Parlamentskorrespondenz Nr. 431 vom 15.05.2009

Chinas zweiter Mann im Gespräch mit NR-Präsidentin Prammer

Wu Bangguo über die globale Krise, Menschenrechte und Tibet

Wien (PK) – Am späten Nachmittag wurde der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China, Wu Bangguo, der von einer großen Delegation begleitet wurde, von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Parlament empfangen. Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Wu Bangguo, der insgesamt vier Tage in Österreich sein wird, standen die Intensivierung der guten bilateralen Beziehungen, die Bewältigung der internationalen Finanzkrise, der Dialog zwischen der EU und China, die Frage der Menschenrechte, die Situation in Tibet sowie das nordkoreanische Atomprogramm. Von österreichischer Seite nahmen noch die Abgeordneten Josef Cap (S), Wolfgang Großruck (V) und Johannes Hübner (F) teil.

Wu Bangguo hob die guten bilateralen Beziehungen und den regen Besuchsaustausch zwischen Österreich und China hervor, der dazu beigetragen hat, das gegenseitige Verständnis zu verbessern und das politische Vertrauen zu vertiefen. Sein Land würde sich daher sehr freuen, wenn nicht nur Bundespräsident Heinz Fischer in diesem Jahr China besuchen wird, sondern auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Wu Bangguo wünschte sich eine Intensivierung der Kontakte in allen Bereichen, unter anderem auch auf parlamentarischer Ebene und zwischen den Fachministern.

Sodann nahm er zur internationalen Finanzkrise Stellung, von der auch China, da es sehr exportorientiert sei (30 % vom BIP), stark betroffen ist. Man habe jedoch ein sehr umfangreiches Konjunkturpaket geschnürt, um die Inlandsnachfrage zu stärken und habe bereits erste Erfolge damit erzielt. Im ersten Quartal 2009 konnte ein Zuwachs des BIP um 6,1 % erreicht werden, mittelfristig werden 8 % angepeilt.

Auf internationaler Ebene plädierte der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses für ein faires und gerechtes Finanzsystem, das mehr Überwachungs- und Kontrollmechanismen vorsieht und besser die Bedürfnisse der Entwicklungsländer berücksichtigt.

Da Tibet eine Frage im beiderseitigen Interesse sei, so Wu Bangguo, wolle er klar dazu Stellung nehmen. In den letzten 50 Jahren habe sich diese Region sehr stark entwickelt, es wurden nicht nur große Investitionen in die Infrastruktur getätigt, auch die Lebenserwartung der Menschen habe sich enorm erhöht. Was den Dalai Lama angeht, so handle es sich dabei um keine Frage der Nation, der Religion oder der Kultur, unterstrich er, sondern dabei gehe es um die Wahrung der Einheit Chinas. Die Stabilität Tibets berühre die Kerninteressen Chinas und die Gefühle der 1,3 Milliarden Menschen;  er hoffe daher, dass die österreichischen Freunde dies berücksichtigen.

Es sei eine Ehre, einen so hochrangigen Politiker aus China im Hohen Haus begrüßen zu dürfen, meinte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Zum Thema Menschenrechte merkte die NR-Präsidentin an, dass Österreich den diesbezüglichen chinesischen Aktionsplan sehr begrüße. Auch wenn die "Ein-China-Politik" selbstverständlich nicht in Frage gestellt werde, beobachte man aufmerksam die Entwicklungen in Tibet und Taiwan. In diesem Zusammenhang verwies sie auf die in der Verfassung vorgesehene Autonomie Tibets sowie auf den Schutz der religiösen Rechte, was für Österreich von großer Bedeutung sei. Deshalb habe auch der Dalai Lama als Religionsführer einen wichtigen Stellenwert. Zudem trat Prammer für die Abschaffung der Todesstrafe weltweit ein und erinnerte daran, dass erst kürzlich vier Todesurteile gegen Tibeter in China gefällt wurden.

Österreich lege großen Wert auf gute Beziehungen zu China, die sich in den letzten Jahre immer mehr intensiviert haben, führte Prammer weiter aus. So habe nicht nur das bilaterale Handelsvolumen im Jahr 2008 ein Rekordniveau (über 7 Mrd. Euro) erreicht, auch in allen anderen Bereichen, wie z.B. im Tourismus, der Kultur und dem Bildungssektor haben sich die Kontakte besonders positiv entwickelt. Bemerkenswert seien auch die Beziehungen auf regionaler Ebene, die zu immer mehr Städtepartnerschaften führen. Ausdrücklich unterstützte sie auch die Fortsetzung des Stipendienprogramms für chinesische Jungdiplomaten.

Im wirtschaftlichen Bereich sah Prammer noch große Entwicklungspotentiale, und zwar in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Verkehr und Umwelttechnologien, da österreichische Firmen in diesen Bereichen internationale Spitzenreiter sind. Auf internationaler Ebene ergeben sich nun auch intensivere Kontakte mit China, da Österreich seit dem 1. Jänner nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist. Prammer lobte die gute Zusammenarbeit in diesem Gremium und erinnerte an die österreichischen Prioritäten: Schutz von Kindern und Zivilbevölkerung, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Berücksichtigung des Bereichs Frauen, Frieden und Sicherheit sowie Abrüstung.

Was die internationale Finanzkrise angeht, so war die Nationalratspräsidentin überzeugt davon, dass nun die Lehren daraus gezogen und gemeinsame Strategien sowie globale Mechanismen entwickelt werden müssen. Für sehr wichtig erachtete Prammer auch die Weiterentwicklung des Dialogs zwischen der EU und China. Sie sei zuversichtlich, dass in nächster Zeit wichtige Schritte gesetzt werden können.

Wu Bangguo, der hinter dem Staatspräsident Hu Jintao als Nummer zwei der chinesischen Staatsspitze rangiert, dankte für den offenen Meinungsaustausch und nahm noch zur Nordkorea-Frage Stellung. Sein Land trete für eine Denuklearisierung in dieser Region sowie für die Fortsetzung der Sechsparteiengespräche ein. Er versicherte, dass China eine konstruktive Rolle in diesem Prozess spielen und mit Österreich im UN-Sicherheitsrat zusammenarbeiten werde.

Der Gast aus China, der heute Vormittag in Wien angekommen ist, wird sich bis zum 18. Mai in Österreich aufhalten. Auf seiner Besuchsagenda stehen u.a. Gespräche mit dem Bundespräsidenten Heinz Fischer, Vizekanzler Josef Pröll, Bundesratspräsidenten Harald Reisenberger sowie der Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller.