Parlamentskorrespondenz Nr. 1287 vom 19.11.2015

Europäisches Flüchtlings-Krisenmanagement: Erwartungen und Kritik

Bundesrat diskutiert über Lösungsansätze zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen in Aktueller Stunde

Wien (PK) – Einmal mehr wurde heute in der Plenarsitzung des Bundesrats der Ruf nach europäischen Lösungen in der Flüchtlingskrise laut. In einer Aktuellen Stunde diskutierten die LändervertreterInnen mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner über das Thema: "Asyl": Aktuelle Herausforderungen brauchen europäische Antworten."

Diese europäischen Antworten erfolgten bisher nur zögerlich und würden mehr Tempo erfordern, hielt die Innenministerin mit Nachdruck fest. Sie habe das Gefühl, dass einige Mitgliedstaaten die Auffassung vertreten, die Flüchtlingsfrage sei nur ein Problem einiger weniger Länder. Grundsätzlich meinte sie, man müsse weg von der grenzenlosen Willkommenskultur und hin zu einer Politik mit Augenmaß. Die RednerInnen von ÖVP, SPÖ und Grünen schlossen sich diesem Ruf nach mehr Europa und mehr Solidarität an, im Gegensatz dazu glauben FPÖ und Team Stronach kaum mehr an die europäische Lösungskompetenz. Von vielen Seiten wurde aber in der Debatte Dank und Anerkennung für die Leistungen der Hilfsorganisationen, der Zivilbevölkerung, der Polizei und der Gemeinden zum Ausdruck gebracht.

Mikl-Leitner: Menschen und System nicht überfordern

Die Innenministerin informierte den Bundesrat über die jüngsten Beschlüsse des europäischen Rats, der die Notwendigkeit unterstrichen hat, die Außengrenzen abzusichern. Ihren Ausspruch von der "Festung Europas" verteidigte die Ministerin gegenüber der Kritik mit dem Hinweis, dass dieser immer nur im Zusammenhang mit der Sicherung der europäischen Außengrenzen verwendet werde. Könne man diese nicht gewährleisten, sei auch Schengen nicht aufrecht zu erhalten, stellte sie dezidiert fest.

Mikl-Leitner berichtete auch über die Vereinbarung, Hot-Spots an den Außengrenzen in Griechenland und Italien zu errichten, um die Flüchtlinge zu registrieren und eine Differenzierung zwischen jenen, die Schutz brauchen, und jenen, die nur bessere wirtschaftliche Bedingungen suchen, vorzunehmen. Griechenland und Italien könnten dies allein nicht leisten, deshalb stellen andere Staaten wie auch Österreich technische und personelle Unterstützung bereit. Diese müsse aber auch abgeholt werden, gab die Ministerin zu bedenken. Sie drängte ferner auf eine fixe und faire Quotenverteilung und hielt effektive Rückführungsprogramme für dringend geboten, zumal derzeit weniger als 40% der nicht Asylberechtigten nicht heimkehren. Die Ministerin setzte daher Hoffnungen in geplante Rückkehrabkommen, wie sie auf dem Gipfel in Valletta mit den afrikanischen Staaten vereinbart wurden.

Ein weiterer Fokus werde seitens der EU auf die Transitroute am Westbalkan und auf eine enge Kooperation mit der Türkei gelegt. Am Westbalkan sei man gefordert, nicht nur zu versorgen, sondern auch zu registrieren und zu differenzieren. Mikl-Leitner bekräftigte die Bemühungen der EU, zur Verbesserung der Bedingungen in den Flüchtlingslagern - vor allem mit finanziellen Mitteln - beizutragen und sprach sich dafür aus, über die UNHCR legale Wege nach Europa zu ermöglichen. Damit würde man den Flüchtlingen eine gefährliche Reise ersparen und den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen.

    

Darüber hinaus will die EU eine Kommunikationsstrategie entwickeln, um zu informieren, welche Risiken eine Reise mit sich bringt. Man wolle auch falschen Versprechungen entgegenwirken und signalisieren, dass es eine Differenzierung zwischen berechtigtem Schutz und Wirtschaftsflüchtlingen gibt, und dass man sich registrieren bzw. mit den Behörden kooperieren muss.

Zusammenfassend stellte die Ministerin fest, dass 70% aller Asylanträge von 3 Mitgliedstaaten – Deutschland, Schweden Österreich - bewältigt werden. Österreich sei nicht mehr nur Transitland, sondern zunehmend auch Zielland, sagte sie. Derzeit bewältige man die Lage. Man sei gefordert, man dürfe aber das System und die Menschen nicht überfordern, denn dann könne man den Flüchtlingen keine Perspektive mehr geben.

Terror: Mikl-Leitner gegen Sozialromantik

Die Innenministerin nahm auch zu den jüngsten Terroranschlägen in Paris Stellung. "Unsere Gedanken sind bei den Opfern und bei den Hinterbliebenen", hielt sie fest. Man stehe Seite an Seite mit den anderen Ländern, um die europäischen Werte zu verteidigen, sagte sie.

Im Kampf gegen die Terroristen seien Spezialisten gefordert, man benötige eine stärkere internationale Vernetzung, man müsse aber auch den Spezialisten die nötigen Instrumentarien zur Verfügung stellen. In diesem Sinne stellte sie sich hinter das geplante Staatsschutzgesetz, das mit allen Parteien intensiv und transparent diskutiert worden sei. Ihr sei wichtig, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu wahren. Mit allem Nachdruck warnte Mikl-Leitner vor einer Sozialromantik.

ÖVP: Appell an eine Politik der Mitte

Diese Balance forderte auch Ernst Gödl (V/St) ein, wenn er an alle PolitikerInnen appellierte, eine Position der Mittel einzunehmen. Gödl verband damit eine Kritik an PolitikerInnen, die an Demonstrationen rechts- und linksgerichteter Organisationen teilnehmen. Er bekräftige, das Asylrecht ist ein Menschenrecht, gleichzeitig müssten aber auch Kontrollen durchgeführt und Sicherheit sowie Rechtsstaatlichkeit gewährleistet werden. Es sei vertretbar, Grenzen zu kontrollieren, denn das gehöre zu den Kernkompetenzen eines Staates. In diesem Sinne dankte er auch der Ministerin für "bauliche Maßnahmen" an der steirischen Grenze.

Es müsse gelingen, eine für alle erträgliche Lösung herbeizuführen, insbesondere auch eine faire Aufteilung, meinte auch sein Fraktionskollege Gerhard Schödinger (V/N) und appellierte an den Zusammenhalt der EU. Er bedauerte die derzeitige Tendenz, staatsegoistische Strategien über den Geist des Zusammenhalts in den Vordergrund zu stellen. Schödinger kritisierte insbesondere auch Ungarn wegen seiner Klage beim EuGH. Das entspreche nicht der Wertegemeinschaft, meinte er und forderte mehr Europa, eine europäische Asylpolitik und Sicherung der Außengrenzen ein.

SPÖ: Europa muss seine Werte verteidigen

"Europa muss seine Werte verteidigen. Die Grenzen zwischen den Nationalstaaten müssen offen bleiben, dazu bedarf es aber starker Außengrenzen", betonte auch Stefan Schennach (S/W). Der SPÖ-Bundesrat verteidigte das Vorgehen der Regierung in der Flüchtlingsfrage an den Staatsgrenzen, denn man stehe einer Notsituation gegenüber. Grundsätzlich plädierte er eindringlich dafür, dass sich die europäische Wertegemeinschaft nicht nur an wirtschaftlichen, sondern vor allem auch an humanitären Werten orientiere, und warnte davor, angesichts der Terrorakte die friedliebenden Muslime im Europa nun unter Generalverdacht zu stellen. Wenn man unsere liberale Gesellschaftsordnung einengt, dann gewinnen jene, die morden, so Schennach. Man dürfe nicht zum Instrument des Terrors werden. Schennach sprach sich daher für mehr EU-Mittel für das Asylwesen aus, fordert aber auch gleichzeitig im Hinblick auf die Verhandlungen mit der Türkei klare Worte seitens der EU ein. Denn dort hätten die Flüchtlingen nur den Status eines Gastes und das sei kein Rechtsstatus.

Gegen Abschottung und Aufgabe der Genfer Flüchtlingskonvention trat auch Peter Heger (S/B) auf. Als Bürgermeister der Marktgemeinde Horitschon schilderte er, wie Integration von Flüchtlingen funktionieren kann, und machte sich für eine geordnete und menschliche Abwicklung der Flüchtlingsbewegungen stark.

FPÖ: Sozialpädagogik ist keine Lösung

Auf die Probleme könne man nicht mit der Ideologie der Sozialpädagogik reagieren, warf Hans-Jörg Jenewein (F/W) ein. Jenewein sah ein besonderes Sicherheitsrisiko durch jene Dschihadisten, die nach Europa zurückkehren, denn diese seien sehr mobil. Der FPÖ-Mandatar übte zudem harsche Kritik daran, dass Österreich die Flüchtlinge einfach durchschleust und nicht kontrolliert. Nur so sei es möglich gewesen, dass der Anführer der Pariser Terrorakte zurückkehren konnte. Jenewein gab all denen recht, die meinen, dass man Flüchtlinge nicht mit Terroristen verwechseln dürfe. Dennoch hält er es für problematisch, alle herein zu lassen, ohne zu wissen, wer kommt. Er forderte daher, eine klare Grenzlinie zu terroristischen Gruppen zu ziehen und der Appeasement-Politik ein Ende zu setzen, denn damit öffne man dem Terror Tür und Tor.

Für Werner Herbert (F/N) haben die EU und auch Österreich lediglich Rhetorik zu bieten, die keineswegs geeignet ist, Lösungsansätze zu finden. Für ihn steht fest: "Die österreichische Bevölkerung zuerst". In der Bevölkerung gebe es immer weniger Verständnis für die Lage, sagte er, denn sie spüre nicht nur Druck im Hinblick auf die mangelnde Sicherheit, sondern aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, der Kürzung der Sozialleistungen und der sinkenden Einkommen den Druck auch im täglichen Leben.

Grüne gegen "Überwachungsphantasien"

Ebenso verspürte Marco Schreuder (G/W) eine steigende Verunsicherung der Bevölkerung, zieht aber andere Schlüsse. Überwachungsphantasien wie Vorratsdatenspeicherung werden nichts gegen den Terror ausrichten, hielt er fest, auch das geplante Staatsschutzgesetz nicht. Viel wichtiger wäre es, sich wieder darauf zu konzentrieren, was die Bevölkerung hört und erzählt.

Gerade diejenigen, die zu uns kommen, fliehen vor Krieg und Terror, gab Schreuder zu bedenken. Wer den Islamismus bekämpfen will, muss daher denjenigen helfen, die davor flüchten. Als EU muss man seiner Meinung nach vor allem außenpolitisch agieren, so Schreuder. Er rief dazu auf, über den Vorschlag Frankreichs nach einer gesamteuropäischen Polizeieinheit nachzudenken. Schreuder machte auch darauf aufmerksam, dass der Kampf der Terroristen gegen den Westen das wahre Problem verschleiere, nämlich den innerislamischen Konflikt, vertreten durch den Iran und Saudi-Arabien.

Harte Kritik an der mangelhaften Versorgung in den Transferzelten, an den dort besorgniserregenden hygienischen Zuständen  und an der mangelnden Koordinierung übte sein Klubkollege David Stögmüller (G/O). Er ortete dabei ein eklatantes Politikversagen der Regierung. Dem entgegnete Innenministerin Mikl-Leitner, die Situation in Oberösterreich sei deshalb schwierig, weil der Zustrom höher sei als die Weiterreise nach Deutschland.

Team Stronach: Stopp der Masseneinwanderung

Gerald Zelina (T/N) sah nicht nur in Frankreich sondern auch in Österreich den Ausnahmezustand gegeben, wenn nicht bald präventive Maßnahmen in Angriff genommen werden. Zelina forderte den Stopp der Masseneinwanderung und verkraftbare Obergrenzen für Asylaufnahmen, denn die Masseneinwanderung destabilisiert seiner Meinung nach Europa und gefährdet die Sicherheit. Zelina zufolge ist das Dublin-System gescheitert, syrischen, afghanischen oder afrikanischen Flüchtlingen dürfe in Österreich kein Asyl zuerkannt werden. (Schluss Aktuelle Stunde/Fortsetzung Bundesrat) jan


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