Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Herr Bundesminister, es sind diese hässlichen Bilder, von denen manche gehofft haben, dass wir uns daran gewöhnen würden, wir wollen uns aber nicht daran gewöhnen. Gerade in den letzten Tagen sind wieder besonders hässliche Bilder mitten aus Europa gekommen; wir sind uns ja einig, dass Griechenland nicht nur mitten in Europa liegt, sondern insbesondere auch für die europäische Geistesgeschichte sehr wichtig ist.

Auf der anderen Seite hat man versucht, schöne Bilder zu konstruieren, indem sich ein Innenminister vor einen Lkw gestellt und gesagt hat: Da werden jetzt Zelte gebaut. – Das hat aber nicht funktioniert. Deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn wir uns darauf einigen könnten, dass das nicht Hilfe vor Ort ist – denn das ist nicht vor Ort, das ist mitten in Europa! – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Sie selbst haben vor Weihnachten gemeinsam mit SOS-Kinderdorf angekündigt, dass nun in Kara Tepe Kinder betreut würden. Wir wissen inzwischen, dass es nicht funktioniert. Sie haben damals gesagt, das würde schneller gehen, als Men­schen aufzunehmen. – Nein, wir wissen, dass einen Tag, nachdem Sie eine mögliche Hilfe angekündigt hatten, 139 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind.

Meine konkrete Frage lautet:

Wie viele Hilfsprojekte vor Ort müssen noch scheitern, ehe Sie dieses Konzept – dieses angebliche Helfen vor Ort  – verwerfen und doch Menschen, die dringend Hilfe brauchen, aufnehmen?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 59/M, hat folgenden Wortlaut:

„Wie viele Hilfsprojekte ‚vor Ort‘ müssen scheitern, ehe Sie dieses Konzept verwerfen und anderen Staaten folgend Kinder in Österreich aufnehmen?“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Also in einem Punkt, Herr Abgeordneter, gebe ich Ihnen recht: Wir wollen und dürfen uns nicht an diese Bilder gewöhnen. (Abg. Brandstätter: Danke!) Wir wollen die Situation nicht, in der solche Lager überhaupt entstehen, und können sie auch nicht tolerieren. Das heißt, wir müssen dort ansetzen, dass solche Lager überhaupt nicht entstehen.

Worin ich Ihnen aber absolut nicht zustimme, ist das immer wiederkehrende: Das funktioniert nicht! – Es funktioniert sehr wohl. Nur das Beispiel Zelte: Wo liegen die? – Beim UNHCR. Wer entscheidet den Einsatz? – Das UNHCR. Und ganz offen: Wenn jetzt sozusagen die UNO-Organisationen nicht gut genug sind und ihnen vorgeworfen wird, dass sie nicht funktionieren, dann finde ich das etwas weit hergeholt.

Zum SOS-Kinderdorf ein paar Worte: Ich bin froh, dass dieses Projekt vorgeschlagen wurde. Das ist ein Projekt von SOS-Kinderdorf, und die Bundesregierung hat gesagt: Wir finanzieren das über drei Jahre mit knapp 3 Millionen Euro, wir unterstützen sie über die Botschaft in Athen – ich persönlich habe auch telefoniert – bei den sozusagen administrativen Wegen. SOS-Kinderdorf sucht zum Beispiel gerade eine feste Bleibe, sei es ein Gebäude, sei es ein Container, sei es im Lager oder außerhalb. Die Arbeit wurde de facto aufgenommen. Die Arbeit wurde mit Jahresbeginn aufgenommen, noch nicht in dem Ausmaß, wie es im Endausbau geplant ist, aber die Arbeit hat begonnen, und dass jetzt coronabedingt sämtliche schulischen Aktivitäten in Lesbos eingestellt sind und damit auch die Tagesbetreuungsstätte, kann man nun wirklich niemandem zum Vorwurf machen – auch wir sind mitten in der Pandemie. (Beifall bei der ÖVP.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Corona hat es schon zu Weihnachten gegeben, seither sind drei Monate vergangen. SOS-Kinderdorf hat auch jetzt gesagt, dass sie natürlich bereit sind, zu helfen. Es gibt hier Familien, die aufnehmen wollen, und dort Familien, die herwollen. Warum ist das nicht möglich – nur aus Rücksicht auf ein paar FPÖ-Wähler? (Rufe bei der ÖVP: Hallo! Weiterer Ruf bei der ÖVP: Na geh!)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Darum geht es gar nicht, sondern wir haben eine klare Linie in der Bundesregierung, dass wir – und ich stimme auch überhaupt nicht der Formulierung zu, dass das nicht vor Ort sei, denn es ist Europa, und Europa ist auch vor Ort, Herr Abgeordneter – dort natürlich so helfen, wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben. Wir haben massiv Hilfsmittel zur Verfügung gestellt, wir haben viel Geld zur Verfügung gestellt, die Europäische Union hat angekündigt, dass sie bis Jahresende, glaube ich, dort ein eigenes Lager aufbauen wird, dass sie selber mitbetreuen wird. Also es ge­schieht sehr viel. Ich sehe ganz im Gegenteil, dass da von anderer Seite sozusagen die Emotionalität der Debatte es leider manchmal unmöglich macht, etwas in Ruhe und nüchtern anzuschauen.

Die Dinge funktionieren, auch wenn Sie sagen, sie funktionieren nicht. Wir erreichen einfach mehr und wir erreichen es schneller, indem wir vor Ort tätig sind. Ich gebe Ihnen aber ganz recht: Am Ende des Tages muss unser Ziel sein, eine Politik zu verfolgen, die solche Lager weder in Europa, oder schon gar nicht in Europa, aber in Wirklichkeit auch nicht international überhaupt entstehen lässt. Das ist mein Ansatz. (Beifall bei der ÖVP.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Holzleitner. – Bitte.

Abgeordnete Eva Maria Holzleitner, BSc (SPÖ): Guten Morgen, Herr Minister! Anschließend an die Fragen von Herrn Kollegen Brandstätter: Ich möchte Ihnen da ein bisschen widersprechen. Ich glaube, es funktioniert nicht vollumfänglich – einige Staaten haben Kinder aufgenommen –, vor allem, wenn ich mir anschaue, wie es um die Kinderrechte dieser Kinder in den Lagern steht: Recht auf Gesundheit, Recht auf Schutz vor Krieg und auf der Flucht Recht auf Bildung – all das funktioniert in den Lagern leider nicht. Wir kennen die Bilder von verletzten Kindern, von Kindern, die Traumata erleben.

Was tun Sie, damit die Kinderrechte für die Kinder und Jugendlichen auch dort wirklich vollumfänglich zum Tragen kommen, denn das funktioniert aktuell leider wirklich nicht? (Zwischenruf des Abg. Matznetter.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Also einmal nur, um vorauszuschicken: Wir sind, was unsere Politik betrifft, im absoluten europäischen Mainstream. Nur eine Minderheit von Mitglied­staaten hat überhaupt gesagt, dass sie unbegleitete Minderjährige aufnehmen wollen, und die Bandbreite reicht von zwei bis 150. Das haben nur elf Mitgliedstaaten erklärt. Also da immer wieder so zu tun, als hätte Österreich als einziger Staat diese Maßnahme ergriffen und als wären wir besonders unsolidarisch – das stimmt einfach nicht.

Wir sind seit 2015 in allen Statistiken in den Top 3, sei es bei der Pro-Kopf-Aufnahme, sei es bei der Asylgewährung oder bei der Schutzgewährung (Zwischenruf des Abg. Matznetter), also da brauchen wir uns überhaupt nicht zu verstecken. Und ja, wir sind auch regelmäßig vor Ort in Lesbos – Vertreter der österreichischen Botschaft, Vertreter anderer EU-Botschaften –, das ist ein Thema, das ganz regelmäßig bei unseren Treffen mit Griechenland aufgebracht wird.

Natürlich ist unser Ansinnen, dass überall auf europäischem Boden die Rechte gelten müssen, aber gleichzeitig haben wir, so wie die Mehrheit der EU-Staaten, da eine klare Linie.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die 6. Anfrage stellt Herr Abgeordneter Marchetti. – Bitte.