Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Die aktuellen Entwicklungen in der Türkei sind mehr als besorgniserregend, von der Zerschlagung der zweitgrößten Oppositionspartei HDP über die Unterdrückung jeglicher demokratischer Proteste bis natürlich hin zu Repression gegenüber Kritikern und Kritikerinnen. Wir haben das diese Woche bereits im EU-Hauptausschuss mit dem Kanzler und auch mit Ihnen immer wieder diskutiert.

Die Istanbulkonvention war auch gestern schon Thema hier im Plenum, es gab einen entsprechenden Antrag dazu. Wir wissen, es wäre naiv, zu glauben, dass Präsident Erdoğan aufgrund eines Antrages im österreichischen Parlament dieses Dekret jetzt zurücknimmt.

Nichtsdestotrotz lautet meine Frage: Welche Hebel sehen Sie, um Frauen-, Menschen-, Minderheitenrechte in der Türkei gerade jetzt, nach dem Austritt aus der Istanbulkon­vention, zu wahren, zu schützen, zu unterstützen?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 61/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie setzen Sie, Herr Bundesminister, sich bilateral und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, dafür ein, also welche konkreten Hebel gibt es, dass der Schutz und die Achtung von Frauen- und Menschenrechten innerhalb der Türkei, vor allem nach dem Austritt aus der Istanbul-Konvention sichergestellt wird?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Ich glaube, Sie haben vielleicht recht, deswegen sollte man nicht davon absehen, trotzdem öffentliche Erklärungen zu machen. Naming and Shaming ist, glaube ich, ein wesentlicher Punkt.

Was da in der Türkei geschehen ist, ist einfach ein Schlag ins Gesicht für jeden Men­schen, der sich für Frauenrechte einsetzt. Das ist ein Versuch, sozusagen mit vorgestri­gen Emotionen zynisch Politik zu machen, die Uhr ins 19. Jahrhundert zurückzudrehen, was Frauenrechte betrifft.

Das ist ja genau das, was wir beobachten: Es gab in letzter Zeit einige positive Elemente oder Signale aus der Türkei, zum Beispiel betreffend das östliche Mittelmeer, gleichzeitig aber kommen jetzt eben die Ankündigung des Verbots der größten Oppositionspartei und der Austritt aus der Istanbulkonvention, und das ist etwas, was wir als solches nicht einfach hinnehmen können und wo wir dann zur Tagesordnung zurückkehren.

Ich kann Ihnen versichern: Wir sind vor Ort sehr eng mit der EU-Delegation und anderen Botschaften vernetzt, um da auch Aktivitäten zu setzen, zum Beispiel Demarchen, natürlich auch auf europäischer Ebene, wobei ich aber hinzufügen muss: Wir haben ein gewisses Handicap, weil nicht alle EU-Mitgliedstaaten diese Konvention ratifiziert haben und es vor allem in einem Mitgliedstaat sogar eine Diskussion gibt, ob man nicht einen ähnlichen Schritt setzen sollte. Ich glaube, da ist es umso wichtiger, dass auch das österreichische Parlament dazu eine Position bezieht, denn wir müssen jetzt aufpassen, dass diese türkische Maßnahme nicht eine Lawine lostritt und wir plötzlich andere Staaten haben, die auch noch austreten.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Sie haben vollkommen recht, es darf natürlich jetzt nicht zu einer Kettenreaktion kommen, einige Staaten haben das gar nicht erst ratifiziert. Was da natürlich auffällt, ist, dass im Dekret die Argumentation für den Austritt eine ist, die schwer nachvollziehbar ist, nämlich dass die Istanbulkonvention von LGBT-Gruppierungen unterwandert werde.

Da merkt man natürlich ein gewisses Gedankengut dahinter und deswegen auch meine Zusatzfrage: Es geht nicht nur darum, welche Hebel wir haben, sondern auch um die Frage: Wie können Sie als Außenminister entsprechende Gespräche führen, um vor allem auch Minderheitenrechte, also die Rechte von LGBT-Personen, die es in der Türkei wirklich besonders schwer haben, zumindest zu unterstützen?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sie haben vollkommen recht, und es ist ja bemerkenswert bezie­hungsweise ein sehr sichtbares Beispiel, das zeigt, welche negative Entwicklung die Türkei eigentlich durchlaufen hat: Es war die Istanbulkonvention, sie wurde von Davutoğlu sozusagen noch voller Stolz unterzeichnet, und jetzt, wenige Jahre später, tritt genau dieses Land wieder aus.

Und ja, gerade auch die Rechte für LGBTIQ sind ein Thema, das wir auf allen Ebenen ansprechen. Wir haben auch im Menschenrechtsrat die erste gemeinsame Erklärung überhaupt zu diesem Thema erwirkt, und da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie zum Beispiel Prozessbeobachtung, dass wir uns mit den EU-Botschaften vor Ort zusammentun und sichtbar machen. Wir schauen nicht weg, das ist ein Thema, das ist auch Teil der Zusammenarbeit mit der EU, denken wir nur an das Stichwort Kopen­hagener Kriterien. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft, das gehört dazu.

Ich glaube, wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Türkei weltweit das Land mit der höchsten Mordrate an Transgenderpersonen ist. Das ist also ein Problem, das nicht nur eine Wertethematik zwischen der EU und der Türkei ist, sondern ein wirkliches Thema der Lebenssicherheit von Menschen, die dort leben. Und ich glaube, was ich bereits am Anfang gesagt habe, Naming und Shaming, Nichtwegschauen, Thematisie­ren, Öffentlichmachen sind ganz wesentliche Mittel in dem Zusammenhang.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Eine Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Bayr. – Bitte.

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Guten Morgen, Herr Minister! Sie haben es schon angesprochen: Der Austritt aus der Istanbulkonvention am Sonntag in der Früh war ja nur das Ende einer demokratiepolitisch ausgesprochen bedenklichen Woche in der Türkei. Ein paar Tage vorher hat ein türkisches Gericht befunden, dass die HDP, die drittgrößte Partei des Landes, verboten werden soll. Wir wissen über die Verfasstheit türkischer Gerichte, aber das würde quasi ein Politikverbot für 700 gewählte Mandatarin­nen und Mandatare bedeuten! Und by the way: Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, im speziellen Fall betreffend einen HDP-Politiker, wird damit komplett missachtet.

Was sind konkrete Schritte, die Sie setzen werden? Haben Sie die Herangehensweise des Gerichts an das HDP-Verbot schon verurteilt, und wenn nicht, was werden Sie tun, bilateral, aber auch gemeinsam im Konzert mit der EU?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Wir haben das klar verurteilt, und zwar nicht nur von Österreich aus, sondern auch auf europäischer Ebene. Es gibt auch eine klare, sehr scharf formulierte Erklärung des Hohen Vertreters, und am Montag war das auch bei unserer Sitzung der EU-Außenminister in Brüssel Thema.

Das ist ja genau das Problem bei der Türkei, es ist sozusagen immer eine Stop-and-go-Politik: Da gibt es einmal positive Signale bei einem Thema und gleichzeitig die kalte Dusche bei anderen Themen.

Wir alle wissen, Parteien sind das Grundfundament jeder Demokratie. Was hier ge­schieht, dass dieser Schritt gesetzt wird – es betrifft die größte Oppositionspartei, noch dazu die kurdische Partei; da haben wir ja noch einen Rattenschwanz an weiteren Themen, in Anatolien, im Umgang mit den Kurden in der Türkei –, ist von unserer Warte aus ein wahnsinniges Warnsignal. Wir versuchen natürlich bei gewissen Themen – jetzt gerade gab es auch auf Ebene der Staats- und Regierungschefs die Diskussion dazu – eine Zusammenarbeit, ich glaube aber, in solchen Fragen müssen wir ganz klare Kante zeigen. Sie kennen ja die Position Österreichs zum Beispiel zum Thema EU-Annähe­rung. Wir haben die Kopenhagener Kriterien, und wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Türkei seit Jahren die Kopenhagener Kriterien nicht mehr erfüllt und daher diese Attrappe längst entsorgt werden sollte.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Abgeordneter Minnich. – Bitte.

Abgeordneter Andreas Minnich (ÖVP): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundes­minister! Die Beziehungen der EU zur Türkei waren über Jahrzehnte durch eine pro­duktive Partnerschaft geprägt. In den letzten Jahren sind die Beziehungen jedoch abge­kühlt.

Anlass zur Sorge geben die Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in der Türkei, da Medien geschlossen und Journalisten inhaftiert wurden, die türkische Militär­intervention zum Beispiel in Syrien, der Umgang der Türkei mit dem Thema Migration, das rechtswidrige Vorgehen der Türkei in Zypern sowie auch das Eindringen in griechi­sches Hoheitsgebiet.

Ich frage daher: Wie beurteilen Sie die aktuellen und künftigen Beziehungen der EU zur Türkei?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Das ist ein Thema, Herr Abgeordneter, das mich jetzt schon seit vielen Jahren begleitet. Es ist sicher die größte Herausforderung und das problema­tischste Nachbarschaftsverhältnis, das wir haben. Die Türkei ist ein regionaler Machtfaktor, ist ein Nachbar von uns, die Beziehungen sind daher auch nicht ein­dimensional.

Es gibt Bereiche, wo wir sicher auch Interesse an Zusammenarbeit hätten – denken wir an Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, an den universitären Bereich, da könnte man sich durchaus eine positive Agenda überlegen –, gleichzeitig aber sehen wir immer wieder Entwicklungen, die wirklich ein Schlag ins Gesicht der europäischen Wertegemeinschaft sind. Das HDP-Verbot wurde erwähnt, wir haben auch das sozusagen zynische Vor­gehen, wo die Schwächsten der Schwachen, nämlich die Migranten, als politisches Druck­mittel verwendet wurden, und den Ausstieg aus der Istanbulkonvention. Ich glaube also, es ist sicher keine Beziehung, bei der Naivität oder Blauäugigkeit am Platz sind, wir müssen hier sehr realistisch und nüchtern vorgehen.

Ja, es braucht eine Art der Zusammenarbeit mit ihnen, aber aus unserer Warte sicher keinen Vollbeitritt zur Europäischen Union. Wir haben auch noch Sanktionen im Raum stehen, das halte ich auch für richtig. Jetzt wurde die Entscheidung getroffen, dass man ihnen sozusagen Sticks and Carrots – würde man auf Englisch sagen – in den Raum stellt, aber gleichzeitig sagt, wir warten jetzt einmal die nächsten Monate ab, was sich da wirklich tut, denn das Bild, das wir jetzt haben, ist: einerseits besonders negative Signale, gleichzeitig Bereitschaft zur Zusammenarbeit etwa bei Zypern und östlichem Mittelmeer. Es gibt ja auch erste bilaterale Gespräche zwischen Griechenland und der Türkei, was sehr positiv ist.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Brandstätter stellt die 5. An­frage. – Bitte sehr.