Parlamentskorrespondenz Nr. 589 vom 08.07.2010

Demokratie ist nicht nur Privileg, sondern auch Verpflichtung

Wortlaut der Rede Barbara Prammers bei der 17. Bundesversammlung

Wien (PK) – Wir bringen den Wortlaut der Rede, die Barbara Prammer in ihrer Funktion als Präsidentin der 17. Bundesversammlung bei der Angelobung von Heinz Fischer als Bundespräsident gehalten hat.

Hohe Bundesversammlung!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Sie haben soeben Ihr Gelöbnis erneuert, das Sie heute vor sechs Jahren – am 8. Juli 2004 – zum ersten Mal abgelegt haben. Sie haben gelobt, die Verfassung und die Gesetze der Republik getreulich zu beobachten sowie Ihre Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Wir wünschen Ihnen für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit alles Gute.

In Ihrer Rede damals vor der Bundesversammlung haben Sie Ihr Amtsverständnis dargelegt und gesagt – ich zitiere:

"Der Bundespräsident steht […] im Dienste aller Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Er übt sein Amt objektiv und unparteiisch aus. Das heißt aber nicht, dass er auf Grundsätze und Prinzipien verzichtet."

Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Die Wählerinnen und Wähler haben am 25. April mit eindeutiger Mehrheit befunden, dass Sie dem gerecht geworden sind. Die Menschen haben Ihnen großes Vertrauen ausgesprochen. Das Wahlergebnis ist Anerkennung und Vertrauensvorschuss gleichermaßen, ist Bestätigung Ihrer Arbeit und Auftrag für eine zweite Amtsperiode im bisherigen Stil.

Ihre Amtsausübung ist – wie Ihre gesamte politische Tätigkeit – geprägt von fester weltanschaulicher Verankerung und Prinzipientreue, vom Respekt gegenüber Andersdenkenden und von der Fähigkeit zum Diskurs, vom Bemühen um Ausgleich und von der Bereitschaft zum Kompromiss, von Verfassungstreue und ausgeprägtem Grundrechtsbewusstsein, von der Kenntnis der Mechanismen von Politik, deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten, auch von deren Fallgruben, von Realitätssinn und Wissen um das politisch Machbare,

von Besonnenheit und überlegtem Handeln.

Alles zusammen wird – wie ich und viele Menschen mit mir meinen – dem Anforderungsprofil für das höchste Amt im Staat in höchstem Maße gerecht. Politik generell und erst recht in Spitzenfunktionen verlangt eben nicht nur Leidenschaft und Begeisterung, sondern vor allem Wissen, Professionalität, menschliche Qualitäten – also alles das, was Staatskunst erst ausmacht.

Hohe Bundesversammlung! Die Macht dieses Amtes basiert zunächst auf den Kompetenzen, mit denen die Verfassung den Bundespräsidenten ausstattet. Dazu zählen: die Vertretung der Republik nach außen, die Beurkundung der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen, die Bestellung der Bundesregierung, der Oberbefehl über das Bundesheer – um nur einige zu nennen. Der Bundespräsident ist aber auch befugt, die gesamte Bundesregierung zu entlassen, den Nationalrat oder einen Landtag aufzulösen, oder Notverordnungen zu erlassen.

Dass diese besonderen Kompetenzen in der Zweiten Republik bis jetzt nicht schlagend wurden, ist kein Indiz für einen Konstruktionsfehler in der Verfassung und stellt schon gar nicht das Präsidentenamt in Frage. Vielmehr ist das Ausdruck anhaltender politischer Stabilität und sozialen Friedens über einen erfreulich langen Zeitraum. Dabei kommt dem Bundespräsidenten aufgrund der ihm zugeschriebenen Funktion eine wichtige, wenn auch nicht immer sichtbare Aufgabe zu. Ich zitiere dazu Dr. Heinz Fischer aus seiner Rede am 8. Juli 2004 in diesem Saal:

"Der Bundespräsident ist Partner für alle Bemühungen um eine friedliche und gedeihliche Entwicklung der Republik. Es ist seine Aufgabe, auf das verfassungskonforme Funktionieren unseres politischen Systems und auf eine harmonische Zusammenarbeit der Staatsorgane hinzuarbeiten. Der Bundespräsident hat das Recht und die Pflicht, sich in angemessener Form zu Wort zu melden, wenn dies dem Ziel dient, einen Beitrag für eine positive Entwicklung unseres Landes zu leisten oder Schaden von unserem Gemeinwesen abzuwenden."

Um diesen Spagat – einerseits Kritik zu üben, andererseits konstruktiv an Verbesserungen mitzuwirken – bemüht sich verantwortungsvolle Politik, die sich nicht im Negativen erschöpft.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Macht dieses Amtes basiert aber auch auf den Erwartungen, die in den Bundespräsidenten gesetzt werden. Er soll Kritiker und Mahner ebenso sein wie Kontrolleur der Parteien und des politischen Personals, Wächter über Verfassung und Rechtsstaat, Initiator und Moderator gesellschaftspolitisch relevanter Debatten, Schiedsrichter in Konflikten.

Kurzum, er soll Orientierungspunkt, Wegweiser, Streitschlichter, moralische Instanz in einem sein. Das sind hohe Ansprüche an Amt und Inhaber. Sie drücken den Wunsch nach Autorität in bestem Sinne aus. Dieser Wunsch kann sich freilich auch in überzogene, nicht erfüllbare Hoffnungen steigern.

Unrealistische Ansprüche an das Staatsoberhaupt können auch Ausdruck eines Delegierens von politischer wie moralischer Verantwortung nach oben sein: Als könne der Bundespräsident allein dafür sorgen, dass im Staat alles mit rechten Dingen zugeht und jedes Problem gelöst wird. Repräsentative Demokratie heißt zwar befristete Übertragung von Macht an Mandatarinnen und Mandatare, meint allerdings nicht eine generelle Abgabe von Verantwortung. Und sie sieht keine Figur vor, in die alle Erwartungen projiziert werden können.

Demokratie ist nicht nur Privileg, sondern in gewisser Weise auch Verpflichtung, Verpflichtung zur aktiven Teilnahme. Dieser Auftrag richtet sich an alle, an jede einzelne Bürgerin, an jeden einzelnen Bürger. Demokratische Rechte – etwa aus Protest oder als Kritik am System – nicht zu nutzen, ist zwar legitim, ist aber kein konstruktiver politischer Beitrag, ist kein Handlungsauftrag, kein interpretierbares Argument. Demokratische Rechte nicht zu nutzen, gibt das Feld frei für Fremdbestimmung, bedeutet letztlich Verweigerung von Dialog, auf dem Demokratie aufbaut.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der neugewählte Bundespräsident leistet den Amtseid vor der Bundesversammlung in Anwesenheit der Bundesregierung und er tut das in einem geschichtsträchtigen Haus. Hier wurde 1920 – vor nunmehr 90 Jahren – unsere Bundesverfassung beschlossen. Diese wurde seither immer wieder geändert und auch heute wird über Reformen diskutiert.

Eines muss dabei klar sein: Debatten über eine Reform des Bundesstaates, der Verwaltung oder der Verfassungsorgane werden nur  Erfolg haben, wenn sie nicht mit parteipolitischem Kalkül und Eigennutz oder aus einem eingeschränkten regionalen Blickwinkel geführt werden.

Sie können nur erfolgreich sein, wenn sie von Sensibilität und Sinn für das Staatsganze geleitet sind. Das gebieten die Achtung vor der Verfassung und politische Vernunft. Darauf wird es im Übrigen gerade in nächster Zeit ankommen, wenn im Lichte der Budgetsituation nach Sparpotenzialen in der öffentlichen Verwaltung gesucht werden muss.

Bund, Länder und Gemeinden sind hier gleichermaßen und partnerschaftlich gefordert. Wobei sich Reformwille nicht darin zeigt, Forderungen an andere zu adressieren, den eigenen Verantwortungsbereich hingegen für tabu zu erklären. Staatskunst bedeutet Sinn für das Ganze und Fähigkeit zum Ausgleich.

Hohe Bundesversammlung!

Im Bemühen um Ausgewogenheit kommt dem Bundespräsidenten, ausgestattet mit dem Mandat aus einer Volkswahl, eine wichtige Rolle zu. Es spricht daher alles dagegen, dieses direktdemokratische Element auf Bundesebene zu beseitigen.

Selbstverständlich können bei allen Reformüberlegungen die Demokratie und die Erfolgsfaktoren der Zweiten Republik nicht zur Disposition stehen, nämlich: die Achtung der Grund- und Freiheitsrechte, der hohe Stellenwert für sozialen Ausgleich und gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Wahrung der Rechte von Volksgruppen und Minderheiten. Sie sind Antwort auf und Antithese zum Nationalsozialismus, stehen für die Absage an autoritäre Regime und für die Identität des neuen Österreich. Der EU-Beitritt war ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Eine überaus wichtige Rolle in der Europäischen Gemeinschaft kommt uns aufgrund der Brückenfunktion zu den jüngeren Mitgliedsstaaten in Zentral- und Osteuropa zu. Diese gilt es zu forcieren und auszubauen. Ich zitiere noch einmal den Herrn Bundespräsidenten aus seiner Rede vom 8. Juli 2004:

"Ich betrachte es als eine der wichtigsten Aufgaben der zivilisierten Menschheit im 21. Jahrhundert, den mühsam erkämpften nationalen Rechtsstaat durch gemeinsame Anstrengungen zum internationalen Rechtsstaat weiterzuentwickeln."

Es fügt sich gut, dass heute Nachmittag im Nationalrat, unmittelbar nach diesem Festakt, als erster Punkt auf der Tagesordnung eine Verfassungsnovelle zur Umsetzung des Vertrages von Lissabon steht. Damit wird – in breitem Konsens – eine weitere Anpassung der Bundesverfassung an ein sich veränderndes Europa vollzogen: Das österreichische Parlament erhält neue Rechte und damit wird seine Rolle in europäischen Belangen gestärkt. Europa wird demokratischer!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Wir wünschen Ihnen für Ihre zweite Amtsperiode vor allem Gesundheit, viel Energie und Elan, weiterhin viel Freude an Ihrer Aufgabe. Diese Wünsche gelten selbstverständlich auch Ihrer Frau Margit, der ich bei dieser Gelegenheit für ihr soziales Engagement aufrichtig danke.

Es entspricht nicht nur der Usance und es ist kein Stehsatz aus dem politischen Repertoire, wenn wir dem Bundespräsidenten zu Beginn seiner Amtszeit politisches Geschick und gutes Gelingen bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben wünschen. Schließlich hat jede Zeit spezielle Probleme, die es zu lösen gilt, und immer wartet die Zukunft mit neuen, großen Herausforderungen auf.

In diesem Sinne richten sich unsere guten Wünsche an Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, zugleich an alle Bürgerinnen und Bürger – als Aufruf zu Zuversicht und zu solidarischem Bewusstsein für das Notwendige.

Auf weitere gute sechs Jahre für Österreich!

(Schluss)