NEWS in EINFACHER SPRACHE - ARCHIV

Politische Sprache im Parlament

Innsbrucker Studie zeigt: Frauen und Männer sprechen unterschiedlich.

Dieser Artikel wurde archiviert.

Wie sprechen die Abgeordneten bei Plenardebatten des österreichischen Nationalrats? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts der Universitäten Konstanz und Innsbruck. Für die Untersuchung wurden computer-linguistische Methoden verwendet. Das bedeutet: Reden wurden mit Hilfe von Computern analysiert. Die StudienautorInnen Martin Haselmayer, Sarah Dingler und Marcelo Jenny hat dabei besonders interessiert: Gibt es geschlechterspezifische Einflüsse auf die Tonalität parlamentarischer Debatten? Das heißt: Sprechen Frauen und Männer unterschiedlich, wenn sie im Parlament diskutieren?

Die wichtigsten Ergebnisse

Die Forschung arbeitet mit Annahmen, sogenannten Hypothesen. 3 dieser Hypothesen wurden durch die Studie bestätigt:

  • Weibliche Abgeordnete verwenden weniger negative Sprache als ihre männlichen Kollegen.
  • Reden, die nach Frauen gehalten werden, sind in einem ruhigeren Tonfall.
  • Die Anzahl der weiblichen Abgeordneten hat ebenfalls Auswirkungen auf die Sprache: Je mehr Frauen in einem parlamentarischen Klub sind, desto weniger negativ sprechen die männlichen Abgeordneten.

Univ.-Prof. Marcelo Jenny im Gespräch über die Studie:

Sie haben in Ihrem Projekt die "negative Sprache in parlamentarischen Reden" untersucht. Besonders ging es um den Einfluss von Frauen auf den Tonfall der Sprache. Haben schon andere WissenschaftlerInnen zu diesem Thema geforscht?

Marcelo Jenny: Ja, es gibt ziemlich viele Forschungsarbeiten zum Thema, wie Männer und Frauen sprechen. Auch zum Thema "politische Sprache", wie Politikerinnen und Politiker reden. Aber konkret fanden wir wenig, inwiefern Unterschiede zwischen den Geschlechtern von Bedeutung sind.

Der Titel Ihrer Studie enthält den Begriff "Negativity in Parliamentary Speeches", also „Negativität in parlamentarischen Reden“. Was bedeutet das?

Jenny: Da geht es im weitesten Sinn um alles, was in Richtung Kritik oder Angriff geht. Die Forschungsrichtung heißt Sentiment-Analyse. Das Ziel ist, die Tonalität von Sprache mit Hilfe von Computern und Statistiken zu erfassen und zu analysieren. Wir versuchen das mit politischer Sprache.

Sie haben dafür rund 50.000 Reden aus den Plenarsitzungen von 1996 bis 2013 verwendet. Warum gerade dieser Zeitraum?

Jenny: Das hat mit der Verfügbarkeit der Daten zu tun. Es gibt erst ab Mitte der 1990er-Jahre einen Schritt in Richtung Digitalisierung bei Parlamenten. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Fülle an Daten in digitaler Form vorhanden, die es bis dahin so nicht gab.

Wie haben Sie diese Daten bekommen und mussten diese für Ihre Untersuchung noch bearbeitet werden?

Jenny: Wir haben viele Daten vom Parlament bekommen. Ein großes Lob zunächst mal für das Parlament. Ich habe bereits viel mit parlamentarischen Daten gearbeitet, und ich bin immer positiv beeindruckt von der hohen Qualität dieser Daten. Trotzdem ist immer Data-Cleaning erforderlich. Daten müssen also noch bearbeitet werden, bevor sie analysiert werden können.

Sie haben zur Analyse der Redeprotokolle "machine learning based on crowd coding" angewendet. Was ist das genau und wie funktioniert das?

Jenny: Sie brauchen dafür zunächst einen kleinen Trainings-Datensatz. Wir haben Sätze aus der politischen Sprache zusammengestellt und diese einer Gruppe von Personen vorgelegt. Ihre Aufgabe war, die einzelnen Wörter oder Sätze zu beurteilen: Sind sie positiv, neutral oder negativ? Der Mensch spielt also eine große Rolle bei der Erstellung des Trainings-Datensatzes, bevor der Computer die Analyse übernimmt. Sprache ist ein universelles Medium. Eine Grundannahme ist: Wir verstehen einander, weil wir Wörter ähnlich auffassen.

Weibliche Abgeordnete verwenden weniger negative Sprache als männliche. Je höher der Frauenanteil in einer RednerInnenliste ist, desto weniger negativ äußert sich die Sprache der nächsten Redner. Das waren 2 Ihrer Hypothesen. Wie haben Sie diese Hypothesen entwickelt und wurden diese durch die Sentiment-Analyse bestätigt?

Jenny: Sarah Dingler forscht zu Geschlecht und Politik. Sie hat den Theorieüberblick für den Beitrag erstellt. Es gib die Annahme, dass sich Männer und Frauen in der Politik unterschiedlich verhalten. Das müsste sich also auch bei den Debatten zeigen. Eine weitere Annahme war: Wenn jemand mit einer Rede sehr scharf anfängt, dann bekommt er oder sie das auch von den anderen so zurück. Eine Debatte kann so immer schärfer im Tonfall werden. Wenn aber alle beim Thema bleiben und sich um einen respektvollen Ton bemühen, sollte das nicht passieren.

Die 3. Hypothese geht davon aus, dass ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis Einfluss auf die Sprache hat. Heißt das im Ergebnis, dass Männer dann weniger negativ sprechen, wenn mehr Frauen im Parlament sind?

Jenny: Das können wir nicht ganz genau sagen. Wenn es so wäre, dann müsste die Gesprächskultur in einem reinen Frauenparlament besser sein.

Deutlich ist: Es gibt einen Anteil an negativer Sprache in parlamentarischen Debatten. Wie müsste eine politische Kultur verändert werden, damit sachlicher diskutiert wird? Welche Bedeutung hätte das für die Qualität einer Demokratie?

Jenny: Wie Abgeordnete miteinander umgehen ist auch ein Vorbild für andere. Das schließt für mich nicht aus, dass man heftig kritisieren kann. Aber heftige Kritik und respektloses Verhalten sind 2 unterschiedliche Dimensionen, die wir ein wenig vermischt haben. Martin Haselmayer und ich haben in einem anderen Beitrag versucht zu argumentieren: Respektloses Verhalten ist das extreme Ende der Skala, wo Kritik zur Beleidigung wird. Aber es geht nicht darum, dass im Plenum lauter Lämmer sitzen. Das Publikum braucht die Auseinandersetzung der politischen Parteien im Parlament und die unterschiedlichen Meinungen und Wertvorstellungen.

Interview: Christoph Kepplinger-Prinz (Abteilung 4.1)

Diese Links führen Sie zu weiteren Informationen, die nicht in einfacher Sprache sind: