Parlamentskorrespondenz Nr. 440 vom 02.06.2010

Drei österreichische Top-Universitäten im Jahr 2025?

Wissenschaftsausschuss debattiert langfristige Hochschulstrategien

Wien (PK) – Nach der Fachhochschul-Debatte hielt der Wissenschaftsausschuss eine Aktuelle Aussprache über die Analysen und Empfehlungen des Österreichischen Wissenschaftsrats zur Entwicklung des österreichischen Hochschul- und Wissenschaftssystems ab. Dessen Elf-Punkte Papier mit dem Titel "Universität Österreich 2025" präsentierte d er Vorsitzende des Österreichischen Wissenschaftsrates Univ.-Prof. Jürgen Mittelstraß den Abgeordneten. Die Vision des Wissenschaftlers für 2025 lautete: Drei österreichische Universitäten zählen zu jenen 20 bis 30 Universitäten, die laut Mittelstraß in diesem Jahr in Europa tonangebend sein werden. Über die richtigen Strategien und konkreten Maßnahmen für die Universitäten und Hochschulen debattierten die Abgeordneten lebhaft mit Jürgen Mittelstraß, seinem Stellvertreter Univ.-Prof. Walter Berka und Wissenschaftsministerin Beatrix Karl.

Danach setzte der Ausschuss einstimmig einen Unterausschuss zur Vorberatung des Zwischenberichts der Wissenschaftsministerin zu dem vor seinem Abschluss stehenden "Dialog Hochschulpartnerschaft" ein, der im November 2009, zur Zeit der Studentenproteste, aufgenommen wurde, um die relevanten Kräfte für die österreichischen Hochschulen in die Diskussion einzubeziehen. Ebenso einstimmig wiesen die Ausschussmitglieder diesem Unterausschuss auch zahlreiche Anträge der Oppositionsparteien zur Vorberatung zu.        

Elf Empfehlungen des Wissenschaftsrats für Hochschulen und Unis

D er Vorsitzende des Österreichischen Wissenschaftsrates Univ.-Prof. Jürgen Mittelstraß präsentierte dem Ausschuss "Universität Österreich 2025" und begrüßte eine Diskussion über das Wissenschafts- und Hochschulsystem in Österreich sowie die Absicht der Wissenschaftsministerin, einen Hochschulplan vorbereiten. Die Teile des österreichischen Hochschulsystems seien nicht systematisch geschaffen, sondern "naturwüchsig" aus verschiedenen Interessen hervorgegangen. Nun gehe es um eine Optimierung und Abstimmung des Systems, wobei der Wissenschaftsrat vorschlage, den Fachhochschulsektor auszubauen, zugleich aber die Kooperation zwischen Universitäten und Fachhochschulen zu verstärken. Der Wissenschaftsrat rate auch zu einer Überarbeitung des Akkreditierungsgesetzes sowie dazu, die Wissenschaftlichkeitsparameter bei den pädagogischen Hochschulen sicherzustellen. Um die Bildung wissenschaftlicher Zentren zu fördern, hielt es Mittelstraß für wünschenswert, Fächer und Disziplinen zwischen den einzelnen Hochschulstandorten abzugleichen. Das Verhältnis zwischen den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtung entspreche den Anforderungen und sollte nicht verändert werden. Bei den Sozial- und Geisteswissenschaften sprach sich Mittelstraß für eine Reintegration in die Universitäten aus. Bei der Akademie der Wissenschaften sah der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Reformbedarf.

Die Entwicklung der Autonomie an den Universitäten und außerhalb hielt Mittelstraß ebenso für wichtig wie Finanzierungsfragen im Hinblick auf das 2 %-BIP-Ziel bis 2020, die Regelung des Universitätszugangs und die Beachtung der Dialektik zwischen Kooperation und Wettbewerb. Entscheidend für den österreichischen Hochschulraum sei auch die Internationalisierung, sagte Mittelstraß, der die Bereitschaft des Wissenschaftsrats unterstrich, am kooperativen Vorgehen in Richtung Hochschulplan mitzuwirken.

Der stellvertretende Vorsitzende des österreichischen Wissenschaftsrates, Univ. Prof. Walter Berka, sah die Gefahr, dass ungelöste Finanzierungsprobleme zum Verlust einer weiteren Forschergeneration in Österreich führen könnte. Die Krise mache die Aufgabe nicht leichter, sagte Berka, mit intelligenten Lösungen seien die Probleme aber zu bewältigen.

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl teilte den Abgeordneten mit, das Verhältnis der Universitäten zu Fachhochschulen und Privatuniversitäten sei ein Thema des "Dialogs Hochschulpartnerschaft". Die Ergebnisse des Dialogs sollen in den Hochschulplan einfließen, der auch Antworten auf Finanzierungsfragen geben werde.

Nicht alle intelligenten Lösungen für Universitätsprobleme kosten viel Geld, sagte die Ministerin und unterstrich ihr Eintreten für mehr Kooperation zwischen den Universitäten, für mehr Wettbewerb und Internationalisierung. Denn es bestehe ein Wettbewerb um die besten Studierenden, Lehrer und Forscher, nur durch Kooperation könnten die Universitäten in diesem Wettbewerb bestehen. Einmal mehr betonte Karl die Notwendigkeit, "Exzellenzcluster" zu bilden und diese international sichtbar zu machen. 

Abgeordneter Andreas Karlsböck (F) hielt es für interessant, wie sehr die Fachhochschulen in den höchsten Tönen gelobt werden, die Universitäten aber ein Krisenszenario darstellten. Die Liste der Probleme sei lange, meinte der Abgeordnete und stellte fest, der an sich richtige "Bologna-Prozess" sei für Österreich zu schnell gekommen und mit zu wenig Geld und zu wenig Lehrern umgesetzt worden. Karlsböck bemängelte zu wenig durchlässige Studien und problematisierte die Übertragung der Zuständigkeit für die Curricula in die Autonomie der Universitäten. Außerdem stellte der Redner fest, der freie Universitätszugang werde immer mehr abgeschafft, zugleich fehle aber der Mut, diese Tatsache auszusprechen.

Abgeordneter Kurt Grünewald (G) lobte den Wissenschaftsrat, der sich emanzipiert habe, gute Studien liefere und seine strategische Aufgabe erfülle. Das vorliegende Papier bezeichnete Grünewald als tauglich und schlug vor, dem Wissenschaftsrat die Moderation des Diskussionsprozesses zu dem angestrebten Hochschulplan zu übertragen.

Abgeordneter Rainer Widmann (B) sah die Hochschulpolitik als eine der größten politischen Baustellen Österreichs an und vermisste Taten und konkrete Entscheidungen zur Verbesserung der finanziellen und infrastrukturellen Situation an den Hochschulen. Mit einer langen Liste an Detailfragen erkundigte sich der Abgeordnete nach dem Stand der Dinge im Bologna-Prozess, nach Maßnahmen zur Internationalisierung und warnte davor, die Grundlagenforschung im Hinblick auf die Ausweitung der Drittmittelfinanzierung immer mehr in den Hintergrund treten zu lassen. Weitere Fragen galten der schlechten Position Österreichs in Uni-Rankings und dem "beschämend niedrigen Frauenanteil" an den Universitäten.

Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) betonte die Notwendigkeit für Österreich, sich in der Wissenschaft international zu positionieren und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Hochschulen zu erhöhen. Wichtig sei dabei die Profilbildung, unter anderem auch für eine forschungsgeleitete Lehre an den pädagogischen Hochschulen sowie zur Sicherung der Gleichwertigkeit von Universitäten und Fachhochschulen, die den Bologna-Prozess gut umgesetzt haben. Cortolezis-Schlager sprach sich für die Qualitätssicherung an den Universitäten aus und verlangte Visionen für 2025.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) wandte sich gegen jede Politik, die in der Hochschulpolitik auf Klientelpolitik und damit auf eine Beschränkung des Nachwuchses setze. Ihre Detailfragen richteten sich auf die bestehenden Vorarbeiten zum Hochschulplan sowie darauf, wer diesen Plan erstelle.

Abgeordneter Wolfgang Zinggl (G) problematisierte die Wettbewerbsorientierung in der Hochschulpolitik, sowie die "Ranking-Manie" und das "Exzellenzsyndrom". Man sollte den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, indem man den jungen Menschen gebe, was sie brauchten, um studieren zu können, statt andauernd von "den Besten" zu reden. Zinggl trat für Hochschulneugründungen ein, um vorhandenem Bedarf zu entsprechen. Konkret wies er darauf hin, dass Graz keine Kunsthochschule habe und Ausbildungsplätze für die stark wachsende Filmbranche fehlten.

Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) plädierte dafür, mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht erst im tertiären Bildungssektor zu beginnen, sondern bereits im sekundären Sektor, etwa durch die Mitarbeit der Universitäten an Lehrbüchern.

Wissenschaftsrat-Vorsitzender Mittelstraß wehrte sich dagegen, die Regelung des Zugangs an den Universitäten mit einer Beschränkung des freien Zugangs gleichzusetzen. Man müsse dafür sorgen, dass die richtigen Leute am richtigen Ort landeten.

Der Bologna-Prozess sei richtig und lasse sich nicht umkehren, die Kritik an starken Verschulungstendenzen, die individuelle Studiengänge einschränkten, teilte der Wissenschaftler jedoch. Mit Leistungsvereinbarungen im Rahmen einer weiterentwickelten Autonomie der Hochschulen sollte dieses Problem aber lösbar sein, zeigte sich Mittelstraß überzeugt.

Eine Lanze brach Prof. Mittelstraß für die Grundlagenforschung und schlug vor, den Fonds für die wissenschaftliche Forschung zu stärken und die Clusterbildung zu fördern.

Auch Mittelstraß wandte sich gegen die "Ranking-Manie", weil die Kriterien für die Reihung der Universitäten oft fragwürdig seien. Mittelstraß wandte sich aber gegen jede Provinzialisierung in der Wissenschaft, warnte davor, sich von internationalen Entwicklungen abzukoppeln und hielt es wie die Ministerin für wichtig, die besten Köpfe zu gewinnen. Die österreichische Hochschullandschaft sei bunt genug, es gehe um ihre Optimierung, nicht um Ausweitungen und Neugründungen. Als seine Vision für das Jahr 2025 nannte Mittelstraß die Aussicht, unter den 20-30 Universitäten, die dann in Europa den Ton angeben werden, drei österreichische Universitäten zu haben.

Auf eine diesbezügliche Frage des Abgeordneten Karlsböck sagte Univ. Prof. Walter Berka, der Vorschlag, das Kuriensystem an den Universitäten durch eine Einheitskurie zu ersetzen, greife zu kurz. Auch das US-Faculty-Modell sei nicht die Lösung, weise aber in die richtige Richtung zur Förderung der Partizipationskulturen an den Universitäten. Berka verteidigte die Übertragung der Gestaltung der Curricula in die Autonomie der Universitäten, die Teil der "relativen Erfolgsgeschichte" der Universitäten seit 2002 sei.

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl teilte Abgeordneter Heidrun Silhavy (S) mit, dass sie sich beim Thema Studienplatzfinanzierung an den Universitäten im Hochschuldialog für getrennte Finanzierungen der Lehre und der Forschung einsetze.

Bei der Umsetzung des Bologna-Modells sah auch die Wissenschaftsministerin Verbesserungsbedarf und räumte ein, Probleme bei der Anrechenbarkeit von Studien seien ihr ein "Dorn im Auge". Das Bundesministerium sei aber sicher kein Ort für die Gestaltung der Curricula. Hinsichtlich des Bologna-Prozesses warb die Bundesministerin um Unterstützung ihres Zehnpunkteprogramms "Bologna Reloaded".

Der österreichische Wissenschaftsrat soll in der Diskussion zur Ausarbeitung des Hochschulplans eine wichtige Rolle spielen, gab die Ministerin Abgeordnetem Kurt Grünewald (G) recht.

Eine lange Liste von Fragen des Abgeordneten Rainer Widmann (B) beantwortete die Ministerin, indem sie sich zu dem Ziel bekannte, mehr Absolventen akademischer Studien zu erreichen, die Drop-out-Rate bei den Studierenden zu senken, Kooperation und Qualität zu verbessern, mehr Forschungsarbeitsplätze zu schaffen und die Internationalisierung sowie die Mobilität von Lehrern und Studierenden zu verbessern.

Rankings seien problematisch, wenn Universitäten miteinander verglichen würden, die über unterschiedliche Mittel verfügten oder unterschiedliche Zugangssysteme hätten. Ministerin Karl problematisierte einmal mehr "Massenstudien" mit schlechten Betreuungsverhältnissen, in denen die Forschung zu kurz komme. Bei der Verbesserung der Frauenquote an den Universitäten sei noch viel zu tun, räumte die Wissenschaftsministerin ein.

Kritik an den Ausführungen der Ministerin übte Abgeordnete Sabine Oberhauser (S): Ministerin Karl sollte Studierende nicht als "Störfaktoren" an den Universitäten sehen, es gehe um gute Studienbedingungen für die jungen Menschen.

Dem gegenüber hielt die Bundesministerin fest, dass es dem Interesse der Studierenden entspreche, für die besten Lehrer und Forscher an den Hochschulen zu sorgen.

Prof. Mittelstraß gab seiner Überzeugung Ausdruck, einerseits sollten die Universitäten an die Schulen und andererseits die Schulen an die Universitäten gehen, um die künftigen Studierenden bereits zwei Jahre vor der Matura mit den Verhältnissen an den Hochschulen besser vertraut zu machen. Mittelstraß riet auch dazu, die beiden Aufgaben "Lehre" und "Forschung" gleichwertig zu sehen. "Die besten Forscher sind zumeist auch die besten Lehrer", schloss der Vorsitzende des österreichischen Wissenschaftsrates.

Unterausschuss zum "Dialog Hochschulpartnerschaft" eingesetzt

Im Anschluss an die Aktuelle Aussprache setzte der Wissenschaftsausschuss auf Antrag von Ausschussobmann Martin Graf einstimmig einen Unterausschuss (5S:5V:3F:2G:1B) zur Vorberatung des Zwischenberichts der Wissenschaftsministerin zum "Dialog Hochschulpartnerschaft" (III-136 d.B. ) ein, der im November 2009, zur Zeit der Studentenproteste, aufgenommen wurde, um die relevanten Stakeholder für die österreichischen Hochschulen in die Diskussion einzubeziehen. Derzeit arbeite man an einem gemeinsamen Abschlussdokument und bereite eine abschließende Veranstaltung vor. Das Ende des Dialogs werde durch die Übergabe der Empfehlungen an die Akteure des tertiären Sektors auf Mikro-, Meso- und Makroebene markiert, schreibt die Ministerin in diesem Bericht. - Ebenso einstimmig wurden diesem Unterausschuss auch zahlreiche Anträgen der Oppositionsparteien zur Beratung zugewiesen.

Vorschläge der Oppositionsparteien

In ihren Anträgen verlangte die FPÖ, die Zersplitterung der Zuständigkeit für die Forschung auf sechs Ministerien zu überwinden und forderte eine Bündelung der Forschungskompetenzen im Wissenschaftsministerium (415/A [E]). Weitere FPÖ-Forderungen: Erhöhung des Bundesbeitrages für Fachhochschulstudienplätze um 34 % (419/A [E]); gleiche, geheime und unmittelbare Wahlen zur Hochschülerschaft statt E-Voting (452/A[E]); Errichtung einer Medizin-Universität in Linz (531/A[E]); Universitäts-Milliarde für Infrastruktur, Lehre und Forschung (848/A [E]), "Zwölf Punkte Plan" für Oberstufenreform, freien Hochschulzugang, Evaluierung des Universitätsmanagements, Fixierung des 2 %-BIP-Ziels für Forschung und Lehre bis 2015, mehr Lehrpersonal, Umsetzung des Online-Studiums an allen Universitäten und Evaluierung des Bologna-Prozesses (858/A [E]); Verbesserung der Berufsaussichten, des sozialen Status und der Lebensqualität praktischer Ärzte, um die Abwanderung von Jungärzten ins Ausland zu verhindern (976/A [E]).

Die Grünen traten für faire Praktika an Universitäten, Fachhochschulen, Unternehmen und Organisationen sowie für arbeitsrechtliche Mindeststandards für Praktikanten (29/A [E]) ein. Weitere Vorschläge: jährliche Steigerung des FWF-Budgets um 9 %, finanzielle Sicherung der geplanten "Exzellenzcluster" und Erhöhung der Fördermittel für den wissenschaftlichen Nachwuchs um 5 Mio. € jährlich (467/A[E]); Evaluierung sowie Bericht über der Lage von Praktikanten (597/A [E]); Gleichstellung von Staatenlosen bei der Studienbeihilfe (710/A [E]); Aufhebung von Beförderungsrestriktionen an den Universitäten (780/A [E]); Qualitätsoffensive samt Demokratisierung und 50 %-Frauenquote an heimischen Hochschulen (844/A [E]), ein 200 Millionen Euro-Notbudget für die Universitäten (845/A [E]), eine behindertengerechte Universität (856/A [E], 857/A [E]) sowie Globalbudgets für die Universitäten zur Verbesserung der Infrastruktur und zur Sicherung des Wissenschaftsstandortes bis 2015 (915/A).

Das BZÖ trat ebenfalls für eine Medizinische Universität in Linz ein

(512/A[E], 720/A [E]), forderte die Umsetzung der Rechnungshof-Vorschläge zur Verwaltungsreform im Wissenschaftsbereich (551/A[E]), beim Beschaffungswesen der medizinischen Universität Graz und bei der Vetmed Wien(553/A[E]), eine gemeinsame Plattform für zentrale Dienste an den Bundesmuseen (555/A[E]), mehr wissenschaftliches Personal an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (567/A[E]), eine Einschreibgebühr von 5.000 € an den Universitäten und einen 5000 €-Uni-Bonus für heimische MaturantInnen sowie eine zweckgebundene Notfallfinanzierung von 250 Millionen €, um akute personelle und infrastrukturelle Mängel zu beseitigen (854/A [E]). (Schluss)