.

Mit seinem Verhalten trägt Innenminister Karl Nehammer in einer von Krisengefühlen und Zukunftsängsten geprägten Zeit wissentlich zu einer Spaltung der österreichischen Gesellschaft bei und gefährdet damit insgesamt den demokratischen Rechtsstaat. Die österreichische Gesellschaft benötigt in diesen herausfordernden Zeiten aber keinen Innenminister, der polarisiert und die Bürgerinnen und Bürger verunsichert, sondern einen Innenminister, der für den Zusammenhalt innerhalb der österreichischen Gesell­schaft steht.

Aus all den genannten Gründen stellen die unterfertigenden Abgeordneten daher folgen­den

Antrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundesminister für Inneres wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrats das Vertrauen versagt.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Misstrauensantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bedrana Ribo. – Bitte.