Parlamentskorrespondenz Nr. 670 vom 10.07.2008

Die Standpunkte der Parteien zur Europapolitik

Debatte nach Erklärungen des Bundeskanzlers und der Außenministerin

Wien (PK) - NR-Präsidentin Mag. PRAMMER teilte nach der Fragestunde mit, dass eine Kurze Debatte über die Beantwortung 4207/AB der Anfrage 4215/J des Abgeordneten Klement (F) betreffend Besuchsrecht durch die Justizministerin abgehalten wird. – Beginn der Kurzen Debatte: 15 Uhr.

In seiner Wortmeldung zur Geschäftsordnung meinte G-Klubobmann Dr. VAN DER BELLEN vor Eingang in die Tagesordnung der Sitzung, Minister Faymann habe in den letzten Tagen eine wesentliche Kursänderung in der Europapolitik in einem Leserbrief an die "Kronenzeitung" dargestellt. Inzwischen sei Faymann, der designierte SPÖ-Parteiobmann, "auf Tauchstation" gegangen. Dass hier im Haus die Diskussion von ihm verweigert werde, halte er, Van der Bellen, für eine Brüskierung des Parlaments. Daher beantragte er die Anwesenheit dieses Mitglieds der Bundesregierung bei dieser Debatte.

Abgeordneter Dr. GRAF (F) vertrat die Ansicht, bei dem derzeitigen Zustand der SPÖ sei nicht einmal sicher, dass Minister Faymann Parteiobmann der SPÖ wird.

Abgeordneter WESTENTHALER (B) modifizierte den Antrag des G-Klubobmanns und ersuchte, den "gegenwärtigen Verkehrsminister und SPÖ-Vorsitzenden" ins Parlament zu zitieren; er wolle mit Faymann über den Inhalt des Leserbriefes diskutieren.

Abgeordneter Dr. CAP (S) erklärte, es sei "lächerlich", krampfhaft eine Thematik herauszuziehen; also: auf in die Diskussion!

Abgeordneter Dr. SCHÜSSEL (V) wies darauf hin, dass es zwei Erklärungen geben wird, es wäre aber "schön, würde Faymann auch seine Meinung hier kundtun". Man werde ihn aber nicht herzitieren, der Leserbrief biete ausreichend Stoff zur Diskussion.

Das Verlangen der Grünen fand keine Mehrheit.

Erklärung des Bundeskanzlers

Bundeskanzler Dr. GUSENBAUER verwies auf die Erfolgsentwicklung Österreichs in der EU, die sehr oft von Befürchtungen begleitet gewesen sei. So habe es im Rahmen der Erweiterung etwa Befürchtungen über Masseneinwanderung und Verwerfungen am Arbeitsmarkt gegeben. Es habe sich aber herausgestellt, dass Österreich der Hauptprofiteur dieser Erweiterung geworden ist, nicht nur politisch und sicherheitsmäßig, sondern auch wirtschaftlich. Außerdem habe sich Österreichs Sicherheit im Zuge des Beitritts unserer Nachbarstaaten sehr gut entwickelt. Weiters meinte Gusenbauer, es werde über die europäische Einheitswährung, ihre Auswirkungen und Wirkungen viel gesprochen. Wäre der Wechselkurs zwischen Euro und Dollar derselbe wie vor Österreichs Beitritt, dann würde derzeit ein Liter Diesel nicht zwischen 1,4 und 1,5 € kosten, sondern zwischen 2,3 und 2,4 €, hob der Kanzler hervor. Das wäre 1 € Unterschied! – Das sei zugleich auch ein Beispiel dafür, wie stark eine europäische Währung zum Schutz der BürgerInnen wirkt.

Der Reformvertrag von Lissabon ist anders als der Verfassungsvertrag, aber ein wesentlicher Fortschritt für das weitere Zusammenwirken in Europa. Daher wurde dieser Vertrag ausverhandelt, unterschrieben und vom österreichischen Parlament ratifiziert. Das war ein richtiger Schritt, weil dieser Vertrag von Lissabon erneut einen Meilenstein in der Entwicklung der europäischen Zusammenarbeit darstellt. Es sei auch wichtig, dass Österreich zu den Ländern gehört, die diesen Vertrag bereits ratifiziert haben, war Gusenbauer überzeugt.

Viele Menschen spüren, dass wir an einer Zeitenwende stehen, meinte der Kanzler fortfahrend. Die heutigen Erdölkurse, die Preise für Nahrungsmittel, für Rohstoffe sind der Beginn großer Umwälzungen, die weltweit stattfinden werden, verbunden mit einer Neuverteilung von Reichtum, von Einfluss und auch mit einer Neuverteilung der Macht auf der Welt. Die Menschen haben den Eindruck, dass die Gefahr besteht, dass sie in diesem gewaltigen Umwälzungsprozess auf der Strecke bleiben könnten. Das ist das Hauptmotiv, warum so viele Menschen Zukunftsängste haben. Daher sollte eine Hauptaufgabe von Politik auf nationaler als auch auf europäischer Ebene sein, den Menschen, die verunsichert sind, wieder Halt zu geben, Haltegriffe einzubauen, an denen sie sich festhalten können, weil sie diese Stabilität brauchen. An einem sozialeren Europa, das sich darum kümmert, dass nicht nur die Wirtschaft gut funktioniert, sondern dass mehr Menschen von dem erwirtschafteten Reichtum etwas haben, führt kein Weg vorbei, so der Regierungschef.

In Österreich ist ein Drittel der Bevölkerung ein harter Gegner des europäischen Einigungsprozesses, weniger als ein Drittel – inzwischen nur mehr 28 % - sind starke Befürworter, zurzeit gebe es viele Menschen, die skeptisch geworden sind. Aber man dürfe nicht zulassen, dass aus diesen Skeptikern harte Gegner des europäischen Einigungswerkes werden; das würde bedeuten, dass man die Mehrheit der Bevölkerung für den europäischen Prozess verliert. Daher ist der Dialog mit den Menschen, die skeptisch und kritisch sind, offensiv zu führen.

Erklärung der Außenministerin

Außenministerin Dr. PLASSNIK stellte klar, dass die österreichische Europa- und Außenpolitik unverändert sei, daran habe auch ein Schreiben des Bundeskanzlers und des Verkehrsministers nichts geändert. Das habe auch Bundespräsident Heinz Fischer klargestellt. Wer österreichische Interessen in Europa und in der Welt vertreten will, der müsse sie kraftvoll vertreten, müsse sich mit Verlässlichkeit, mit Mut und mit Standhaftigkeit profilieren. Man könne Verantwortung - auch an Zeitungsherausgeber - abgeben, aber besser sei es, Verantwortung persönlich wahrzunehmen, denn man dürfe die Bevölkerung nicht für dumm verkaufen. Die Menschen hätten ein sehr feines Gespür dafür, ob es um Sachanliegen oder um andere Motive geht. Die ÖsterreicherInnen hätten Interessen, die in Europa und in der Welt wahrgenommen werden müssten. Verzagtheit und Kniefälle brächten uns nicht weiter, sagte Plassnik, es sollte vielmehr ein Weg des Mutmachens und des Mitmachens eingeschlagen werden. Die Österreicher seien keine EU-Muffel; die Menschen seien besorgt über den Anstieg der Preise in vielen Bereichen des täglichen Lebens, aber der Ruf nach einer Volksabstimmung senke keinen Preis, schaffe keine zusätzliche Sicherheit und kein Vertrauen. Man sollte sich nicht auf die Seite der Angstmacher und Angsthaber stellen, sondern auf der Seite der Mitmacher und Mutmacher stehen. Die Situation in der EU sei nach dem negativen Referendum in Irland nicht einfach, aber es gebe auch keinen Grund für einen "Kopfstand" in wesentlichen Fragen der Europapolitik, betonte Außenministerin Plassnik.

Die Debatte: Die Klubobmänner

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) erklärte, Gusenbauer habe in seiner Erklärung eine "Routinevorlesung über die Vorzüge und Nachteile der EU" gehalten, während die Außenministerin immerhin darauf eingegangen sei, dass seit wenigen Tagen ein Riss durch die österreichische Außenpolitik, durch die österreichische Europapolitik geht, verursacht durch einen Leserbrief von Minister Faymann, mitunterschrieben vom Bundeskanzler. Van der Bellen kam dann auf die Gesprächsverweigerung Faymanns gegenüber dem Parlament zu sprechen. Die SPÖ scheine nicht zu verstehen, so der Klubobmann, dass es um eine symbolische Frage der Unterwerfung unter ein bestimmtes Medium geht. Das sei eine "symbolische Geste der Anpassung, des Opportunismus, der Unterwerfung von einem Mann, der in dieser Republik einen Führungsanspruch erhebt". Man erwecke den Eindruck einer Annäherung an eine FPÖ, die mit dem Austritt aus der EU liebäugelt, die eine Isolation Österreichs in der EU wolle und die glaube, dass die Interessen Österreichs außerhalb der EU besser vertreten werden können als in der EU. In einem Entschließungsantrag geht es um die Befassung des Parlaments mit grundlegenden Änderungen in der Außen- bzw. Europapolitik an Stelle von Leserbriefen.

Abgeordneter Dr. CAP (S) hätte sich von der Außenministerin erwartet, dass sie sich für die Aussage der EU-Kommissarin entschuldigt, die gesagt hat: Ich schäme mich für Österreich. Ich bin stolz auf Österreich, sagte Cap, und es gibt keinen Grund, sich für Österreich zu schämen. Österreich habe allen Grund, das Positive herauszustreichen. Dass es Negativa gebe, dürfe man nicht vergessen. So sei Österreich unzufrieden mit dem Transit, damit, dass es eine Renaissance der Atomenergie gibt, damit, wie sich die EU darstelle, und mit ihrem mangelnden Demokratieverständnis. Es gehe nicht darum, ein Europa der Eliten aufzubauen, sondern darum, ein gemeinsames Europa aufzubauen; will man ein Europa der Bürger, dann müsse man versuchen, die Legitimationsbasis zu erweitern. Man habe für eine breitere Zustimmung zur Europäischen Union zu kämpfen, und die österreichischen Politiker hätten die Interessen Österreichs in der EU nachhaltig zu vertreten. Die bestehende Grundstimmung dürfe man nicht negieren. Der "wahre Europäer ist der Europäer, der Europa so sieht, wie es ist, und darum kämpft, dass es sich verbessert, dass es bürgernahe wird". Es sei Realität, dass es Ängste gibt. Durch Demokratisierungsschritte müsse man versuchen, diese "eigene Brüssel-Welt" aufzubrechen. Die Sozialdemokraten seien "Pro-Europäer", sie wollen Veränderungen im Interesse Österreichs und Europas in der EU herbeiführen – gemeinsam mit den Bürgern, aber auch mit der ÖVP.

Abgeordneter STRACHE (F) brachte eingangs einen Entschließungsantrag betreffend Widerrufung der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon ein und kündigte an, seine Fraktion werde den bereits angesprochenen Brief der SPÖ-Spitze als eigenen Antrag einbringen und namentliche Abstimmung beantragen. Damit werde sich zeigen, wo die einzelnen Parteien wirklich stünden. Bislang habe die Regierung Politik gegen das eigene Volk gemacht, weil sie eine autoritäre Einstellung an den Tag gelegt habe und über das Volk "drübergefahren" sei.

SPÖ und ÖVP hätten Österreich seinerzeit mit leeren Versprechungen in die EU "hineinmanipuliert". Alles werde billiger, der Schilling bleibe erhalten, das seien die Behauptungen gewesen, doch genau das Gegenteil sei eingetreten. Man spüre immer mehr Nachteile durch die EU, und da sei es mehr als legitim, diese zu kritisieren und zu einer Kursänderung zu veranlassen. Die Parlamentarier müssten die Volksinteressen vertreten und nicht jene Brüssels.

Der Redner kritisierte die Untätigkeit der Regierung angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und meinte, man brauche sich nicht zu wundern, wenn die Bürger das Vertrauen in diese Regierung verloren haben. Seine Partei stehe für die Interessen Österreichs und für die Einhaltung der österreichischen Verfassung und werde dementsprechend agieren. Österreich könne gestärkt werden durch eine soziale Österreichpartei, und diese sei die FPÖ.

Abgeordneter Dr. SCHÜSSEL (V) wies den Vorwurf, seine Partei sei autoritär, zurück und stellte die Gegenfrage, ob der berühmte SPÖ-Brief überhaupt vorher in den zuständigen Gremien diskutiert wurde. An seinen Vorredner gewandt, meinte Schüssel, man könne nicht dann, wenn eine Volksabstimmung nicht so ausgehe, wie man es sich gewünscht habe, von Manipulation sprechen. Wenn die FPÖ heute wieder eine Volksabstimmung fordere, dann gehe es ihr in Wirklichkeit um einen Austritt aus der EU, und den "wird es nicht spielen".

Österreich habe massiv vom EU-Beitritt profitiert, das heimische Wachstum sei doppelt so groß wie jenes der Schweiz, Europa schütze und nütze Österreich, da dürfe man sich nicht ins Abseits stellen. Schüssel zählte konkrete Vorteile auf, die es ohne den Beitritt nie gegeben hätte. Man tue also gut daran, an der europäischen Orientierung festzuhalten.

Europa sei der sozialste Kontinent auf der ganze Welt, angesichts der Summen, welche die EU für soziale Aspekte aufwende, sei es absurd, zu behaupten, die EU sei nicht sozial. Der Schwenk der SPÖ sei nicht zu goutieren, diese Partei habe damit den Rubikon überschritten. Von "proeuropäisch" könne in diesem Zusammenhang nicht mehr die Rede sein, die SPÖ sei im Lager der EU-Gegner gelandet. Seine Partei wolle hingegen ein starkes Österreich in einer starken Union, schloss Schüssel.

Abgeordneter WESTENTHALER (B) verwies auf die Aussage des SPÖ-Klubobmanns, wonach die SPÖ gescheiter geworden sei und meinte, zwischen gescheiter und gescheitert liege nur noch ein Buchstabe. Was die SPÖ in den letzten Wochen aufgeführt habe, sei kaum mehr zu beschreiben. Monatelang habe die SPÖ alles, was gegen die Annahme dieses Vertrages sprach, vom Tisch gewischt, um nach dem Votum in Irland eine 180-Grad-Wende zu vollziehen. Die SPÖ gebe mithin nur ein leeres Wahlversprechen ab, das BZÖ habe hingegen eine klare Linie, sagte der Redner, der einen Entschließungsantrag betreffend die Kernaussagen des SPÖ-Briefs einbrachte.

Sodann befasste sich der Redner mit der europäischen Zuwanderungspolitik und meinte, es werde immer davon geredet, wie sehr Österreich von der EU profitiere, doch die Menschen merkten davon nichts. Die genannten Gelder kämen nicht an, die wirtschaftliche Lage verschlechtere sich fortlaufend, wie der massive Personalabbau bei Siemens, IBM oder BA zeige. Menschen würden ihre Existenzgrundlage verlieren, die EU und die österreichische Regierung sähen dem tatenlos zu. Das sei nicht die Politik des BZÖ. Es könne nicht der Sinn der Globalisierung sein, "dass mein Auto in Polen, meine Wertsachen in Rumänien und mein Geld in Brüssel ist".

Die weitere Debatte

Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) würdigte den Friedensaspekt des europäischen Projekts. Allein schon deshalb seien die Sozialdemokraten überzeugte Europäer, was sie sich von niemandem absprechen ließen. Allerdings bedinge das Bekenntnis zu Europa auch die Verantwortung, für die Interessen der europäischen Bevölkerung einzutreten.

Abgehobenes Verhalten könne nicht goutiert werden, die EU dürfe kein elitäres Projekt sein, sie müsse ein soziales Projekt im Einklang mit den Interessen der Menschen sein, und dafür trete die SPÖ mit ihren Vorschlägen ein, schloss die Rednerin.

Abgeordneter KOPF (V) meinte, das europäische Projekt habe zum Ziel gehabt, durch wirtschaftliche Verflechtung Frieden und Sicherheit zu schaffen, und habe sich dabei als Erfolgsmodell erwiesen. Die EU sei der weltweit größte einheitliche Wirtschaftsraum geworden, und davon profitiere auch Österreich. Man habe die Exporte verdreifachen können, sei der größte Investor in Osteuropa, und auch das eigene Wirtschaftswachstum falle größer aus.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) sagte, die SPÖ habe mit ihrem Kotau ihren Traum von einem besseren, sozialeren Europa aufgegeben, da sie völlig unglaubwürdig geworden sei. Der Vertrag von Lissabon hätte konkrete Verbesserungen gebracht, weshalb sie einen Entschließungsantrag betreffend "European Act of Democracy" einbringe, durch welchen die wesentlichen Punkte dieses Vertrags für die Bürgerinnen und Bürger gerettet werden sollten.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) brachte einen Entschließungsantrag betreffend Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein. Die FPÖ bestreite nicht die Vorteile, die sich durch die EU ergeben hätten, aber die EU habe eben auch Nachteile gebracht, und diesen Umstand dürfe man nicht ignorieren. Das Verhalten der SPÖ zeige, dass die FPÖ auf dem richtigen Weg sei, es könne nur ein bürgernahes Europa geben, wenn man die Bürger auch die Politik mitbestimmen lasse.

Abgeordneter SCHEIBNER (B) konzedierte, dass 1994 zwei Drittel der Wähler für den EU-Beitritt gestimmt hätten, doch stelle sich die Frage, ob sie dies auch getan hätten, wenn sie objektiv informiert worden wären. Er bekenne sich zum europäischen Projekt, zu dem es an sich keine Alternative gebe, aber gerade deshalb müsse man den konkreten Zustand der EU kritisieren. Die EU habe angesichts der wirtschaftlichen Probleme konkrete Aufgaben, und deren Erledigung müsse man beständig einmahnen, so der Redner, der die Ansicht vertrat, man müsse eine Neuordnung Europas in Angriff nehmen.

Abgeordneter KRAINER (S) erinnerte die Grünen an eine Resolution ihrer Josefstädter Bezirksorganisation, die sich dafür aussprach, sich dem Bürger zuzuwenden, ohne sich von Europa abzuwenden, die für mehr Demokratie in der EU eintrat und dazu auch Volksabstimmungen zählte. Für Krainer besteht kein Widerspruch zwischen der Forderung nach europaweiten Volksabstimmungen und der Forderung nach nationalen Volksabstimmungen. Da es lange dauern könnte, bis Volksabstimmungen auf EU-Ebene möglich würden, sollten bis dahin nationale Volksabstimmungen möglich sein. Kritisch erinnerte Krainer an ein Gespräch mit Kommissionspräsident Barroso, der die Senkung von Roaming-Gebühren, den  Abschluss grenzüberschreitender Versicherungen und die Möglichkeit, Flugtickets im Internet zu buchen, für EU-Prioritäten hielt, für die Verbesserung der sozialen Sicherheit aber die Nationalstaaten für zuständig erklärte. Barrosos  Anliegen mögen für wirtschaftliche oder politische Eliten interessant sein, für die Menschen sei die soziale Sicherheit aber wichtiger, sagte Krainer. Die SPÖ bleibe bei ihrer europäischen Orientierung, sie hält es aber für notwendig, Fehlentwicklungen zu kritisieren, sagte der Abgeordnete.

Abgeordnete Dr. KARL (V) stellte die Frage, ob man wirklich wollen könne, dass europäische Sozialstandards künftig in Österreich gelten sollen. "Wollen wir wirklich unsere sozialen Standards auf ein Niveau bringen, wie es etwa in Portugal besteht?" - Um glaubwürdig über eine europäische soziale Union diskutieren zu können, sollte man wissen, was die EU zur Weiterentwicklung der sozialen System in Europa leiste, sagte Karl. Die EU bemühe sich, die Gratwanderung zwischen Integration und nationaler Souveränität in der der Sozialpolitik zu schaffen - und dabei sei sie sehr erfolgreich. Sie habe erfolgreich Massenentlassungen in Großkonzernen verhindert, Richtlinien zum Schutz vor Sozialdumping erlassen, Arbeitnehmer vor Ausbeutung bei Entsendungen geschützt, Gleichbehandlung, Mutterschutz, Arbeitnehmerschutz und Arbeitnehmermitbestimmung verbessert. Auch der EuGH habe durch seine Entscheidungen die sozialpolitische Entwicklung in Europa vorangetrieben, hielt die Rednerin fest.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) vermisste bei der SPÖ eine präzise Analyse des Vertrags von Lissabon und das Engagement ihrer Regierungsmitglieder auf EU-Ebene. Ihr sei es zu wenig, mangelnde Fortschritte auf EU-Ebene mit dem Widerstand konservativer Mehrheiten in Europa zu erklären. Statt Probleme nur zu verwalten, sei politisches Engagement in der EU gefragt, sagte die Abgeordnete und nannte als Beispiel die Anti-Atompolitik. Hier müssten sich ÖVP- und SPÖ-Minister den Vorwurf gefallen lassen, EU-Forschungsgeldern zuzustimmen, die dem Ausbau der Kernenergie dienten und nicht, wie sie immer wieder behaupteten, der Erhöhung der Reaktorsicherheit. Glawischnig-Piesczek verlangt deutlich mehr Engagement für den Atomausstieg in Europa. Dem BZÖ warf sie vor, in seiner EU-Politik einen "Salto Mortale" vollzogen zu haben. Die BZÖ-Abgeordneten hätten dem EU-Verfassungsvertrag nämlich zugestimmt, erinnerte die Mandatarin.

Abgeordneter Dr. KURZMANN (F) legte einen Entschließungsantrag seiner Fraktion vor, der sich im Wesentlichen mit dem Inhalt des Briefes decke, den Faymann und Gusenbauer an Herausgeber Dichand geschrieben haben: Über Verträge, die auf EU-Ebene abgeschlossen werden sollen, solle, wenn sie österreichische Interessen berührten, eine Volksabstimmung abgehalten werden.

Die Ausführungen des Bundeskanzlers und der Außenministerin kritisierte Kurzmann als zu wenig konkret und warf insbesondere der Außenministerin vor, das demokratische Votum der Iren nicht ernst zu nehmen. Die FPÖ lehne den Vertrag von Lissabon ab, weil sie keinen zentralistischen EU-Staat wolle, sondern ein Europa der Vaterländer. Der Vertrag von Nizza erhalte Österreich zumindest ein Vetorecht bei EU-Entscheidungen, sagte der Abgeordnete, dieses Vetorecht hätte der Lissabon-Vertrag beseitigt.

Abgeordneter DOLINSCHEK (B) räumte ein, dass der EU-Beitritt Österreich Vorteile gebracht habe. Die Exporte haben zugenommen und die Steuereinnahmen sprudelten. Die Menschen fragten sich aber, wo das Geld hingehe. Die Bürger nehmen die EU als eine Wirtschaftsunion wahr, von der sie aber nichts haben, die auf den Weltmärkten nicht gemeinsam auftrete, die von Sicherheit im Schengen-Raum spreche, während die innere Sicherheit abnehme, und die eine gemeinsame Währung eingeführt habe, die sich als "Teuro" erweise. Ein Liter Benzin habe beim EU-Beitritt 43 Cent gekostet, heute müsse man 1,5 € bezahlen. Die Einkommen stagnierten, die Inflation nehme zu, und die Bürger könnten nicht verstehen, warum die EU dagegen nichts unternehme. Europa müsse demokratischer und bürgernäher werden, lautet die Forderung des BZÖ.

Abgeordnete Mag. WURM (S) verteidigte das Projekt der Europäischen Union als ein wichtiges Friedensprojekt und unterstrich dabei die Bedeutung der neutralen Staaten in Europa. Zu den vielen Fortschritten, die die EU gebracht habe, zählen für die Tiroler Abgeordnete der Abbau der Grenzbalken auf dem Brenner. Was die EU brauche, sei eine Weiterentwicklung der Sozialunion, diese werde die Menschen wieder für die europäische Idee begeistern. Wurm lobte das Eintreten von Verkehrsminister Faymann für eine höhere LKW-Maut und machte darauf aufmerksam, dass beim Projekt Brenner-Basistunnel endlich etwas weitergehe. Die SPÖ trete für ein Europa der Bürger ein, denn die EU könne nicht ohne die Völker und nicht ohne ihre Menschen geschaffen werden.

Abgeordneter GROSSRUCK (V) erinnerte an biblische Zeiten, als Sünder ihre Hände auf einen Ziegenbock legten und ihn als Symbol ihrer Sünden in die Wüste trieben. Mit ihrer Wende in der EU-Politik habe sich die SPÖ selbst in die Wüste geschickt, formulierte Großruck. Die Leistungen der Europäischen Union illustrierte der Abgeordnete, indem er an die Bewältigung der Krise beim Zerfall Jugoslawiens erinnerte. Seit damals seien - zunächst auf teils blutige Weise - sieben neue Staaten entstanden, und nur dank der Europäischen Union sei es gelungen, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Heute helfe die Europäische Union den Menschen in den Balkanstaaten und sorge dafür, dass sie dort eine Zukunftsperspektive haben und in ihrer Heimat bleiben. Sie erreiche damit, was die FPÖ wortreich fordere. In diesem Zusammenhang würdigte der Abgeordnete einmal mehr den Einsatz von Freiwilligenorganisationen bei der grenzüberschreitenden Hilfe für Menschen in Not.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) unterstrich das Eintreten ihrer Fraktion für eine Europäische Union mit menschlichem Antlitz und sozialer Ausrichtung und plädierte für eine ökologische Union. Moser konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf die Transitpolitik und wies auf die enormen Belastungen der Menschen an den Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsrouten hin. Verkehrsminister Faymann habe eine Erhöhung der LKW-Maut um mehr als 50 Cent verlangt, die EU-Kommission sei aber nur zu einer Erhöhung um 5 Cent bereit, kritisierte Moser. In einem Entschließungsantrag ihrer Fraktion verlangte sie entschlossene Maßnahmen gegen die EU-Transitpolitik und gegen die Zulassung der neuen "Giga-Liner", 25 m lange LKW mit 60 t Gesamtgewicht.

Abgeordneter Dr. HAIMBUCHNER (F) forderte Abgeordneten Großruck auf, Geschichte zu lernen, denn zur Zeit der Jugoslawienkrise habe es keine EU gegeben und die Flüchtlingsproblematik habe das Nicht-EU-Land Österreich gelöst, indem es tausende Flüchtlinge aufgenommen und vielen von ihnen eine neue Heimat gegeben habe. Die EU präsentiere sich gerne als ein Land, in dem Milch und Honig fließen, den Menschen gehe es aber immer schlechter, stellte der Redner fest. "Was tut die EU gegen die Krise des europäischen Mittelstandes", fragte Haimbuchner etwa. Warum seien die Ideen der EU ausgerechnet in Irland gescheitert, fügte er hinzu, in einem Land, das von der europäischen Integration weit überdurchschnittlich profitiert habe? Die EU werde nicht von den Menschen getragen, lautete seine Antwort. Die Österreicher könnten sich darauf verlassen, dass die FPÖ für ein Europa eintreten, in dem die Bürger mitentscheiden können; die FPÖ kämpfe für ein Europa der Vaterländer, schloss Haimbuchner.

Abgeordneter Mag. DARMANN (B): "Das Parlament wird heute zu einem Ort, an dem über das Demokratieverständnis von SPÖ, ÖVP und Grünen gesprochen wird, über Parteien, die die Bürger von der Entscheidung über den Vertrag von Lissabon ausgeschlossen haben". Der Bundeskanzler müsse sich fragen lassen, warum er den "Dialog mit den Menschen", von dem er heute gesprochen habe, bisher verweigert habe. Die Außenministerin müsse erklären, warum sie das "starke und selbstbewusste Österreich" im Konflikt zwischen China und Tibet nicht zur Geltung gebracht habe, und Abgeordneter Van der Bellen müsse sich fragen, warum er trotz "fehlender Bürgernähe der EU" SPÖ und ÖVP darin unterstützt habe, eine Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon zu verhindern. Das Bundesland Kärnten habe hingegen eine Volksbefragung vorbereitet und habe nur durch eine vorgezogene Ratifizierung des EU-Vertrages an der Abhaltung der Volksbefragung gehindert werden können, erinnerte der Abgeordnete.

Abgeordneter Dr. FICHTENBAUER (F) legte einen Entschließungsantrag seiner Partei vor, der eine Änderung der Bundesverfassung mit dem Ziel vorschlug, jede Zustimmung Österreichs zur Änderung europäischer Verträge von einer Volksabstimmung abhängig zu machen. So richtig es war, beim EU-Beitritt eine Volksabstimmung abzuhalten, so richtig wäre es auch bei der Ratifikation des Vertrags von Lissabon gewesen, eine Volksabstimmung abzuhalten, weil auch dieser Vertrag eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bedeute. Dieses Gebot sei mit der Zwei-Drittel-Mehrheit von SPÖ, ÖVP und Grünen nicht eingehalten worden, kritisierte der Abgeordnete und konstatierte ein Chaos infolge des irischen Nein zum Vertrag von Lissabon. Die Europäische Union habe es verabsäumt, einen Plan B für den Fall des Scheiterns dieses Vertrags auszuarbeiten.

Abgeordneter NEUBAUER (F) legte einen weiteren Entschließungsantrag der FPÖ vor, der von der Bundesregierung eine aktive Anti-Atom-Politik und eine Volksabstimmung über einen Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag forderte. Ein solcher Vertragsausstieg sei europarechtlich möglich, sagte der Redner und erinnerte daran, dass Österreich mittlerweile bereits 40 Mio. Euro in den EURATOM-Topf einzahle und damit die europäische Atom-Lobby mitfinanziere. Dies stehe im Widerspruch zum Ergebnis der Volksabstimmung über die österreichische Energiepolitik.

Bei der Abstimmung wurden alle Entschließungsanträge der Oppositionsparteien mehrheitlich abgelehnt. Der FPÖ-Entschließungsantrag über eine Neuorientierung der österreichischen EU-Politik verfiel in namentlicher Abstimmung bei 161 abgegebenen Stimmen mit 134:27 Stimmen der Ablehnung. 

(Schluss Europapolitik/Forts NR)