Parlamentskorrespondenz Nr. 124 vom 18.02.2015

Direkte Demokratie braucht Mut und Regeln, aber auch weniger Hürden

Man sollte dem Volk mehr zutrauen, so lautete das Credo der dritten Sitzung der Enquete-Kommission zur Demokratiereform

Wien (PK) – Mit direkter Demokratie in anderen Staaten befassten sich die TeilnehmerInnen in der dritten Sitzung der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie. Im Anschluss an die Runde der ExpertInnen wurden aber nicht nur verschiedene Instrumente und Möglichkeiten aus anderen Ländern besprochen, auch die Enquete-Kommission selbst wurde zum Gegenstand einiger Wortspenden.

Sie wünsche sich mehr Austausch, eröffnete Barbara Ruhsmann, die im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig ist und gemeinsam mit sieben weiteren BürgerInnen für die Teilnahme an der Enquete ausgewählt wurde, ihre Rede. Einerseits sei immer wieder das Wort Politikverdrossenheit zu hören, andererseits frage sie sich, wo die Entscheidungen zur direkten Demokratie denn nun tatsächlich getroffen werden. Anstelle des bestehenden Settings im großen Plenarsaal des Parlaments, dichten Informationen und Fragen beziehungsweise Wortmeldungen, die oft in keinem Zusammenhang stünden, hätte sie sich ursprünglich eher moderierte Diskussionen etwa an Runden Tischen erwartet. "Welche Rolle haben wir BürgerInnen eigentlich in dieser Enquete?", fragte Ruhsmann daher. Derzeit diene das Setting doch vor allem zur Repräsentation. "Werden wir denn ernst- beziehungsweise wahrgenommen?", wollte auch Marlen Ondrejka (kaufmännische Angestellte) wissen. In Wahrheit sei das Volk klüger, als manche denken mögen, betonte sie.

Gesunde Mischung aus repräsentativer und direkter Demokratie

Auch der Medizintechniker Harald Petz zeigte sich wenig glücklich über das, was die Enquete erreichen wolle beziehungsweise überhaupt dürfe. Vieles sei ja bereits im Vorfeld diskutiert worden. Wie schon in der vergangenen Sitzung brachte er die elektronische Stimmabgabe ins Spiel, die er auch bei Wahlen einsetzen würde. Im Moment sehe er allerdings eher, dass die großen, wirklichen Verbesserungen fehlen, so Petz. An das Plenum appellierte er: "Lassen Sie uns nach begonnenen kleinen Schritten nun größere machen." Es brauche Umsetzer guter Ideen, egal von welcher Fraktion. Und vor allem brauche es eine "gesunde Mischung aus repräsentativer und direkter Demokratie".

"2015 müssen E-Voting, elektronische Unterschriftensammlungen usw. möglich sein", stimmte der Student Felix Ofner seinem Vorredner Petz zu. Bei der Themenvielfalt sollte man möglichst wenig einschränken und möglichst allen eine Bühne bieten, so Ofner. Das Volk bekomme ohnehin, was es verdiene beziehungsweise wolle, daher brauche sich auch niemand zu fürchten. Auch er sieht für die Enquete-Kommission Verbesserungsbedarf. Es sei aber ein guter Schritt, dass erstmals auch BürgerInnen aktiv an der Enquete teilnehmen dürfen.

Mehr Mut zu Entscheidungen durch das Volk

Einen einfacheren Zugang zu direkter Demokratie wünscht sich der Pensionist Heinz Emhofer. Es brauche mehr Mut zu Entscheidungen durch das Volk und mehr Befragungen, insbesondere bei strittigen Themen, so Emhofer. Ähnlich sieht es Michelle Missbauer (derzeit in Ausbildung). Man könnte das Volk in vielen Fragen noch mehr einbeziehen, etwa bei Themen wie dem Rauchverbot oder der Abschaffung von Tierversuchen, sagte sie und sprach sich dafür aus, auf dem Vorbild der Schweiz aufzubauen. Die Menschen wären bereit für direkte Demokratie.

"Üben" auf kommunaler Ebene

Politik müsse mit den Menschen gemacht werden, nicht für die Menschen, meinte Bundesrätin Heidelinde Reiter von den Grünen. Dazu gehöre es, die Leute ernst zu nehmen, die Verantwortung an sie zurückzugeben, Anreize zu schaffen. Es sei genug getan worden, um BürgerInnen zu frustrieren, da brauche es nicht auch noch eine "Scheinpartizipation", knüpfte auch Reiter an Ruhsmanns Eingangsworte an. "Direkte Demokratie muss gelernt werden", sagte sie, da sei es normal, dass Fehler passieren. Aber mit dem "Üben" sollte man nun endlich beginnen, am besten auf kommunaler Ebene.

An der Formulierung "Demokratie von unten" stieß sich der FPÖ-Abgeordnete Harald Stefan. "Warum sollte das Volk unten sein?" Er stellte die Fragen, was Themeneinschränkungen in der direkten Demokratie bedeuten, wie Unterschriften geprüft werden und wie der Dialog zwischen InitiatorInnen und Parlament funktioniert.

Direkte Demokratie verlebendigt die Politik

Man brauche keine Angst vor dem Souverän zu haben, sagte Paul Luif für das Team Stronach. Durch direkte Demokratie könne man die Demokratie in Österreich verlebendigen, ist er überzeugt. Studien würden den positiven Effekt von Volksengagement bestätigen. Auch der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger, der für die ÖVP an der Enquete teilnahm, sprach sich dafür aus, den Konnex zwischen BürgerInnen und Parlament zu vertiefen: "Es stünde dem Parlament schlecht an, Angst vor dem Volk zu haben." Direkte Demokratie dagegen mache das politische System lebendig, meinte auch er.

Für das Team Stronach betonte Bundesrat Gerald Zelina, im Nationalrat säßen keine Volks-, sondern Interessensvertreter. Daher sei es wichtig, die BürgerInnen miteinzubeziehen. Beim Erreichen bestimmter Quoren könnte sich Zelina vorstellen, dass InitiatorInnen im Parlament automatisch Rederecht erhalten könnten.

Information und Transparenz sind Voraussetzungen für Beteiligung

"Gerade Krisen haben Fehler des bestehenden Systems aufgezeigt", sagte die zweite Salzburger Landtagspräsidentin Gudrun Mosler-Törnström für die SPÖ in Hinblick auf Grenzen des Demokratiemodells. Deshalb sei der Ausbau der direkten Demokratie so wichtig, dafür brauche es wiederum vielschichtige Instrumente und entsprechende Rahmenbedingungen, so Mosler-Törnström. Können Erwartungen an demokratische Systeme nicht mehr erfüllt werden, sei das vielleicht der Grund, weshalb sich viele Menschen – auch nationalistischen – Initiativen anschließen. Und noch eines betonte Mosler-Törnström: Es braucht mehr Transparenz!

Für mehr Transparenz sprach sich auch Feri Thierry von den NEOS aus. Information und Transparenz seien Voraussetzungen für die Beteiligung, etwa bei Bürgerbudgets. Am besten sei es, BürgerInnen frühzeitig in die Entwicklung von Ideen einzubeziehen, so Thierry.

Quoren möglichst niedrig halten

"Setzen wir uns zusammen und reden wir über Quoren, Design usw.", schlug Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin von "Mehr Demokratie Deutschland" für die Grünen, vor. Auch in Deutschland herrsche seit Jahren eine Debatte über direkte Demokratie. Ihrer Meinung nach müssen Quoren möglichst niedrig gehalten werden. Wenn die Hürden zu hoch und die Regeln zu streng sind (etwa Unterschriften und Quoren), werde es nicht funktionieren.

Twitterwall wichtige Neuerung

Der ÖVP-Abgeordnete Asdin El Habbassi schlug vor, sich die Anregungen unter anderem von Barbara Ruhsmann anzuschauen. Zuvor hatte er getwittert: "Super, Fr Ruhsmann hält uns(?) bzw. der #EKDemokratie den Spiegel vor und stellt das Setting der Kommission in Frage. Jetzt wird's spannend." Die Twitterwall, mittels derer alle Tweets mit dem Hashtag #EKDemokratie live in den Plenarsaal übertragen wurden, erwähnte er gleichzeitig als eine sehr positive Neuerung. Wie Nierth ist auch El Habbassi der Meinung, die Quoren sollten möglichst niedrig sein, um etwas anzustoßen.

Sachlichkeit in der öffentlichen Debatte

Daniela Musiol, Abgeordnete der Grünen, fragte die ExpertInnen, wie die Sachlichkeit in der öffentlichen Debatte gewährleistet werden könne. Und sie wollte wissen, ob es für InitiatorInnen von Volksbegehren in der Schweiz eine Möglichkeit gibt, sich zurückzuziehen.

Nach dem Dialogcharakter von direkter Demokratie erkundigte sich Verfassungsrechtler Theo Öhlinger, von den NEOS für die Enquete-Kommission nominiert, in seinem Beitrag. Außerdem wollte er wissen, wer für Initiativen sprechen könne, und ob es vorkomme, dass auf eine Abstimmung verzichtet werde, weil man sich im Parlament bereits geeinigt habe.

Initiativen dürfen nicht von Geld abhängen

Peter Wittmann von der SPÖ gab zu bedenken, dass Abgeordnete Informationen auch erhalten müssen. Bei der Finanzierung von Initiativen warnte er, es dürfe nicht so weit kommen, dass Gesetzestexte "gekauft" würden, weil – als Beispiel nannte er das kalifornische Modell – zuvor viel Geld in Kampagnen geflossen sei.

In der abschließenden ExpertInnen-Runde versuchte Andreas Gross, Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion im Schweizer Nationalrat und Leiter des Ateliers für Direkte Demokratie in St. Ursanne, ihm diese Sorge zu nehmen: In Kalifornien sei alles sehr transparent, Geld alleine könne sich nicht durchsetzen. Und er nannte einen großen Vorteil der direkten Demokratie: "Partizipation ist das Gegengift zu Populismus."

Partizipation ausbauen, nicht nur durch direkte Demokratie

Martina Pointner, Abgeordnete zum Vorarlberger Landtag für die NEOS, hob die Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts hervor. Bei der letzten Wahl in Vorarlberg seien so einige Junge unerwartet in den Gemeinderat gekommen. Eine zentrale Forderung der NEOS sei die verpflichtende Volksabstimmung bei Landesprojekten über 100 Millionen Euro, so Pointner. "Die BürgerInnen sind mündiger, als es ihnen die Politik zutraut."

Für den von der ÖVP nominierten Grazer Universitätsprofessor Klaus Poier ist klar, dass die Partizipation ausgebaut werden muss, die direkte Demokratie aber nur eine von mehreren Möglichkeiten ist. Von den ExpertInnen wollte er daher wissen, wie Partizipation darüber hinaus verstärkt werden kann.

Dialog auf Augenhöhe

Dass Dialog DialogpartnerInnen voraussetzt, betonte in ihrem Schlusswort die Verwaltungsexpertin Nadja Braun-Binder, Forschungsreferentin am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer. Dafür brauche es einen Dialog auf Augenhöhe mit gleichen Möglichkeiten, insbesondere mit verbindlichen Mitwirkungsrechten.

Für den deutschen Politologen Frank Decker, ebenfalls einer der ExpertInnen, ist ein volksentschlossenes Gesetz politisch höherwertig als ein vom Parlament beschlossenes – denn hier gehe es um besonders wichtige Entscheidungen. (Schluss) kar