Parlamentskorrespondenz Nr. 157 vom 05.03.2012

Josef Klaus und die erste Alleinregierung in Österreich

Das gelungene Experiment - ORF präsentiert DVD im Parlament

Wien (PK) – Der Name von Bundeskanzler Josef Klaus ist in der Geschichte der Zweiten Republik mit der Erinnerung an die erste "Alleinregierung" (1966 bis 1970) verbunden, an das – wie Klaus es später in seinen Memoiren nennen wird, "gelungene Experiment" einer Bundesregierung, die sich im Parlament nur auf eine Partei stützt. Dieses Modell erprobte Josef Klaus im Jahr 1966, nachdem er bei den Nationalratswahlen im März 1966 als Spitzenkandidat der ÖVP eine Mandatsmehrheit errungen hatte: Bundeskanzler Klaus bildete eine "Alleinregierung" und beendete damit die vorangegangene lange Ära der "Großen Koalition", die die Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit politisch geprägt hatte. Die Bedrohung des sozialen Friedens, vor der manche Kommentatoren damals warnten, blieb aus und Alleinregierungen wurden - ab 1970 dann im Zeichen Bruno Kreiskys und der SPÖ - bis zum Jahr 1983 zur Regel. Erst 1986, zwanzig Jahre später, sollten Bundeskanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Alois Mock die Tradition der "Großen Koalition" von SPÖ und ÖVP wieder aufleben lassen.

Auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Zweitem Präsidenten Fritz Neugebauer präsentierte der ORF heute Abend im Nationalratssitzungssaal eine vom ORF im Auftrag des Parlaments hergestellte DVD mit dem Titel "Das geglückte Experiment. Die erste Alleinregierung unter Josef Klaus 1966 bis 1970. Ausgewählte Reden im Parlament". Das Publikum sah und hörte Redemitschnitte von Bundeskanzler Josef Klaus, Oppositionsführer Bruno Pittermann, ÖVP-Klubobmann Hermann Withalm, Finanzminister Stefan Koren und einem jungen SPÖ-Abgeordneten namens Hannes Androsch. Die historischen Wortmeldungen zu den Themen Budgetkonsolidierung und zur Aufarbeitung politischer Skandale wirkten erstaunlich aktuell.

Prammer: Gelungene DVD zum Parlamentarismus einer spannenden Zeit  

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer begrüßte prominente Gäste mit dem ehemaligen Vizekanzler Alois Mock an der Spitze sowie zahlreiche ehemalige Mitglieder von Bundesregierungen, ehemalige Präsidenten und Vizepräsidenten des Nationalrates und des Bundesrates sowie Vertreter von Landesregierungen und Landtagen. Präsidentin Prammer erinnerte an die erste DVD des ORF, die vor gut einem Jahr zum Anlass des 100. Geburtstags von Bundeskanzler Bruno Kreisky vorgestellt wurde und bekannte sich angesichts der nun vorliegenden zweiten Ausgabe über die ebenfalls gut gelungene zweite Folge über die Zeit der ersten Alleinregierung von Bundeskanzler Josef Klaus dazu, die DVD-Serie mit Filmmaterial aus dem ORF-Archiv über das Parlament fortzusetzen. Es gehe darum, so die Nationalratspräsidentin, Einblicke in die historische Entwicklung des Parlamentarismus zu geben.

Spindelegger: Josef Klaus – ein großer Reformer dieser Republik

Vizekanzler Michael Spindelegger würdigte die Persönlichkeit und die Politik von Bundeskanzler Josef Klaus, dessen Grundsatz lautete: "Res publica semper reformanda" (Die Republik muss immer reformiert werden). Dies sei heute aktueller denn je, wenn man kommenden Generationen Chancen vererben, statt Schulden hinterlassen wolle. Josef Klaus habe die Republik Österreich Salzburger Landeshauptmann, als Finanzminister und als Bundeskanzler wesentlich mitgeprägt. Er verfolgte eine zukunftsorientierte Reformpolitik, die nicht auf ein festes Wertfundament verzichtete, hielt Spindelegger fest. Zu den seinen nachhaltigen Reformen zählten ein Hochschulstudiengesetz, die Einführung des Forschungsförderungsfonds, die Verdoppelung der Forschungsausgaben, die Gründung der Universitäten Salzburg, Linz und Klagenfurt, die Senkung des Wahlalters, die definitive Abschaffung der Todesstrafe in Österreich, eine Neukonstruktion der Wohnbauförderung, die Gründung der ÖIAG und die Entpolitisierung des Staatsfernsehens. Josef Klaus hatte die Selbstverantwortung der BürgerInnen im Auge, führte Spindelegger aus und er war ein glühender Europäer ("civis europeus sum" – Ich bin ein Bürger Europas). Die Initiative seines Vizekanzlers Fritz Bock für einen EWG-Beitritt Österreichs blieb zur Zeit des kalten Krieges zwar noch ohne Erfolg, zeige aber, wie zukunftsorientiert die Regierung Klaus agierte. Dabei sah Josef Klaus nicht nur den Westflügel Europas, sondern Europa als ein Ganzes, zu dem auch Jugoslawien gehörte, ein Thema, das angesichts der Bemühungen um die Integration des Westbalkans in die Europäische Union heute wieder auf der Tagesordnung stehe. Spindelegger würdigte Josef Klaus als ein Vorbild für Aufrichtigkeit und Orientierung am Gemeinwohl. "Josef Klaus wollte diese Republik weiterentwickeln und wurde zu einem ihrer großen Politiker", schloss Spindelegger.

Haslauer würdigt die Leistungen des Landeshauptmanns Josef Klaus  

Der Stellvertretende Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer sah den Namen des Salzburger Landeshauptmanns Josef Klaus mit der Wiedereröffnung der Universität Salzburg und dem Bau des Festspielhauses untrennbar verbunden und erinnerte an dessen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufstieg eines zunächst armen Bundeslandes. Auch für Haslauer war Klaus ein geradliniger Politiker, der eine ethische Auffassung der Politik vertrat. Der stellvertretende Landeshauptmann erinnerte daran, dass Klaus als amtierender Landeshauptmann bereit war, das Amt des Finanzministers in der Bundesregierung zu übernehmen. Die heute vorgestellte DVD trage dazu bei, einen großen österreichischen Staatsmann dem Vergessen zu entreißen, sagte Wilfried Haslauer.

Dusek: DVD-Serie auch auf politische Themen ausweiten  

Der ehemalige Leiter des ORF-Archivs Peter Dusek unterstrich auf die DVD-Serie des ORF über ehemalige Bundeskanzler hinweisend die Bedeutung des Einsatzes neuer Medien in der Schule, dankte allen Unterstützern dieses Projekts und schlug vor die Serie in Zukunft auf spezielle Themen-DVDs zu erweitern. Die heute präsentierte DVD zeige, dass viele brandaktuelle politische Themen auch schon lange vergangene Bundesregierungen bewegten, etwa die Wachstumspolitik oder der  Umweltschutz.

Bruckmüller: Ein christlicher Politiker, der von Kautsky lernte   

Der Direktor des Österreichischen Biografischen Lexikons der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Universitätsprofessor Ernst Bruckmüller, beleuchtete die Herkunft des Josef Klaus aus den "kleinen Verhältnissen" einer Bäckerfamilie und ging auf den Einfluss der Mutter ein, die - früh verwitwet - für das Gemeinwohl begeisterte. Bruckmüller schilderte den politischen Werdegang des studierten Juristen, der sich der christlich-sozialen Bewegung anschloss, als Mitarbeiter der Wiener Arbeiterkammer aber auch von dem sozialdemokratischen Ökonomen Benedikt Kautsky lernte. Klaus war der einzige österreichische Bundeskanzler, der zuvor Landeshauptmann war und der einzige, der aus dem Westen kam. Anfangs habe Klaus das Parlament in seinem Reformeifer mit Reformvorlagen geradezu überschüttet, berichtete der Historiker, der auf bleibende Erfolge der Regierung Klaus in der Südtirol-Politik, aber auch auf Schwierigkeiten, etwa durch die rasche Aufeinanderfolge von Steuersenkungen und Steuererhöhungen einging.

Schaumayer: Kreisky wäre ohne Klaus nicht möglich gewesen  

Dann leitete Zweiter Nationalratspräsident Fritz Neugebauer ein Zeitzeugen-Gespräch, in dem sich die damalige Wiener Stadträtin und spätere Nationalbankpräsidentin Maria Schaumayeran Josef Klaus als einen geradlinigen, seriösen Politiker erinnerte, der mit der ersten Alleinregierung in Österreich ein letztlich geglücktes Wagnis eingegangen sei. Schaumayer hob das Bekenntnis von Josef Klaus zu Europa, zur Gleichstellung der Frau und sein Bekenntnis zu sozialen Belangen hervor. Für nach wie vor aktuell hielt sie sein Eintreten für Haushaltsdisziplin und wirtschaftliche Stabilität sowie seine engagierte Förderung des politischen Nachwuchses. "Bruno Kreisky wäre ohne Josef Klaus nicht möglich gewesen", formulierte Schaumayer und erinnerte auch an das gute Verhältnis zwischen dem Bundesland Wien und der Bundesregierung unter Josef Klaus.

Neisser: Klaus sensibilisierte die Politik für Zukunftsthemen

Der ehemalige Zweite Präsident des Nationalrates Heinrich Neisser, der dem Kabinett von Bundeskanzler Klaus angehörte, erlebte die Jahre 1966 bis 1970 als seine intensivsten Lehrjahre. Neisser würdigte die Klima der Offenheit, die Förderung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Politik durch Josef Klaus, der die Politik – oft unverstanden - für Zukunftsthemen sensibilisieren wollte, etwa für die Computertechnologie. Klaus habe sich permanent weitergebildet und vor jeder Auslandsreise auch Grundzüge der Sprache seiner  Gesprächspartner gelernt. Eine historische Leistung des Bundeskanzlers Klaus sei es gewesen, Verständnis für das System der Alleinregierung in Österreich geschaffen zu haben, sagte Heinrich Neisser.

Kunz: Alleinregierung schloss zu westlichen Demokratiestandards auf   

Auch der Journalist Johannes Kunz sah die Zeit im Jahr 1966 als reif für eine Alleinregierung an und erinnerte daran, dass er die Regierung von Josef Klaus begrüßt habe, weil er eine Alleinregierung als ein Aufschließen Österreichs an westliche demokratische Standards verstanden habe. Er habe Bundeskanzler Klaus mehrfach interviewt und ihn als einen soliden, verlässlichen, integren und aufrichtigen Mann kennen gelernt, sagte Kunz. Seinem Nachfolger Bruno Kreisky, der besser mit Journalisten umgehen konnte, sei die wachsende Bedeutung des Mediums Fernsehen und der Zeitgeist am Ende der sechziger Jahre zupass gekommen, stellte Kunz fest. Stefan Koren, den Kreisky zum Nationalbankpräsidenten ernannte und Kurt Waldheim, Außenminister in der Regierung Kreisky, bilden eine bemerkenswerte personelle Kontinuität zwischen der Ära Klaus und der Ära Kreisky, merkte Johannes Kunz an.

Neugebauer: Josef Klaus hat die Politik professionalisiert

Für den Zweiten Nationalratspräsident Fritz Neugebauer lag die historische Bedeutung von Josef Klaus in der Professionalisierung der Politik, die Klaus erreicht habe und mit der er zu einem Vorbild für die heutige Generation geworden sei.

Eine neue DVD des ORF mit Parlamentsreden aus den Jahren 1966-1970

Die vom ORF hergestellte DVD mit dem Titel "Das geglückte Experiment. Die erste Alleinregierung unter Josef Klaus 1966 bis 1970. Ausgewählte Reden im Parlament" zeigt kürzlich wiederentdeckte Mitschnitte von Parlamentsreden aus der Zeit der ÖVP-Alleinregierung. Es begann 1966 mit dem Wahlsieg der ÖVP unter Josef Klaus über eine unter anderem wegen der Olah-Krise geschwächte SPÖ. Der 1910 in Kärnten als Sohn eines Bäckers geborene Josef Klaus, wurde von seiner früh verwitweten Mutter für die Arbeit am Gemeinwohl begeistert, studierte Jus, orientierte sich an christlichsozialen Werte, lernte aber auch, wie Ernst Bruckmüller berichtete, als Mitarbeiter in der Wiener Arbeiterkammer vom Sozialdemokraten Benedikt Kautsky. Von 1949 bis 1961 Landeshauptmann von Salzburg, von 1961 bis 1963 Finanzminister in der Regierung Gorbach I und führte seit 1964 als Bundeskanzler mit der SPÖ eine Koalitionsregierung, in der Bruno Pittermann Vizekanzler und Bruno Kreisky Außenminister waren. Nach seinem Wahlsieg entschied sich Josef Klaus gegen eine Fortsetzung der Koalition mit den Sozialisten und stellte dem Nationalrat am 19. April 1966 eine ÖVP-Alleinregierung vor, der mit Sozialministerin Grete Rehor erstmals in der Geschichte Österreichs eine Frau angehörte. Ein guter Teil der 77 Minuten langen DVD zeigt die großen Herausforderungen, vor denen diese Regierung stand: Finanz- und Wirtschaftsprobleme, politische Aufregungen wegen eines Reisepasses für Otto Habsburg, Rundfunkvolksbegehren und ORF-Reform, Überschwemmungen, Bauskandal, Konjunktureinbruch, Inflation und wachsende Staatsschulden. Damals wie heute debattierte der Nationalrat über Sparpolitik, Verwaltungsreform und Konjunkturbelebung.

Der Zuschauer erfährt aber auch von der aktiven Außenpolitik der Regierung Klaus, von der Moskaureise des Bundeskanzlers im Jahr 1967, einem Besuch bei Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson im Weißen Haus 1968 und von einer erfolgreichen Visite im wirtschaftlich aufstrebenden Japan. Ganz im Zentrum der Weltöffentlichkeit stand Österreich im Sommer 1968, als Panzer des Warschauer Paktes beim Nachbarn Tschechoslowakei das Experiment eines " Sozialismus mit menschlichem Antlitz " beendeten. D as neutrale Österreich erhielt – zum zweiten Mal nach dem unterdrückten Ungarn-Aufstand von 1956 - für seine entschlossene Haltung Anerkennung und konnte sich 1969 über den Besuch von Queen Elizabeth II. freuen. In der Schlussphase der ersten Alleinregierung war die Opposition wieder im Aufwind. Zu den politischen Dauerthemen zählten Schulden-Eindämmung, Strukturreformen und das Thema Südtirol. Bei der Nationalratswahl im März 1970 verfehlte die SPÖ die absolute Mehrheit nur knapp. Viele erwarteten eine Neuauflage der "Großen Koalition", Josef Klaus aber stand zu seiner Ankündigung, für Koalitionen nicht zur Verfügung zu stehen. Die Ära Kreisky begann. Auch in seinen 1971 erschienen Memoiren blieb Josef Klaus bei seinem Standpunkt und bezeichnete die Alleinregierung von 1966 bis 1970 als ein "gelungenes Experiment". – In einer bestimmten, so von ihm selbst wohl nicht vorausgesehenen Weise, gab die Geschichte Josef Klaus Recht. Sein sozialdemokratischer Nachfolger Bruno Kreisky setzte nämlich mit derselben Entschlossenheit wie Klaus auf das Modell "Alleinregierung". Erst 1986 – nach dem kurzen Zwischenspiel einer SPÖ-FPÖ-Koalition - knüpften Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) und Vizekanzler Alois Mock (ÖVP) wieder an die zwanzig Jahre zuvor von Josef Klaus unterbrochene Tradition der "Großen Koalition" an.

Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Homepage des Parlaments im Fotoalbum. (Schluss)