Parlamentskorrespondenz Nr. 442 vom 04.05.2011

Gender und Medizin: Eine Herausforderung für die Gesundheitspolitik

Gleichbehandlungsausschuss diskutiert Frauengesundheitsbericht

Wien (PK) Der Gleichbehandlungsausschuss behandelte in seiner heutigen Sitzung den Österreichischen Frauengesundheitsbericht 2010/2011 des Bundesministeriums für Gesundheit (III-228 d.B.), der seit kurzem dem Parlament vorliegt. Der nunmehr dritte Bericht zum Thema Frauengesundheit in Österreich geht nicht nur auf die medizinischen Rahmenbedingungen ein, sondern stellt auch die soziodemographische und epidemiologische Situation der weiblichen Bevölkerung, ihre Lebensrealitäten und gesundheitsbezogenen Lebensweisen dar und behandelt Fragen der Prävention und der weiteren Entwicklungsperspektiven der Frauengesundheitsförderung. Sein zeitlicher Fokus liegt auf den vergangenen zehn Jahren und den in diesem Zeitraum feststellbaren Entwicklungstendenzen. Die Forcierung geschlechterdifferenzierter und frauenspezifischer Herangehensweisen im Gesundheitswesen sei nicht nur sinnvoll, sondern dringend geboten, lautet das Fazit des Berichts.

Die Abgeordneten hatten in der Ausschusssitzung Gelegenheit, mit zwei Autorinnen des Berichts und mit von den Fraktionen geladenen ExpertInnen die Ergebnisse und Empfehlungen des Frauengesundheitsberichts 2010/2011 zu diskutieren. Neben Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek konnte Ausschussvorsitzende Wurm erstmals auch Gesundheitsminister Alois Stöger im Gleichbehandlungsausschuss begrüßen. Sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass auch andere MinisterkollegInnen seinem Beispiel folgen werden.

Der Bericht wurde mit S-V-B-G-Mehrheit zur Kenntnis genommen. Auf Antrag der SPÖ-Fraktion wurde er vom Ausschuss nicht enderledigt und wird damit auch noch im Plenum des Nationalrats behandelt werden.

Der Ausschuss befasste sich außerdem mit drei Oppositionsanträgen. Die Freiheitlichen wenden sich in einem Entschließungsantrag gegen eine Resolution des Europarats zur "Bekämpfung sexistischer Stereotypen in den Medien", welche die Einbeziehung des Begriffs "Mutter" in die Reihe sexistischer Stereotypen plane (1179/A[E]). Die Abgeordneten des BZÖ fordern in einem Entschließungsantrag die Realisierung der im Regierungsprogramm festgeschriebenen betreuten Notwohnung für Betroffene von Zwangsheirat (1531/A[E]). Ein G-Entschließungsantrag schließlich will von der Bundesregierung Maßnahmen zur Erhöhung der Beteiligung von Frauen in der Politik (1417/A[E]). Alle drei Anträge wurden mit Mehrheit der Regierungsparteien vertagt.

Die Bedeutung von Gender Mainstreaming im Gesundheitsbereich

In einem einleitenden Statement stellte Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek fest, dass der vorliegende Bericht sehr gut zeige, dass Gesundheitspolitik auch Gesellschaftspolitik sei, und diese ohne die Betrachtung von Gender-Aspekten nicht denkbar sei. Er mache auch deutlich, dass es eine "Zielgruppe Frauen" per se nicht gibt, sondern dass hier jeweils verschiedene soziale und ökonomische Gesichtspunkte und unterschiedliche Lebenssituationen zu berücksichtigen seien. Insgesamt biete der Bericht eine gute Grundlage, um Handlungsfelder zu erkennen. So ziehen etwa Mehrfachbelastungen von Frauen viele gesundheitlich negative Folgen nach sich. Betroffen seien insbesondere Alleinerzieherinnen, Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen, die Angehörige zu pflegen haben. Eine schlechte berufliche Situation und niedrige Einkommen seien zusätzliche Belastungsfaktoren. Deshalb müsse man, wolle man die psychisch und physische Gesundheit von Frauen verbessern, die Frage stellen, wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden können.

Gesundheitsminister Alois Stöger meinte, der Bericht biete einen differenzierten Blick auf die Gesundheitssituation von Männern und Frauen. Frauen stellten die Mehrheit der Bevölkerung dar und besonders das Alter sei aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen weiblich. Es zeige sich, dass Themen wie Bewegung und Sport oder etwa Selbstwertgefühl auch gesundheitliche Aspekte haben. Kinderwunsch und Familienplanung, ungewollte Schwangerschaft wie ungewollte Kinderlosigkeit, Frausein im Alter und Lebensumstände von Migrantinnen seien Themen, mit denen man sich seitens der Gesundheitspolitik befassen müsse. Die Gesundheitsförderung müsse insgesamt verstärkt werden, und es sei daher ein wichtiges Signal, dass die Medizinische Universität Wien einen eigenen Lehrstuhl für Frauengesundheit eingerichtet hat. 

Von den Autorinnen des Berichts, die in den Ausschuss geladen waren, kam als erste Anna Maria Dieplinger (Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik) zu Wort. Sie unterstrich, dass den unterschiedlichen Bedürfnissen von Männern und Frauen in Prävention, Diagnostik und Versorgung in Zukunft stärker Rechnung  getragen werden müsse. Das bringe nicht nur mehr Lebensqualität für Frauen und Männer, sondern könne auch Über-, Unter- und Fehlversorgungen verhindern. Frauen und Männer hätten einen unterschiedlichen Zugang zum Gesundheitssystem. Frauen stünden durch Mehrfachbelastungen unter mehr Stress, was auch eine ungesündere Lebensweise bedinge. Der Bericht solle deshalb auch Handlungsanweisungen geben, wo in der Weiterentwicklung und Umsetzung von Maßnahmen im Bereich Frauengesundheit angesetzt werden könne, sagte Dieplinger.

Alexandra Kautzky-Willer (Medizinische Universität Wien) legte den Schwerpunkt ihres Statements auf drei Themenfelder, die sie als gesundheitspolitische Schwerpunkte ansah. Dazu zählte sie die Probleme von Übergewicht und Diabetes, die miteinander eng verknüpft seien. Sie beträfen Mädchen schon ab dem Schulalter, wobei es notwendig wäre, die Betrachtungsweise von der Ernährung auf die Frage der ausreichenden Bewegung zu verschieben. Auch Schwangerschaftsdiabetes sei ein Problem, das mehr beachtet werden sollte. Wichtig sei auch die Bewusstseinsbildung in Fragen der Gender-Medizin bei in Ausbildung befindlichen wie auch bereits praktizierenden MedizinerInnen. Noch immer werde oft einfach vom "Patienten" gesprochen, ohne auf das tatsächliche Geschlecht Rücksicht zu nehmen.

Die von den Fraktionen in den Ausschuss eingeladenen ExpertInnen äußerten sich vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Kompetenzbereiche zu einzelnen Abschnitten des Berichts. 

Beate Wimmer-Puchinger (Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien) wies auf die Geschäfte hin, welche die Schönheitsindustrie betreibt, und die oft zu Lasten der Gesundheit von Mädchen und Frauen gehen. "Body Politics" und die Verbreitung von Körperidealen würden zunehmend Themen, die beachtet werden müssten.

Karin Guterrez-Lobos (Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien) erinnerte, dass psychische Probleme, etwa Depressionen, früher fälschlich oft als frauenspezifisch angesehen wurden. Tatsächlich spiele aber hier die Lebenssituation die wichtigere Rolle, wie etwa Mehrfachbelastungen. Armut mache auch psychisch krank.

Melitta Bohn-Rieder (Fachärztin für Allgemeinmedizin) verwies darauf, dass immer mehr Frauen medizinische Berufe ergreifen. In der Ausbildung werde der Turnusdienst oft zum Karriereknick, da Spitäler nach wie vor keine Vereinbarkeit von Arbeit und Familie bieten. Das Modell der Lehrpraxis werde für junge Ärztinnen oft dem Lebensabschnitt gerechter, würde aber bisher nur wenig gefördert. Eine Summe von 8 Mio. € jährlich würde für ein ausreichendes Angebot ausreichen, das sollte uns eine gute Ausbildung von Ärztinnen wert sein, meinte sie.

Jeanette Strametz-Juranek (Universitätsprofessorin für Kardiologie) ging auf die hohe Rate von Herz-Kreislauferkrankungen von Frauen ein. Diabetes spiele als Risikofaktor eine große Rolle und auch das übliche Belastungs-EKG sei für Frauen weniger aussagekräftig als für Männer. Migrantinnen stellten aufgrund ihres schlechteren Zugangs zum Gesundheitssystem eine besondere Risikogruppe dar, sagte sie.  

Peter Frigo (Facharzt für Frauenheilkunde) meinte, der Bericht lasse erkennen, dass Österreich Defizite in der Frauengesundheitsförderung hat. Vor allem seien auch Frauen, die im Gesundheitssystem tätig sind, selbst starken Belastungen ausgesetzt. Er bemängelte das Fehlen einer Abtreibungsstatistik, zudem sollten die Kosten der Behandlung von ungewollter Kinderlosigkeit von Krankenkassen stärker übernommen werden.

Sylvia Groth (Frauengesundheitszentrum Graz) hielt fest, der Bericht zeige, dass die Forderungen der Frauengesundheitsbewegung im Parlament angekommen sind. Frauengesundheitszentren spielten ein wichtige Rolle, um Defizite der Gesundheitspolitik zu erkennen. Insgesamt wünsche sie sich in der Gesundheitspolitik einen Kurswechsel von einem "Krankensystem", das auf PatientInnen ausgerichtet sei, zu einem "Gesundheitswesen" für alle.

Josef Brunmair (Internist) sagte, als Arzt beobachte er, dass Frauen in drei Bereichen besonders gesundheitlich gefährdet seien: Dort, wo es Probleme in der Vereinbarkeit von Familie bzw. Mutterschaft und Beruf gehe, beim Übertritt ins Pensionsleben und bei Migrationshintergrund, insbesondere, wenn ein niedriges Bildungsniveau und ein ausgeprägtes religiös-kulturelles Korsett das Leben der Frauen bestimme. Die steigende Lebenserwartung von Männern und Frauen sollte zur "Entschleunigung" des Lebens genützt werden, um mehr Lebensqualität und Gesundheit zu erreichen, regte er an.  

In einer Fragerunde an die geladenen ExpertInnen sowie an Bundesminister Stöger und Bundesministerin Heinisch-Hosek meldeten sich die Abgeordneten Renate Csörgits, Andrea Gessl-Ranftl und Heidrun Silhavy (alle S), Dorothea Schittenhelm, Claudia Durchschlag und Erwin Rasinger (alle V), für die Freiheitliche Fraktion Dagmar Belakowitsch-Jenewein und Carmen Gartelgruber, für die Grüne Fraktion Judith Schwentner und Kurt Grünewald und für das BZÖ Martina Schenk und Wolfgang Spadiut zu Wort.

Bundesminister Alois Stöger stellte in seiner Beantwortung der zahlreichen Detailfragen der Abgeordneten fest, dass es betreffend die Zukunft der Mammographie keinen Anlass zu jener Beunruhigung gebe, die in mehreren Wortmeldungen zum Ausdruck gebracht wurde. Es werde keinen Kompromiss zuungunsten der Qualität geben. Es sei vielmehr zwischen Vorsorgeuntersuchung und Screening zu unterscheiden. Eine Untersuchung könne von einem Arzt jederzeit veranlasst werden, wenn er sie für nötig halte. Ein flächendeckendes Screening hingegen werde von ExpertInnen erst bei Frauen ab 50 für sinnvoll erachtet. Er trete sehr dafür ein, dass Frauen bei Medikamententests adäquat berücksichtigt werden. Was Herz-Kreislauferkrankungen betreffe, gebe es Aktivitäten seines Ressorts, um die Wahrnehmung dieses Problems zu verbessern. Um Burnout zu bekämpfen, müsse man in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge ansetzen, meinte der Minister.

Frauenministerin Heinisch-Hosek stellte fest, der Bericht gebe viele Handlungsanleitungen, die nicht nur in gesetzlichen Maßnahmen, sondern auch in Initiativen und Kampagnen umgesetzt werden könnten. Es zeige sich, dass Frauenpolitik eine Querschnittmaterie sei, weshalb sie es für wichtig erachte, Maßnahmen in anderen Ressorts zu setzen, die ein größeres Budget zu Verfügung haben, als das Frauenministerium. "Frauenpolitik ist eine Politik der Einmischung", sagte Heinisch-Hosek. Ein Bereich, dem man in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken müsse, sei der Bereich der "Body Politics".

Der Bericht wurde S-V-B-G-Mehrheit zur Kenntnis genommen.   

Opposition setzt sich mit ihren Anträgen nicht durch

Mit den Stimmen der Regierungsparteien vertagt wurde ein Antrag der Freiheitlichen, der gegen die Abwertung des Begriffs "Mutter" gerichtet ist. Abgeordnete Carmen Gartlgruber übte dabei heftige Kritik an einer Resolution des Europarats, die den Begriff "Mutter" in die Reihe sexistischer Stereotypen stellt, und forderte die Ministerin auf, einer weiteren Verunglimpfung der Mutterschaft als solcher Einhalt zu gebieten.

Vertagt wurde weiters eine Initiative des BZÖ, in der Abgeordnete Martina Schenk auf die Realisierung der im Regierungsprogramm festgeschriebenen betreuten Notwohnung für Betroffene von Zwangsheirat drängt. Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek versicherte in diesem Zusammenhang, sie werde sich weiterhin für die Umsetzung dieses Punktes einsetzen.

Die Grünen wiederum konnten sich mit ihrer Forderung nach Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Politik nicht durchsetzen. Ein entsprechender Antrag der Abgeordnete Judith Schwentner wurde ebenfalls vertagt.(Schluss)