16.35

Abgeordneter Mag. Gerhard Kaniak (FPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Nun, wir unterhalten uns heute nicht nur darüber, dass Österreich weit nicht jene Impfstoffmenge bekommen hat, die es bis zum jetzigen Zeitpunkt schon bekommen hätte können, sondern wir unterhalten uns im Endeffekt darüber, dass die Risikogrup­pen, die über 75-Jährigen, die chronisch Kranken, die sehnsüchtig auf eine Impfung war­ten, diese nicht bekommen können, weil Österreich nicht rechtzeitig ausreichend Impf­stoff beschafft hat und nicht rechtzeitig entsprechende Organisationen auf die Füße ge­stellt hat, um die Verabreichung dieser Impfstoffe auch raschestmöglich zu bewerkstel­ligen.

Das ist eine politische Verantwortung, die in den letzten Tagen auf die Europäische Uni­on und auf einen einzelnen Spitzenbeamten abgeschoben wurde, die aber aus meiner Sicht, Herr Bundesminister, ganz klar bei Ihnen und auch beim Herrn Bundeskanzler liegt. Ich möchte hier auch ein bisschen auf die Chronologie eingehen. Schauen wir uns an, wie das Ganze entstanden ist:

Die Europäische Union hat durchaus rechtzeitig mit den Herstellern von Impfstoffen Ver­handlungen aufgenommen. Österreich hat das Glück gehabt, dass es auch in das Steue­rungsboard einen Spitzenbeamten entsenden konnte, der laufend direkt von den Ver­handlungsfortschritten berichten konnte – Sie haben es selber gesagt –; also auch die Verhandlungsgruppe hat diesem Steeringboard berichtet. Ich kann mich auch an einige Informationen von Ihnen selber erinnern, wo Sie im Rahmen des Gesundheitsausschus­ses über die Fortschritte berichtet haben.

So gesehen ist auch das Argument, dass Sie über die auf europäischer Ebene mit den Herstellern getroffenen Vereinbarungen nicht informiert waren und dass Sie nicht ge­wusst hätten, wie die Impfstoffverteilung danach unter den Mitgliedern stattfinden sollte, aus meiner Sicht vollkommen unglaubwürdig.

Was ist aber parallel passiert? – Der Herr Bundeskanzler ist zu einer Impfdiplomatie auf­gebrochen. Zunächst hat er die EMA aufgefordert, von wissenschaftlichen Kriterien ab­zuweichen und eine möglichst schnelle Zulassung der Impfstoffe auch außerhalb der Sicherheitsbedenken der EMA, der Zulassungsbehörde, zu erwirken – ein beispielloses Vorgehen des Herrn Bundeskanzlers, das auch schon einmal die Glaubwürdigkeit der Republik Österreich und die Kompetenzen infrage gestellt hat.

Dann ging es weiter mit Reisen nach Israel in Kombination mit der dänischen Präsi­dentin, wo dann kritisiert wurde, dass zum Beispiel Deutschland Sonderkontingente des Biontech/Pfizer-Impfstoffs hat, die es sich schon gesichert hatte, bevor die Verhandlun­gen mit der EU überhaupt gelaufen sind. Auch diese Tatsachen und diese Ausnahmere­gelung, dass sozusagen Vorabfinanzierungen auch über zusätzliche Impfstoffkontingen­te entschädigt werden dürfen, das musste alles bekannt gewesen sein, man hat das aber auf der politischen Bühne international groß inszeniert.

Dann kam die Ankündigung: Ja, aber wir werden jetzt dafür eine Sputnik-Fabrik in Ös­terreich machen. – Fakt ist: In Österreich bekommen wir keine Sputnik-Produktion, dafür haben die Bayern und die Italiener eine.

Ich möchte nur einmal darstellen, was sich da alles abgespielt hat und was alles der Reputation Österreichs eigentlich geschadet hat und überhaupt kein konstruktiver Bei­trag dazu war, dass die österreichische Bevölkerung und vor allem die Risikogruppe auch tatsächlich zu einem Impfstoff kommt.

Aber vermutlich ist es auch nur darum gegangen, von den großen Problemen im Krisen­management im Herbst abzulenken, denn: Das, weswegen man im Frühling mit erho­benem Finger auf die Schweden gezeigt hat, wo sie beim Schutz der Bewohner der Alten- und Pflegeheime versagt haben, das haben wir im Herbst dann nachgeholt. Wir haben österreichweit in den Alten- und Pflegeheimen eine Infektionswelle gehabt, die furchtbarerweise zu sehr, sehr vielen Toten geführt hat. Genau in dieser Zeit ist der Bun­deskanzler durch das Weltgeschehen gereist und hat dort Druck gemacht, dass Impfstoff zugelassen wird, anstatt zu schauen, dass man mit den Maßnahmen, die im Land mög­lich gewesen wären, hier die Risikogruppe ausreichend schützt.

Nun, die Impfstoffhersteller haben aus meiner Sicht trotz alledem den bestmöglichen Job gemacht, und in wirklich kurzer Zeit und unter massivster Beschleunigung der Zulas­sungsstudien – aus meiner Sicht sogar einer zu starken Beschleunigung, ich hätte gerne mehr und noch mehr längerfristige Daten für die Zulassung gehabt, aber die EMA hat das anders entschieden – wurden die ersten Impfstoffe dann im Dezember zugelassen.

Wie sind wir nach einem halben Jahr Verhandlungen mit den Herstellern, nach etlichen Diskussionen und Einsätzen, damit diese Impfstoffe so schnell wie möglich herkommen, dagestanden? – Wir fangen dann im Jänner damit an, einen nationalen Impfplan zu ent­wickeln, der dann noch wochenlang in Entwicklung war, nie konkretisiert wurde, wo Ihnen dann der Bundeskanzler wieder hineingegrätscht ist und den geplanten Impfstart ad hoc gleich einmal um eine Woche vorverlegt hat, was dann gar nicht funktioniert hat, weil die gesamte Logistik dafür noch nicht bereit war; also das reinste Tohuwabohu und Chaos.

Man fragt sich ja: Wieso haben Sie nicht die Monate davor schon für das Erstellen eines nationalen Impfplans genutzt, um die Strukturen aufzubauen? (Zwischenbemerkung von Bundesminister Anschober.) Wenn das Impfen der größte und einzige Lichtblick bei der Bewältigung dieser Krise war, warum hat man es dann nicht geschafft, einen halbwegs haltenden Plan für die Verteilung und Verabreichung dieser Impfungen zu machen? (Bei­fall bei der FPÖ sowie des Abg. Schroll.)

Es ist ja ganz klar: Man bräuchte natürlich entsprechend belastbare Strukturen für das Ganze – nicht nur in der Planung und Organisation im Ministerium. Ich glaube, dass die Kompetenzen in den verschiedenen Spezialbereichen durchaus vorhanden gewesen wären. Ich glaube auch, dass das österreichische Bundesheer sehr gut in der Lage ge­wesen wäre, die gesamte Impflogistik bis hin zur Verabreichung der Impfung general­stabsmäßig zu planen und durchzuführen. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Anschober.) Man hat das nur nicht zugelassen, zumindest am Anfang nicht. Man hat das Ganze zerspragelt, man hat das Ganze dann, nachdem man sich wochenlang nicht hat einigen können, in die Kompetenz der Bundesländer übergeben, sodass der nationa­le Impfplan nicht einmal mehr eine laue Richtlinie war.

Worin das Ganze gemündet hat, hat man dann auch daran gesehen, dass Ende Februar in Niederösterreich gerade einmal 20 Prozent der Impfdosen an die Hochrisikogruppe der über 75-Jährigen gegangen sind. In anderen Bundesländern waren es immerhin um die 50 Prozent. Von einem einheitlichen Vorgehen und einem gezielten Schutz der Hochrisikogruppe hat in den ersten Wochen des Impfgeschehens in Österreich definitiv nicht die Rede sein können, Herr Bundesminister! Ich glaube nicht, dass Sie das behaup­ten können! (Beifall bei der FPÖ sowie der Abg. Petra Wimmer.)

Es gibt dann von den Landesregierungen fast Hilferufe, zum Beispiel vom Oberösterrei­chischen Landtag, wo auf Initiative der ÖVP-FPÖ-Regierung eine Resolution zur Stär­kung des Gesundheitsdienstes erlassen worden ist, der ja in das Impfwesen auch ganz wesentlich miteingebunden ist. Jeder zusätzliche Amtsarzt, der systematisch impft, wäre natürlich eine große Hilfe gewesen. Was haben Sie mit der Resolution, die wir letzte Woche auch im Gesundheitsausschuss gehabt haben, gemacht? – Die Regierungsfrak­tionen haben diesen Antrag einfach mal vertagt; ist ja nicht wichtig, dass wir den Ge­sundheitsdienst stärken, dass wir mehr Kapazitäten bei den Amtsärzten schaffen, dass die Impfungen auch tatsächlich schneller durchgeführt werden! Ist ja alles nicht so wich­tig! Da akzeptieren wir lieber, dass zum Beispiel in Wien über 630 000 Menschen, die sich freiwillig gemeldet haben, auf einen Impftermin warten, aber weder der Impfstoff noch die Impfärzte da sind!

Das, Herr Bundesminister, fällt in Ihren Verantwortungsbereich, in Ihren Kompetenzbe­reich, und dafür werden Sie auch die politische Verantwortung übernehmen müssen! (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Schroll. – Bundesminister Anschober nickt.)

Dieses Versäumnis im Gesundheitsdienst, bei der Aufstockung des Gesundheitsdiens­tes, äußert sich auf vielen Ebenen. Es ist ja nicht nur so, dass die Impfungen nicht aus­reichend schnell durchgeführt werden. Sie rühmen sich damit, dass wir so viele Tes­tungen machen. Ja, das stimmt: Wir machen in absoluten Zahlen in Österreich pro Tag mehr Tests als ganz Deutschland; nur testen wir ziemlich sinnlos in die Gruppe der asymptomatischen Menschen hinein! Wir verursachen massive Belastungen für die Behörden durch falsch-positive Tests, ich erinnere nur an Wiener Neustadt mit über 50 Prozent falsch-positiven Ergebnissen bei den Tests, die dort durchgeführt wurden. Gleichzeitig haben wir die Gesundheitsbehörden, die das Contacttracing, die Kontakt­nachverfolgung, die Bescheiderstellung und das alles machen müssen, in keinster Wei­se ausreichend gestärkt; das heißt, Sie überlasten die Gesundheitsbehörden mit zu­sätzlichen Aufgaben und Fällen, sorgen aber gleichzeitig nicht für einen ausreichenden Ausbau in diesem Bereich.

Noch ein anderer Bereich hätte deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient, sowohl was per­sonelle Aufrüstung als auch finanzielle Unterstützung betrifft, und das ist eben der Spi­talsbereich mit den intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten. Ich argumentiere schon seit Monaten und verstehe bis heute nicht – und ich glaube, Sie können es mir auch nicht erklären –, wie es möglich ist, dass wir ein Jahr nach Beginn dieser größten Gesundheitskrise der Zweiten Republik noch immer exakt dieselbe Anzahl an intensiv­medizinischen Betten haben, dass 650 angeschaffte Beatmungsgeräte in unserem System offensichtlich vollkommen spurlos verschwinden, dass kein Mehr an Behand­lungskapazitäten entsteht. Zumindest wird offiziell nicht ausgewiesen, dass Reserve­kapazitäten im Bereich der Privatkliniken und ähnliche Sachen aktiviert würden, aufge­stockt würden. Stattdessen stellen wir die Sanitäter, die Rettungskräfte, die Pfleger und anderes medizinisches Personal in die Teststraßen.

Das ist für mich kein schlüssiges Vorgehen: Auf der einen Seite wird argumentiert, dass die Behandlungskapazitäten nicht ausreichen, und auf der anderen Seite bringen wir medizinisches Personal in unproduktive Bereiche, sodass die Nachverfolgung mit den behördlichen Kapazitäten gar nicht möglich ist.

Das alles, Herr Bundesminister, ist Ihr Verantwortungsbereich, Ihr Aufgabenbereich (Bundesminister Anschober nickt); und das wäre der Bereich, bei dem ich mir wünschen würde, dass Sie schleunigst im Sinne der Österreicher und Österreicherinnen aktiv wer­den, damit wir diese Krise auch tatsächlich konstruktiv überwinden. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Schroll.)

16.45

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Klubobfrau Maurer. – Bitte.