Parlamentskorrespondenz Nr. 1114 vom 22.11.2011

Volksanwaltschaft wird zentrale Anlaufstelle für Foltervorwürfe

Verfassungsausschuss stimmt OPCAT-Durchführungsgesetz zu

Wien (PK) – Österreich hat bereits im Jahr 2003 ein internationales Abkommen zur Verhinderung von Folter sowie von anderen grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen und Strafen (OPCAT) unterzeichnet. Nun soll in Umsetzung dieses Übereinkommens die Volksanwaltschaft als zentrale österreichische Anlaufstelle zur Verhütung von Folter und zur Prüfung von Foltervorwürfen eingerichtet werden. Das von der Regierung dazu vorgelegte " OPCAT-Durchführungsgesetz " hat heute unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags den Verfassungsausschuss des Nationalrats passiert. Der Beschluss fiel mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ, weiten Teilen des Gesetzespakets stimmten auch die Grünen zu.

Laut Gesetzentwurf soll die Volksanwaltschaft künftig von sich aus prüfen, ob in "Orten der Freiheitsentziehung" die Menschenrechte eingehalten werden, und im Zuge dieser Prüfungen auch die Arbeit der vollziehenden Organe kontrollieren. Dabei geht es, wie aus den Erläuterungen hervorgeht, nicht nur um Justizanstalten und Polizeiinspektionen, sondern etwa auch um Erstaufnahmestellen für AsylwerberInnen, Kasernen, psychiatrische Einrichtungen, Alten- und Pflegeheime, Krisenzentren sowie Wohngemeinschaften für Jugendliche. Ebenso sollen Einrichtungen und Programme für behinderte Menschen unter die Lupe genommen werden, um Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu vermeiden. Insgesamt rechnet die Regierung mit rund 4.000 zu überprüfenden – öffentlichen und privaten – Einrichtungen.

Unterstützt werden sollen die VolksanwältInnen bei ihrer neuen Aufgabe vom Menschenrechtsbeirat, der vom Innenministerium zur Volksanwaltschaft übersiedelt und vergrößert wird, sowie von zumindest sechs neu einzurichtenden Kommissionen. Der Aufgabenerweiterung der Volksanwaltschaft wird außerdem durch einen neuen Passus in der Verfassung Rechnung getragen, wonach VolksanwältInnen über Kenntnisse der Organisation und Funktionsweise der Verwaltung sowie über Kenntnisse auf dem Gebiet der Menschenrechte verfügen müssen. Neu ist weiters das Recht der Volksanwaltschaft, dem Nationalrat und dem Bundesrat gesondert über einzelne Wahrnehmungen zu berichten.

In Kraft treten soll das das OPCAT-Durchführungsgesetz mit 1. Juli 2012. Für die zusätzlich notwendigen 15 Planstellen bei der Volksanwaltschaft wurde bereits im vergangene Woche beschlossenen Bundesfinanzgesetz 2012 Vorsorge getroffen. Drei dieser Planstellen werden vom Innenministerium übertragen.

Im Rahmen der Debatte wurde die Aufgabenerweiterung der Volksanwaltschaft von den Abgeordneten weitgehend begrüßt. Sowohl die Grünen als auch das BZÖ bemängelten allerdings, dass nicht gleichzeitig die Gelegenheit genutzt worden sei, den Bestellmodus der Volksanwaltschaft auf neue Beine zu stellen. So drängten die Grün-Abgeordneten Alev Korun und Wolfgang Zinggl darauf, die Mitglieder der Volksanwaltschaft auf Basis eines Vorschlags des Hauptausschusses mit Zweidrittelmehrheit vom Nationalrat wählen zu lassen und zuvor ein öffentliches Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Ein von Korun dazu eingebrachter Abänderungsantrag blieb bei der Abstimmung aber ebenso in der Minderheit wie eine von den Grünen beantragte Ausschussfeststellung, die auf ein öffentliches Hearing mit den KandidatInnen im Hauptausschuss abzielte.

Abgeordneter Herbert Scheibner (B) plädierte generell dafür, die Volksanwaltschaft auf ein neues Fundament zu stellen und sie auch mit Aufgaben zu betrauen, die derzeit von anderen Ombudsstellen und Anwaltschaften wahrgenommen würden. Man habe die Chance verpasst, eine wirklich "starke Bürgeranwaltschaft" zu schaffen, klagte er. Die Ablehnung des OPCAT-Durchführungsgesetzes durch das BZÖ begründete Scheibner damit, dass die Bestimmungen viel zu kompliziert seien.

Auf ungeteilte Zustimmung stieß der Gesetzentwurf hingegen bei SPÖ, ÖVP und FPÖ. So sprach Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) von einem "Meilenstein", was die Aufgabenerweiterung der Volksanwaltschaft betrifft. Er verteidigte in Einklang mit Abgeordnetem Harald Stefan (F) und Abgeordnetem Hannes Fazekas (S) überdies den Bestellmodus der Volksanwaltschaft. Positiv zum Entwurf äußerten sich auch die Abgeordneten Angela Lueger (S) und Franz-Joseph Huainigg (V), wobei sich Huainigg dafür aussprach, besonderes Augenmerk auf die Sicherstellung der Rechte behinderter Menschen zu legen.

Volksanwältin Gertrude Brinek machte darauf aufmerksam, dass der vorliegende Gesetzentwurf die bisher weitreichendste Änderung der Befugnisse der Volksanwaltschaft bringe. Während sich die Volksanwaltschaft bisher auf nachkontrollierende Prüfarbeit konzentriert habe, gehe es beim neuen Aufgabenfeld in erster Linie um Prävention zur Sicherstellung von Grund- und Menschenrechten, skizzierte sie. Dabei betrete man in vielerlei Hinsicht Neuland.

Auch Staatssekretär Josef Ostermayer hob die Bedeutung der Reform hervor. Zur Wortmeldung von Abgeordnetem Scheibner merkte er an, es könnte sich im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit als sinnvoll erweisen, die Ombudsfunktion mancher Stellen an die Volksanwaltschaft zu übertragen.

Mit dem Gesetzentwurf mitverhandelt wurden drei Oppositionsanträge. Das BZÖ tritt in seinem Antrag unter anderem für eine Direktwahl der VolksanwältInnen ein und will deren Zahl auf sechs erhöhen (458/A). Die Grünen sprechen sich für die Einrichtung einer "Whistleblower"-Hotline bei der Volksanwaltschaft aus, bei der Personen straf- und verwaltungsstrafrechtliche Missstände in ihrem Umfeld wie Korruption oder Insiderhandel melden können sollen (827/A[E]). Die FPÖ fordert eine Ausweitung der Kontrollbefugnisse der Volksanwaltschaft auf ausgegliederte Rechtsträger (1540/A[E]).

Während sich Abgeordneter Wolfgang Zinggl (G) der Forderung der FPÖ anschloss, auch ausgegliederte Rechtsträger von der Volksanwaltschaft prüfen zu lassen, sieht Abgeordneter Hannes Fazekas (S) hier keinen Handlungsbedarf. Die Volksanwaltschaft sei in erster Linie dazu da, Missstände in der Verwaltung aufzuzeigen, meinte er. Es könne nicht Aufgabe der Volksanwaltschaft sein, zu prüfen, "warum ein Zug der ÖBB unpünktlich ist". Überlegen sollte man sich seiner Meinung nach, die Volksanwaltschaft zu einer zentralen Anlaufstelle für Missbrauchsopfer zu machen.

Abgeordneter Johann Maier (S) sprach sich dafür aus, den Antrag der Grünen betreffend Whistleblower-Hotline zu vertagen. Man müsse in dieser Frage behutsam vorgehen, mahnte er und kündigte eine Enquete des Datenschutzrates zu diesem Thema an. Grundsätzlich sei es wichtig, diejenigen, die zu Recht etwas anprangerten, zu schützen, sagte Maier, auf der anderen Seite müssten aber auch jene, die eines Delikts bezichtigt würden, einen Grundrechtsschutz genießen. Im öffentlichen Dienst sind Maier zufolge Änderungen im Beamtendienstrechtsgesetz geplant, man dürfe die Frage aber nicht auf den öffentlichen Bereich beschränken. Abgeordneter Werner Herbert (F) schloss sich den Ausführungen Maiers im Wesentlichen an.

Der Gesetzentwurf der Regierung wurde vom Verfassungsausschuss teils mit S-V-F-G-Mehrheit, teils mit Zustimmung von SPÖ, ÖVP und FPÖ gebilligt. In Form einer einstimmig gefassten Ausschussfeststellung hielten die Abgeordneten ausdrücklich fest, dass auch sozialpädagogische Einrichtungen im Rahmen der Jugendwohlfahrt der Kontrollzuständigkeit der Volksanwaltschaft unterliegen. In einer zweiten, mit S-V-F-G-Mehrheit gefassten Ausschussfeststellung werden Verhandlungen über die künftige Durchführung von Hearings im Zuge der Wahl von VolksanwältInnen und anderen vom Nationalrat zu wählenden Organen in Aussicht gestellt.

Vom Verfassungsausschuss abgelehnt wurde der Antrag des BZÖ. Die Anträge der FPÖ und der Grünen wurden vertagt.

Asylgerichtshof: Nur noch knapp 2.000 Altverfahren offen

Weiters befasste sich der Verfassungsausschuss heute mit den Tätigkeitsberichten des Asylgerichtshofs für die Jahre 2008, 2009 und 2010. An der Diskussion nahm auch der Präsident des Asylgerichtshofs Harald Perl teil. Aus den Berichten geht unter anderem hervor, dass der Asylgerichtshof im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeit rund ein Fünftel der erstinstanzlichen Entscheidungen aufgehoben hat. Im Jahr 2010 wurden 9.216 neue Verfahren beim Asylgerichtshof anhängig, 14.056 Verfahren konnten abgeschlossen werden. Derzeit sind, wie Perl mitteilte, nur noch wenige Altverfahren offen, bis Ende 2012 will er auch länger dauernde Neuverfahren abgeschlossen haben.

In der Debatte erhielt der Asylgerichtshof großes Lob von allen fünf Fraktionen. So hielt etwa Abgeordneter Otto Pendl (S) fest, der Gerichtshof habe seit seiner Einrichtung "erstklassige Arbeit" geleistet. Abgeordneter Johann Singer (V) wies auf den sukzessiven Abbau von Altverfahren hin. Auch die Abgeordneten Peter Westenthaler (B), Alev Korun (G) und Walter Rosenkranz (F) schlossen sich der positiven Beurteilung an.

Abgeordnete Korun gab allerdings zu bedenken, dass die Qualität der Entscheidungen genauso wichtig sei wie die Geschwindigkeit von Verfahren. Sie ortet einen Trend, immer mehr Entscheidungen der ersten Instanz zu bestätigen. Kritik übte sie daran, dass in manchen Fällen oft jahrelang keine Ermittlungen durchgeführt würden und die Asylwerber plötzlich einen negativen Bescheid bekämen, ohne nochmals befragt worden zu sein. Abgeordneter Rosenkranz äußerte die Befürchtung, dass der Asylgerichtshof im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit zerschlagen werden könnte.

Der Präsident des Asylgerichtshofs Harald Perl hielt fest, dass sich der Asylgerichtshof entschieden habe, parallel zum Abbau der fast 24.000 Altverfahren die neu an den Gerichtshof herangetragenen Asylverfahren abzuwickeln und dadurch eine gewisse Verzögerung beim Abbau der Altverfahren in Kauf zu nehmen. Mittlerweile befinde man sich beim Altverfahrensabbau aber im "Countdown", skizzierte er. Konkret sind ihm zufolge noch je 300 Verfahren von Familien und von Einzelpersonen aus den Balkanländern sowie 300 Verfahren von Familien und knapp 1.000 Verfahren von Einzelpersonen aus anderen Herkunftsländern offen.

Ein Großteil der neuen Asylverfahren konnte laut Perl innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden. Lediglich bei 30 % der Verfahren sei man in Rückstand gekommen. Sein nächstes Ziel nach dem Abbau der Altverfahren sei es, diesen Verfahrensrückstand bis Ende 2012 bzw. Anfang 2013 aufzuholen.

Einen Trend in Richtung verstärkter Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidungen kann Perl, wie er sagte, nicht feststellen. Er sprach sich in diesem Zusammenhang generell dagegen aus, anhand der Zahl der Aufhebung von Entscheidungen die Qualität der Arbeit des Bundesasylamts zu messen. Es gebe genauso exzellente erstinstanzliche Verfahren, bei denen der Asylgerichtshof aber zu einer anderen Conclusio komme, wie schlecht geführte Verfahren, in denen der Asylgerichtshof letztendlich die Entscheidung des Bundesasylamts inhaltlich bestätige. Insgesamt ist die Qualität der erstinstanzlichen Verfahren laut Perl in den letzten 10 Jahren aber deutlich gestiegen.

Zur Frage der von Abgeordnetem Peter Westenthaler (B) angesprochenen Folgeanträge meinte Perl, die gesetzlichen Bestimmungen hätten sich bewährt. Der Asylgerichtshof sei in der Lage, bei Folgeanträgen sehr rasch Entscheidungen zu treffen. In Richtung Abgeordneter Alev Korun (G) hielt er fest, bei Altverfahren seien grundsätzlich entweder ein Parteiengehör oder eine Verhandlung vorgesehen.

Zur Organisation des Asylgerichtshofs merkte Perl an, die Arbeitsabläufe seien einer ISO-Zertifizierung unterzogen worden. Er fürchtet in diesem Sinn auch nicht, dass es im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu einer Zerschlagung von Strukturen kommen werde. Vielmehr zeigte sich Perl zuversichtlich, dass die Strukturen des Gerichtshofs als Basis für das neue Bundesverwaltungsgericht herangezogen würden.

Dies wurde von Staatssekretär Josef Ostermayer bestätigt. Er wies darauf hin, dass der Asylgerichtshof als Kern des neuen Bundesverwaltungsgerichts erster Instanz dienen solle. Der Gesetzentwurf sei mittlerweile weitgehend fertig, erklärte Ostermayer. In den nächsten Wochen will er mit den einzelnen Fraktionen verhandeln. Er hofft auf einen weitgehenden Konsens bzw. Einstimmigkeit.

Die drei Berichte des Asylgerichtshofs wurden vom Verfassungsausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen.

Am Beginn der Sitzung war Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) anstelle von Reinhold Lopatka zu einem der Obmann-Stellvertreter des Verfassungsausschusses gewählt worden. (Fortsetzung Verfassungsausschuss)