10.21

Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Herr Präsident! Hohes Haus! Werter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe ZuseherInnen zu Hause! (Die Be­grüßung auch in Gebärdensprache ausführend:) Liebe gehörlose Menschen! Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention besagt, dass die „Vertragsstaaten“ – und damit auch die Republik Österreich – „das Recht von Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen auf Arbeit“ anerkennen. Was beinhaltet dieser Artikel? – Er „beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behin­derungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten“ – und demnach auch Österreich – haben sich verpflichtet, die „Verwirklichung des Rechts auf Arbeit“ zu fördern.

Die UN-Behindertenrechtskonvention wollte damit sicherstellen, dass es für Menschen mit Behinderungen ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechende Arbeitsmög­lich­keiten auf einem inklusiven Arbeitsmarkt gibt. Die Staaten – und so auch Österreich – haben sich verpflichtet, alles zu unternehmen, damit Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderungen genauso wie alle anderen BürgerInnen einen Zugang zu Arbeit und Unternehmertum finden können.

Darüber hinaus muss Arbeit in österreichischen Tageswerkstätten so entlohnt werden, dass man seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Rund 24 000 Menschen in Österreich arbeiten in Beschäftigungswerkstätten und verdienen – nein: erhalten! – je nach Bun­desland zwischen 5 und 200 Euro Taschengeld monatlich. So mancher Jugendlicher bekommt mehr Taschengeld, und ein Friseurtermin für den Kanzler geht sich damit leider auch nicht aus.(Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Abgesehen davon, dass man mit 150 Euro im Monat seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann und die momentane Situation in Tageswerkstätten keinesfalls der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht, verdienen Menschen mit Behinderungen mehr: Sie verdienen eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

Weiters hat diese offensichtliche Schlechterstellung auch negative Auswirkungen für das Leben im Alter. In Beschäftigungswerkstätten arbeitende Menschen haben keinen An­spruch auf eine eigene Pension, da sie nicht pensionsversichert sind. Das Ad-hoc-Komitee der UN-Behindertenrechtskonvention verweist in diesem rechtlichen Zusam­men­hang auf die Gefahr der Ausbeutung und Aussonderung durch besondere Maß­nahmen, womit die Beschäftigung in Werkstätten ohne Entlohnung und sozialver­sicherungsrechtliche Absicherung gemeint ist.

Weiters wird seitens des Komitees ergänzend angemerkt: Je mehr die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten als individuelle Förderung mit dem Ziel der Prüfung realistischer Alternativen erfolgt und in ein umfassendes Betreuungskonzept mit dem gleichzeitigen Aufbau eines inklusiven Arbeitsmarktes eingebunden ist, desto weniger wird man von Missbrauch sprechen können.

Unser Ziel ist es also, möglichst vielen Menschen den Zugang zu einer existenz­sichern­den Arbeit am allgemeinen Arbeitsmarkt mit den notwendigen Unterstützungsleistungen zu gewähren. Aus diesem Grund unterstützen wir den Antrag von Heike Grebien und Kira Grünberg, der sich des Themas der Attestierung der Arbeitsunfähigkeit und des Übergangs von Beschäftigungswerkstätten zu einem allgemeinen Arbeitsmarkt annimmt.

Ich denke, wir sind hier auf dem richtigen Weg in die richtige Richtung, und ich gehe davon aus, dass ein Antrag, der seitens der Regierungsparteien gestellt wird, auch wirklich zur Umsetzung kommt.

Dieser Antrag ist leider nicht die Lösung aller Probleme. Der Missstand in der Mitte unserer Gesellschaft, dass Menschen weder Entlohnung noch Pension bekommen, kann uns doch nicht kaltlassen. Hier spreche ich Sie, Herr Minister Kocher, ganz direkt an: Das muss schleunigst behoben werden.

Wir hatten dieses Thema auch letzte Woche im Ausschuss im Zuge eines Antrages der Abgeordneten Dagmar Belakowitsch. In ihrem Antrag wurde unter anderem ein Min­destlohn für Menschen mit Behinderungen in Tageswerkstätten gefordert. Wir haben auf das Problem, das eine pauschale Mindestlösung bringt, hingewiesen, da die Anfor­derungen für Menschen mit Behinderungen verschiedener nicht sein könnten. Was wir wollen, ist eine pauschale sozialversicherungsrechtliche Absicherung für alle Menschen und auch Lohn statt Taschengeld, aber die Löhne können wir nicht pauschal für alle festlegen.

Ich sehe hier ein Problem, das viel tiefer geht und nicht mit der Einführung eines Min­destlohns gelöst werden könnte. Als Beispiel sei genannt, dass Menschen, die in Tageswerkstätten arbeiten, vom AMS als arbeitsunfähig eingestuft werden. Es liegt also auf der Hand, dass man sich hier mit dem Arbeitnehmerbegriff auseinandersetzen muss.

Aus diesem Grund fordern wir keine halbherzigen Lösungen, sondern den Start eines Prozesses, in dem politische EntscheidungsträgerInnen gemeinsam mit VertreterInnen der Menschen mit Behinderungen sowie Trägerorganisationen an Lösungen arbeiten. Ziel sollte es sein, dass Personen in Beschäftigungswerkstätten angemessen entlohnt werden und selbstverständlich in der Sozialversicherung voll versichert sind.

Hier richte ich mich auch wieder an Sie, Herr Minister Kocher: Bitte starten Sie einen derartigen Prozess, weil Inklusion ein Menschenrecht ist! – Danke. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

10.26

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Scheucher-Pichler. – Bitte sehr.