11.57

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Frau Präsidentin! Geschätzte Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuseher und Zuseherinnen! Wir haben oft die Indexie­rung der Familienbeihilfe diskutiert, und ich habe immer wieder klargestellt, dass wir die Indexierung der Familienbeihilfe für ethisch nicht vertretbar halten. Eine so offensichtli­che Ungleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von Kindern lässt sich zumindest mit meiner Vorstellung von Gerechtigkeit nicht vereinbaren. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Ich verstehe nicht, was daran gerecht sein sollte, wenn eine Pflegerin aus Bulgarien beispielsweise knapp 53 Euro weniger Familienbeihilfe erhält als beispielsweise jemand aus der Schweiz, der vielleicht in einer besseren Position ist und das Dreifache be­kommt. (Abg. Ries: Sie haben wohl keine Kinder!) Personen, die hier in Österreich Steuern zahlen, die hier in Österreich Sozialversicherungsbeiträge zahlen, sollen auch hier in Österreich die Sozialleistung bekommen und nicht benachteiligt werden. Es ist auch aus ökonomischer Hinsicht alles andere als sinnvoll, denn wir wissen, dass wir einen Arbeitskräftemangel haben, gerade im Tourismus, gerade in der Pflege, und sol­che Maßnahmen machen Österreich als Arbeitsstandort nicht unbedingt attraktiver. (Beifall bei den Grünen.)

Auch die dahinterstehende Haltung, dass manche Kinder weniger wert sind als andere, widerspricht doch jeglichem Gerechtigkeitsanspruch eines demokratischen Staates. Ich habe es schon mehrfach hier im Hohen Haus gesagt: Ich freue mich darüber, dass der EuGH die Indexierung als Verletzung des EU-Rechts einstuft und die Maßnahme aufge­hoben wird. Somit ist für uns ganz klar – das war es schon immer –, dass jedes Kind, wirklich jedes Kind gleich viel wert ist. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Wir hätten uns die Rückzahlung sparen können, wenn wir auf die Expertinnen und Ex­perten gehört hätten. Ja, das ist mir unverständlich. Noch unverständlicher ist mir, dass die FPÖ immer noch daran festhält und schon wieder einen Antrag zur Indexierung ein­gebracht hat. (Abg. Ries: Weil Sie keine Kinder haben!)

Wenn wir aber bei unverständlich sind: Ich verstehe auch das Leuchtturmprojekt aus der Zeit der FPÖ nicht, bei dem es um die ominöse Patientenmilliarde geht, bei dem es im Endeffekt darum geht, dass 2 Millionen Euro quasi Defizit erzielt wurden. Also es ist schon interessant, dass die FPÖ sich immer wieder als Vertreter des kleinen Mannes aufspielt, gleichzeitig aber Steuergeld verbrennt, Gelder, die wir jetzt wirklich dringend bräuchten. (Beifall bei den Grünen.)

Ich glaube, wir können eines festhalten: dass Populismus nie – nie! – ein guter Berater in der Politik ist. (Beifall bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Brückl: Ein mäßiger Applaus!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch zu etwas Erfreulichem: Wir konnten uns gestern Abend auf die Lösung zur Familienbeihilfe für UkrainerInnen einigen. Daher darf ich den Abänderungsantrag der Abgeordneten Norbert Sieber, Barbara Neßler, Kolleginnen und Kollegen zum Antrag der Abgeordneten Norbert Sieber, Barbara Neßler betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Einkom­mensteuergesetz 1988 geändert werden, in der Fassung des Ausschussberichtes für Familie und Jugend einbringen.

Der Antrag ist bereits ausgeteilt worden, und in den Grundzügen geht es darum, dass wirklich alle Familien, alle UkrainerInnen Familienbeihilfe erhalten. Den Menschen, die aus der Ukraine, die vor Putins Angriffskrieg nach Österreich geflohen sind, haben wir Solidarität und Unterstützung zugesagt, und genau das machen wir mit der umfassenden Gewährung der Familienbeihilfe, von der wirklich alle Kinder von Ukrainern, Ukrainerin­nen profitieren werden, und zwar rückwirkend ab März.

*****

Darüber freue ich mich sehr und ich bedanke mich beim Koalitionspartner. (Abg. Michael Hammer: Beim Sieber vor allem!) Ich bedanke mich bei allen Verhandlern und Verhand­lerinnen, ich glaube, wir haben eine wirklich gute Lösung gefunden. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Sieber.)

12.01

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Norbert Sieber, Barbara Neßler

Kolleginnen und Kollegen

zum Antrag der Abgeordneten Norbert Sieber, Barbara Neßler betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und Einkommensteuerge­setz 1988 geändert wird (2678/A) in der Fassung des Ausschussberichts für Familie und Jugend (1633 d.B.)

(TOP 3)

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der oben bezeichnete Gesetzesantrag in der Fassung des Ausschussberichts wird wie folgt geändert:

1. Im Einleitungssatz des Artikel 1 wird die Wortfolge „durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 43/2022“ durch die Wortfolge „durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 93/2022“ ersetzt.

2. Folgende Ziffer 1 in Artikel 1 wird eingefügt:

„1. Dem § 3 werden folgende Abs. 6 und 7 angefügt:

„(6) Personen, denen aufgrund der Verordnung der Bundesregierung über ein vorüber­gehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene (Vertriebenen-VO), BGBl. II Nr. 92/2022, gemäß § 62 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zukommt, haben Anspruch auf Familienbeihilfe. Anspruch besteht auch für Kinder, de­nen ein solches vorübergehendes Aufenthaltsrecht zukommt.

(7) Personen, denen aufgrund der Vertriebenen-VO gemäß § 62 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zukommt, haben zumindest für die Zeit des be­waffneten Konflikts in der Ukraine den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach § 2 Abs. 8 im Bundesgebiet.““

3. Die Ziffern 1 bis 5 erhalten die Bezeichnung Ziffer 2 bis 6.

4. Die nunmehrige Ziffer 6 lautet:

„6. Dem § 55 werden folgende Abs. 55 bis 57 angefügt:

„(55) Die Abschnitte II und IIb in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. XX/2022 treten mit dem der Kundmachung des genannten Bundesgesetzes folgenden Tag außer Kraft.

(56) § 8a entfällt rückwirkend ab 1. Jänner 2019 mit folgenden Maßgaben:

1.    Die Nachzahlungen an Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig in Bulgarien, Deutschland, Estland, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn oder Zypern aufgehalten haben oder aufhalten, erfolgen automationsunterstützt, so­weit auf Grund der im Familienbeihilfenverfahren vorhandenen Daten eine Auszah­lung durchführbar ist. Ist mangels Vorliegen von Daten keine Auszahlung durchführ­bar, ist ein Antrag zu stellen, wobei § 10 Abs. 3 keine Anwendung findet.

2.    Familienbeihilfenbeträge für Kinder, die sich ständig in Belgien, Dänemark, Finn­land, Frankreich, Irland, Island, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz oder dem Vereinigten Königreich aufgehalten haben oder aufhalten, gelten bis zum 30. Juni 2022 in Bezug auf die Höhe als rechtmäßig zuerkannt.

(57) § 3 Abs. 6 und 7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. XX/2022 treten rückwirkend mit 12. März 2022 in Kraft und mit dem Tag der Beendigung des Aufent­haltsrechtes nach § 4 Vertriebenen-VO, spätestens jedoch mit 4. März 2024, außer Kraft.““

Begründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967):

Zu Z 1 und 6 (§ 3 Abs. 6 und 7 sowie § 55 Abs. 57):

Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurde eine Massenfluchtbewe­gung in die Europäische Union und v.a. auch in das Bundesgebiet Österreichs ausgelöst. Die Europäische Union hat aufgrund der Singularität eines Krieges auf europäischem Boden in jüngster Vergangenheit erstmals die sog. „Massenzustrom-RL“ aktiviert (RL 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maß­nahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl L 2001/212, 12.). Österreich zeigt sich in seiner humanitären Tradi­tion solidarisch und leistet umfangreiche Nachbarschaftshilfe. Auch viele andere Mit­gliedsstaaten der Europäischen Union sind sich der Einmaligkeit dieses Krieges und der historischen Verantwortung bewusst und setzen die „Massenzustrom-RL“ in nationales Recht um.

Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, wobei es sich bei diesen großteils um Frauen und Kinder handelt, gelten als „Vertriebene“ im Sinne des § 62 AsylG 2005 (BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2021/234) und des § 1 Vertriebenen-VO (Verordnung der Bundesregierung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene (Vertriebe­nen-VO) BGBl II 2022/92). Gemäß § 62 Abs 1 und 2 AsylG 2005 in Verbindung mit § 4 Abs 1 Vertriebenen-VO haben Vertriebene ein ex lege wirksames, vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bis 3. März 2023, das heißt sie erwerben sofort und kollektiv vorübergehender Schutz, ohne dass eine individuelle Prüfung vorgenommen werden muss. Sie erwerben somit ein provisorisches Aufenthaltsrecht für einen kurzen Zeitraum, derzeit bis zum 3. März 2023 (§ 4 Abs 1 Vertriebenen-VO). Sie sind „Grund­versorgungs-Zielgruppe“ (Art 2 Abs 1 Z 3 Grundversorgungsvereinbarung) und haben sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Ihr begrenzter Aufenthalt in Österreich dient ledig­lich der Überbrückung der akuten Gefährdungssituation und ist auf eine möglichst baldi­ge Rückkehr in die Heimat Ukraine ausgerichtet. Vertriebene stellen daher eine beson­dere Gruppe von Fremden dar, deren außergewöhnliche Hilfsbedürftigkeit spezielle (kurz­fristige) finanzielle Unterstützung erfordert. Diese Kurzfristigkeit umfasst dabei nicht nur die Dauer des Aufenthalts in Österreich, sondern auch die Notwendigkeit, sich in kür­zester Zeit in Österreich zurechtfinden zu müssen. Diese fehlende Möglichkeit sich auf den Aufenthalt in Österreich systematisch und praktisch vorbereiten zu können, ist eine Folge des für viele überraschenden Angriffs Russlands. Verschärft wird diese Notlage durch den Umstand, dass es sich aktuell vorwiegend um Frauen und Kinder handelt, die in Österreich Schutz finden. Gerade die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern und das Ziel, diesen möglichst schnell ein stabiles und sicheres Umfeld zu bieten, macht die Situation von ukrainischen Vertriebenen besonders herausfordernd.

Personen, die aufgrund der kriegerischen Handlungen in der Ukraine vertrieben worden sind und in Österreich vorübergehend Schutz finden, sollen für ihre Kinder österreichi­sche Familienleistungen erhalten, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.

Die FLAG-Sonderbestimmung wird mit der Gültigkeit des vorübergehenden Aufenthalts­rechtes nach der Vertriebenen-VO (ein Jahr bis 3. März 2023 und im Falle einer Verlän­gerung um ein weiteres Jahr bis längstens 3. März 2024) beschränkt.

Vertriebene begründen keinen Lebensmittelpunkt in Österreich, weshalb für die Dauer des Aufenthaltes in Österreich eine Fiktion des Lebensmittelpunktes für die Erfüllung dieser Familienbeihilfe-Anspruchsvoraussetzung geschaffen werden muss.

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, wird gerade verteilt und steht mit in Verhandlung.

Frau Abgeordnete Fiona Fiedler, Sie gelangen zu Wort. – Bitte.