Parlamentskorrespondenz Nr. 938 vom 14.09.2016

Macht der Konzerne versus parlamentarische Souveränität

Diskussion über Investitionsschutz, Daseinsvorsorge und Demokratie bei der Parlamentarischen Enquete zu CETA und TTIP

Wien (PK) – Bei CETA und TTIP scheiden sich die Geister. Das wurde auch am Nachmittag der Parlamentarischen Enquete über die beiden Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA einmal mehr deutlich. Wie am Vormittag prallten beim Panel zum Thema "Investitionsschutz, regulatorische Zusammenarbeit, Abbau tarifärer Hemmnisse, öffentliche Dienstleistungen bei CETA und TTIP" die weit auseinandergehenden Meinungen und Einschätzungen aufeinander. Während die einen davor warnten, dass der geplante Investitionsschutz zu einer Bevorzugung der Unternehmen und gleichzeitig zur Einschränkung parlamentarischer Rechte führen werde und die Daseinsvorsorge unter Druck gerate, gaben die anderen zu bedenken, dass Angst ein schlechter Ratgeber sei und es gerade für ein Exportland wie Österreich notwendig sei, den Außenhandel durch derartige Freihandelsabkommen zu unterstützen. Die Daseinsvorsorge sei in keiner Weise gefährdet, war aus dieser Gruppe zu vernehmen.

Nicht die Türen schließen, Exporte müssen zur Sicherung des Wohlstands gestärkt werden

So meinte etwa Michael Löwy von der Industriellenvereinigung, CETA und TTIP würden den Wirtschaftsstandort Österreich sowie die Wirtschaft der EU stärken. Der Abbau von Zöllen sowie das vorgesehene Produktzulassungsverfahren würden den Unternehmen viel Geld ersparen, welches sie wesentlich besser für Innovation und Arbeitsplätze investieren könnten. Auch die Öffnung des Beschaffungsmarktes biete für die heimische Wirtschaft große Chancen, warb Löwy für die Zustimmung zu CETA. Um den Wohlstand in Österreich abzusichern, sei es notwendig, alles zu tun, um die Exporte zu steigern, da der Binnenhandel dafür zu schwach sei.

In gleicher Weise setzte sich der kanadische Chefverhandler für CETA, Steve Verheul, für die Umsetzung des ausverhandelten Abkommens ein. Ihm zufolge handelt es sich dabei um ein modernes, fortschrittliches Abkommen, das viele neue Standards im Bereich Gesundheit, Umweltschutz etc. setze und das die Dienstleistungen schütze. In der EU werde kein Standard gesenkt, stellte er fest und wies auf die Bedeutung von CETA für zukünftige Abkommen hin. Würde man jetzt die Türen schließen, würde man es anderen überlassen, weltweite Handelsregeln festzulegen, mahnte er.

Verheul verteidigte den Investorenschutz, indem er sagte, dabei handle es sich um das modernste und fortschrittlichste Kapitel. Die Rechte der Regierungen zu regulieren würden gewahrt, das Recht der Staaten und nicht jenes der Unternehmen gestärkt. Regierungen könnten Gesetze ändern, wann und wie sie es wollen. Verheul wies auch die Kritik an der regulatorischen Zusammenarbeit zurück. Es gebe in diesem Kapitel keine Verpflichtungen, sagte er, die Bestimmungen bezögen sich auf zukünftige aber nicht auf bestehende Regelungen. Mit Nachdruck betonte er, dass niemand zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen gezwungen werde, die Daseinsvorsorge bleibe im Rahmen von souveränen innerstaatlichen Leistungen.

Konzerne werden auf Kosten der Demokratie und der BürgerInnen gestärkt

Anders sahen dies Jan Kleinheisterkamp (London School of Economics), Alexandra Strickner (attac) und Angela Pfister (ÖGB).  Kleinheisterkamp kritisierte vor allem den Investorenschutz, denn dieser führe zu einer Inländerdiskriminierung, da er inländische Unternehmen im Wettbewerb schlechter stelle. CETA etabliere ein Sonderrecht für ausländische Unternehmen auf eine Sondergerichtsbarkeit – ein Recht, das BürgerInnen nicht haben, so der Experte. Darüber hinaus werde mit dem Investorenschutz auch der Rechtsgedanke unterwandert, dass der Gesetzgeber oder die Verwaltung nicht daran gehindert werden dürfe, im öffentlichen Interesse zu handeln. Er plädierte daher dafür, den internationalen Investitionsschutz lediglich subsidiär zu gestalten und dem nationalen Rechtsschutz nachzuschalten, wie dies auch beim Schutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention der Fall sei. Kleinheisterkamp erinnerte zudem daran, dass die USA und Australien in ihrem bilateralem Freihandelsabkommen auf einen Investorenschutz verzichtet haben.

Von einem massiven Verlust parlamentarischer Souveränität und der Einschränkung von Handlungsspielräumen, sprach Alexandra Strickner von attac. Die Entscheidungen würde auf die Ebene von Konzernen und nicht gewählten Entscheidungsstrukturen verschoben. CETA schreibe eine bestimmte wirtschaftliche Orientierung, nämlich noch mehr Liberalisierung, fest. Das gefährde vor allem die Daseinsvorsorge, die vom Investitionsschutz nicht ausgenommen werde. Einmal getätigte Liberalisierungsschritte könnten nicht mehr rückgängig gemacht werden, sagte sie. Als besonders negativ wertete Strickner die gemeinsamen Ausschüsse, die für die Umsetzung des Abkommens zuständig seien und auch Beschlüsse fassen können, womit das Abkommen weiter entwickelt werde. Dabei seien die Parlamente nicht zwingend einzubinden, warnte sie.

Ähnlich ist die Einschätzung des ÖGB, wie dies Angela Pfister darlegte. Auch sie gab zu bedenken, dass auch nach der Ratifizierung Bestimmungen geändert werden können, wobei sie eine mögliche Liberalisierung der Wasserversorgung nicht ausschloss. Als besonders negativ bewerte sie die Negativlisten, die etwaige neue Dienstleistungen nicht erfassen. Sie kritisierte ebenfalls scharf den Investitionsschutz, der über die bisherigen Freihandelsabkommen hinausgehen. Allgemein drängte sie darauf, Arbeitnehmerrechte und Demokratie nicht in Frage zu stellen.

Kommt die Daseinsvorsorge unter Liberalisierungsdruck?

Auch in der anschließenden Diskussion standen der Investitionsschutz und die Sicherung der Daseinsvorsorge im Mittelpunkt der Redebeiträge. Warum soll ein guter Rechtsstaat durch einen Rechtsstaat light ersetzt werden, fragte etwa SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer, der kein Verständnis dafür fand, dass zwar InvestorInnen geschützt werden, nicht aber ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen. Schiedsverfahren haben im Freihandelsabkommen nichts verloren, meinte auch die Vertreterin des sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands.

Vielfach kritisch wurden in der Diskussion auch die Negativlisten bewertet. Damit würden erstmals Liberalisierungspflichten festgelegt, eine Rekommunalisierung sei nicht mehr möglich, beklagte SPÖ-Abgeordnete Katharina Kucharovits. Sämtliche öffentliche Dienstleistungen, die nicht explizit erwähnt sind, müssen liberalisiert werden. Ausgespart blieben zukünftige Entwicklungen, so eine weiter kritische Stimme. Seitens der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 wurde vor allem die vorgesehene regulatorische Kooperation ins Visier genommen, die dazu führe, dass Konzerninteressen Vorrang vor Umwelt- und Konsumentenschutz erhalten. Das immer wieder ins Spiel gebrachte right to regulate sei viel zu schwach.

Grün-Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber unterstrich das im EU-Primärrecht verankerte Vorsorgeprinzip, das mit dem in CETA festgelegten wissenschaftlichen Prinzip nicht vereinbar sei. Seine Kollegin aus dem Bundesrat, Heidelinde Reiter, kritisierte, dass demokratische Institutionen entmachtet würden, sie plädierte daher für eine Verschnaufpause. Auch die Redner des ÖGB, der Arbeiterkammer und von attac bekräftigten ihre Kritik am Freihandelsabkommen CETA.

Dem gegenüber warnte ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl davor, die Verlässlichkeit Österreichs aufs Spiel zu setzen. CETA sei sechs Jahre lang mit allen Mitgliedstaaten und zahlreichen ExperInnen verhandelt worden, führte er in Treffen. Die Schiedsgerichte seien nichts Überirdisches und auch nichts Neues, meinte er, in CETA sei das höchst entwickelte Verfahren, das es jemals in einem internationalen Verfahren gegeben hat, festgeschrieben. Sein Klubkollege Georg Strasser machte geltend, dass CETA viele Aspekte der ökosozialen Marktwirtschaft enthalte, weshalb er dafür plädierte, die guten Ansätze mit Leben zu erfüllen.

Die Daseinsvorsorge und damit das Vorsorgeprinzip seien gesichert, bekräftigten ferner die Vertreter der Industriellenvereinigung. Sie gaben zudem zu bedenken, dass bei einer Nichtumsetzung von CETA Europa gegenüber dem asiatischen Raum ins Hintertreffen gelangen könnte.

Für einen kritischen Abschluss dieser Diskussionsrunde sorgte FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm, der die Sinnhaftigkeit der heutige Enquete in Frage stellte, da CETA längst auf Schiene und nicht mehr zu stoppen sei. Man dürfe keine Hoffnungen wecken, die nicht zu erfüllen sind, so Wurm. (Fortsetzung Enquete) jan

HINWEIS: Fotos von der Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.