Parlamentskorrespondenz Nr. 170 vom 29.02.2008

Bundeskanzler berichtet über EU-Vorhaben im Jahr 2008

Neuer Zyklus der Lissabon-Strategie steht an

Wien (PK) – Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten werden sich bei ihren heurigen Gipfeltreffen unter anderem mit dem EU-Programm für Wachstum und Beschäftigung, dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Klima- und Energiepaket, der Stabilität der Finanzmärkte, der Bekämpfung illegaler Migration und der so genannten "Blue Card" für hochqualifizierte Zuwanderer sowie mit der EU-Reform befassen. Das geht aus einem gemeinsamen Bericht von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Frauenministerin Doris Bures über die EU-Vorhaben in ihrem Zuständigkeitsbereich an den Nationalrat hervor (III-121 d.B.). Konkret steht etwa ein neuer Zyklus der Lissabon-Strategie zur Beschlussfassung an, überdies sind eine Reihe von Personal- und anderen Entscheidungen im Hinblick auf das geplante Inkrafttreten des EU-Reformvertrags mit 1. Jänner 2009 vorzubereiten.

So müssen sich die EU-Mitgliedsstaaten bis zum Ende des Jahres etwa auf den künftigen Präsidenten des Europäischen Rats und den so genannten Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik ("EU-Außenminister") einigen und festlegen, welche Ratsformationen es künftig geben soll. Ebenso sind der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention und die Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes vorzubereiten sowie Details zur europäischen Bürgerinitiative auszuarbeiten. Auch die neue Solidaritätsklausel, die einen gegenseitigen Beistand der EU-Länder bei Natur- und anderen Katastrophen sowie bei Terroranschlägen vorsieht, bedarf einer Präzisierung. Formell angenommen können die meisten dieser Rechtsakte allerdings erst nach Inkrafttreten des EU-Reformvertrags (Vertrag von Lissabon) werden.

Bereits beim Frühjahrsgipfel, am 13. und 14. März 2008, werden sich die Staats- und Regierungschefs mit dem neuen Zyklus der so genannten Lissabon-Strategie befassen, die auf mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa abzielt. Mitte Dezember des vergangenen Jahres hat die EU-Kommission eine vorläufige Bilanz über den laufenden Zyklus 2005 bis 2008 gezogen und dabei auf erste Erfolge verwiesen. Reformtiefe und Reformfreudigkeit in den einzelnen Mitgliedsländern fallen allerdings sehr unterschiedlich aus, stellt die EU fest, zudem hat sich die Reformgeschwindigkeit im letzten Jahr verringert. Immerhin ist ein positiver Trend in Richtung sinkender öffentlicher Defizite festzustellen.

Österreich schneidet, wie der Bericht vermerkt, insgesamt sehr gut ab, wobei etwa die Maßnahmen zur Innovationsförderung, die Erhöhung der Forschungsausgaben und die Einrichtung des Klima- und Energiefonds von der EU-Kommission besonders hervorgehoben wurden. Handlungsbedarf besteht laut Kommission hingegen bei der Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer, sie regt in diesem Zusammenhang etwa eine Verschärfung der Bestimmungen für Frühpensionierungen und eine Verbesserung der Ausbildung benachteiligter Jugendlicher an. Besonderes Augenmerk soll Österreich darüber hinaus einem ausgeglichenen Haushalt (wenn möglich vor 2010), der Verbesserung des Wettbewerbs, vor allem im Dienstleistungsbereich und bei den freien Berufen, der Stärkung des Unternehmensgeistes, der Reduktion von CO2-Emissionen und der Beseitigung von Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt widmen. Dieser Bewertung der EU-Kommission hat Österreich, so der Bericht, zugestimmt.

Kritischer beurteilt Bundeskanzler Gusenbauer hingegen das Lissabon-Programm der EU selbst (LPG 2008-2010), das insgesamt 10 Kernziele definiert. Dazu gehören etwa eine gemeinsame Sozialagenda, eine gemeinsame Immigrationspolitik, eine weitere Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs), die Förderung von Forschung und Innovation und die Forcierung einer gemeinsamen Klimapolitik. Von Seiten Österreichs wird, wie aus dem Bericht hervorgeht, nicht nur die Methodik der Vorlage des Programms, sondern auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung hinterfragt. So wird nach Ansicht des Kanzlers etwa die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu wenig betont, ebenso vermisst er das Thema einer effektiveren Koordination bei Steuerfragen. Im Gegenzug tritt er für eine Streichung der gemeinsamen Migrationspolitik aus diesem Papier ein.

Ausdrücklich begrüßt werden von österreichischer Seite laut Bericht die von der EU-Kommission gesetzten Klimaschutzziele. Allerdings mahnt Österreich in Bezug auf das von der Kommission vorgelegte Klima- und Energiepaket, das eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, eine Revision des EU-Emissionshandelssystems und eine Forcierung erneuerbarer Energien vorsieht, eine "faire Lastenverteilung" zwischen den EU-Ländern ein. Ebenso müsse, wie es wörtlich heißt, "die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie und der damit verbundenen Arbeitsplätze hohe Priorität haben". Zur Reduktion von Schadstoff-Emissionen im Verkehrsbereich drängt Österreich auf eine Änderung der Wegekostenrichtlinie. Das Bundeskanzleramt geht davon aus, dass das Klima- und Energiepaket sowohl beim Frühjahrsgipfel der EU im März als auch beim Europäischen Rat am 19. und 20. Juni zur Diskussion stehen wird.

Weiters auf der Agenda beim EU-Gipfel im Juni stehen voraussichtlich das für 2008 ausgerufene Jahr des interkulturellen Dialogs, der Westbalkan, die Europäische Nachbarschaftspolitik und vor allem "der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts". Neben einheitlichen Zulassungsbedingungen für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten ("Blue Card") wird es dabei etwa um die Bekämpfung der illegalen Migration sowie um eine wirksame Rückübernahme und Rückführung illegaler Zuwanderer gehen. Auch mit der Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, der Schengen-Erweiterung und der Einführung des Schengener Informationssystems der 2. Generation (SIS II) werden sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder beschäftigen.

Als Hauptprioritäten der Französischen EU-Präsidentschaft im 2. Halbjahr 2008 nennt der Bericht Migration, Energie/Klima, Umwelt sowie Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ein genaues Arbeitsprogramm liegt allerdings noch nicht vor.

Österreich tritt weiterhin für ein sparsames EU-Budget ein

Was den EU-Haushalt betrifft, arbeitet die EU-Kommission im Auftrag des Europäischen Rates derzeit an einer Überprüfung sämtlicher Einnahmen und Ausgaben der Union. Die in diesem Zusammenhang vorgesehene Konsultationsphase endet in etwas mehr als einem Monat, am 15. April. Ihren Bericht muss die Kommission dann spätestens im kommenden Jahr vorlegen.

Österreich tritt, wie der Bericht ausdrücklich betont, weiterhin für ein sparsames EU-Budget ein. Die Ausgaben der Union müssten, "den Grundsätzen des Europäischen Mehrwerts, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit folgen", heißt es darin. In diesem Sinn will sich Österreich für eine Umstrukturierung des EU-Haushalts zu Gunsten neuer Schwerpunkt- und Kernthemen stark machen. Dazu zählen etwa die verstärkte Förderung von Innovation, Bildung und Forschung, mehr Mittel für grenzüberschreitende Infrastrukturvorhaben und die stärkere Berücksichtigung von Klimaschutz und Energiepolitik in den EU-Förderprogrammen.

Fortgesetzt werden sollen auf Wunsch Österreichs Überlegungen, eine EU-weite Steuer zur Eigenmittelfinanzierung der Europäischen Union einzuführen. Die EU-Kommission soll prüfen, inwieweit etwa Finanztransaktionssteuern oder umwelt- und verkehrsbezogene Steuern (z.B. eine Kerosinsteuer) machbar wären, und das Ergebnis in ihren Bericht aufnehmen.

Weitere Vorhaben der EU

Zur Modernisierung des Europäischen Binnenmarkts hat die Europäische Kommission dem Bericht zufolge Initiativen zur Verbesserung der Konsumentenrechte und der Verbraucherinformation (speziell bei Finanzdienstleistungen), zur Beseitigung administrativer Barrieren vor allem für KMUs, zur Steigerung der Mobilität von ForscherInnen und zur Verbesserung der Qualität von sozialen Dienstleistungen ergriffen. Darüber hinaus soll im heurigen Jahr eine endgültige Einigung über einen bereits seit dem Jahr 2005 diskutierten Rahmenbeschluss erzielt werden, um auch im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit ein hohes Datenschutzniveau sicherzustellen.

Auch ihre Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung ("Better Regulation") zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und zur Reduktion der Verwaltungslasten will die Union fortsetzen. Darunter fallen etwa die Vereinfachung bestehender Regulierungen (45 Initiativen im Jahr 2008), die Aufhebung obsoleter Rechtsakte, die Forcierung von Folgenabschätzungen und das Zurückziehen von Vorhaben, die keine Chance auf Umsetzung haben.

Der Europäische Rat hat sich zur Sicherung der Finanzmarktstabilität zuletzt darauf verständigt, Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz auf den Finanzmärkten zu setzen und die Zusammenarbeit nationaler Aufsichtsbehörden zu verbessern.

EU-Vorhaben im Zuständigkeitsbereich von Frauenministerin Bures

Im Bereich der Gleichstellung von Frauen und Männern, der ebenso wie der Bereich Medien in die Zuständigkeit von Frauenministerin Doris Bures fällt, sind laut Bericht seitens der EU im Jahr 2008 keine konkreten Legislativvorhaben geplant. Allerdings bleiben die durchgängige Berücksichtigung der Geschlechtergleichstellung, der Abbau von strukturellen Ungleichheiten von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt sowie Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben im Fokus der Europäischen Union.

Vorgesehen ist etwa die Präsentation eines Berichts der Kommission zur Gleichstellung von Frauen und Männern beim Frühjahrsgipfel. Zudem sind mehrere Veranstaltungen und Konferenzen, die das Thema Geschlechtergleichheit berühren, in Aussicht genommen. Unter anderem wird es dabei um die so genannten Barcelona-Ziele im Bereich Kinderbetreuung gehen, denen zufolge bis zum Jahr 2010 ein Kinderbetreuungsangebot für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei und sechs Jahren sowie für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren geschaffen werden soll.

Im Rahmen von i2010, einer Initiative der EU zur Förderung der Informationsgesellschaft und zur Minimierung der "digitalen Kluft" in der Bevölkerung, wird die Europäische Kommission Ende 2008 eine große E-Inclusion-Konferenz abhalten, bei der auch europäische "Best-Practice"-Modelle vorgestellt werden sollen. Langfristiges Ziel ist ein gleichberechtigter Zugang aller Menschen zu modernen Informations- und Kommunikationstechnologien. Wenn nichts geschieht, bleiben 30 % bis 40 % der Bevölkerung von den Möglichkeiten, die sich durch IKT ergeben, ausgeschlossen, heißt es im Bericht, wobei insbesondere bildungsfernere und einkommensschwächere Schichten sowie bestimmte Gruppen wie z.B. MigrantInnen benachteiligt sind.

Skeptisch sieht Österreich, wie aus dem Bericht hervorgeht, die vorgeschlagenen neuen Regelungen in Bezug auf die Frequenzregulierung. Eine "unreflektierte Anwendung ökonomischer Prinzipien" auf alle Frequenzen werde der besonderen demokratischen, kulturellen und sozialen Rolle des Rundfunks nicht gerecht und könnte die Erfüllung der Aufgaben des Rundfunks gefährden, warnt die Regierung. Die Festlegung des Ausmaßes der für Rundfunkdienste benötigten Frequenzen müsse in der medienpolitischen Autonomie der Mitgliedstaaten bleiben. Auch die Vorschläge hinsichtlich der Schaffung einer Europäischen Regulierungsbehörde werden von Österreich kritisch gesehen.

Unterstützt wird von Österreich hingegen die geplante Verlängerung des Programms "Safer Internet plus" um weitere vier Jahre. Das Programm hat die sichere Nutzung des Internets durch Bekämpfung illegaler und schädlicher Inhalte zum Ziel. Gefördert werden etwa Hotlines zur Meldung illegaler Inhalte (für Österreich: http://www.stopline.at), aber auch medienpädagogische Programme zur Sensibilisierung Jugendlicher.

Weiters für 2008 im Informationsbereich in Aussicht gestellt ist ein Aktionsplan der EU zum Schutz kritischer Kommunikations- und Informationsinfrastrukturen.

Was den zum Bundeskanzleramt ressortierenden Bereich Sport betrifft, begrüßt Österreich sowohl das von der Europäischen Kommission erarbeitete "Weißbuch Sport" als auch die erstmalige Erwähnung des Sports in den EU-Verträgen durch den Vertrag von Lissabon. Inhaltlich nennt der Bericht die Bekämpfung von Doping ein wichtiges Anliegen Österreichs. Die Kommission selbst plant Sport auch als Mittel für Entwicklungsarbeit einzusetzen. (Schluss)