Parlamentskorrespondenz Nr. 1373 vom 06.12.2016

Brandstetter im Justizausschuss: Strafrechtsreform zeigt Wirkung

Deutlich mehr Anklagen wegen sexueller Belästigung und Verhetzung

Wien (PK) – Die Anfang Jänner in Kraft getretene Strafrechtsreform zeigt Wirkung. Wie Justizminister Wolfgang Brandstetter die Abgeordneten heute im Justizausschuss des Nationalrats informierte, haben die Verschärfungen im Sexualstrafrecht und die Neuformulierung des Straftatbestands der Verhetzung zu deutlich mehr Anzeigen und Verfahren geführt. So hat es etwa in den ersten 11 Monaten dieses Jahres um rund 65% mehr Anklagen wegen sexueller Belästigung gegeben als im gesamten Jahr 2015. Auch wegen Verletzung der sexuellen Integrität sind steigende Anzeigen zu verzeichnen. Heute belächle niemand mehr die neuen Bestimmungen, meinte Brandstetter in Anspielung auf die seinerzeitige Kritik am "Pograpsch-Paragraphen". Eine ähnliche Tendenz gebe es auch bei Verhetzungs-Verfahren.

Was das neue Erwachsenenschutzgesetz betrifft, ist Brandstetter überzeugt, dass er die Einwände von Finanzminister Hans Jörg Schelling wegen vorübergehender budgetärer Mehrkosten mit einer neuen Studie ausräumen kann. Kurz vor der Fertigstellung ist eine größere Reform im Maßnahmenvollzug. Mit Überlegungen, Plattformen wie Facebook als Medium zu werten und damit unter das Medienrecht zu stellen, hat der Minister keine Probleme. Weitere Themen der Aussprache mit den Mitgliedern des Justizausschusses über aktuelle Themen waren der Strafvollzug, in Aussicht genommene Änderungen im GmbH-Gesetz, die beabsichtigte Wiedereinführung des Straftatbestands "Behördentäuschung" und neue strafrechtliche Bestimmungen zum effektiveren Vorgehen gegen die so genannten "Reichsbürger" und ähnliche Bewegungen.

Sachwalterschaft ist in vielen Fällen vermeidbar

Dass eine Reform bei der Sachwalterschaft notwendig ist, ist für Brandstetter unbestritten. Ein Modellversuch an 18 bezirksgerichtlichen Standorten habe gezeigt, dass es tatsächlich zu viele Sachwalterschaften in Österreich gebe und die Autonomie und Selbstbestimmung oft zu Unrecht durch SachwalterInnen substituiert werde. Und zwar in einem Ausmaß, das er sich so gar nicht erwartet habe, sagte Brandstetter. In bis zu zwei Drittel der Fälle wäre durch anderweitige Unterstützung der Betroffenen eine Sachwalterschaft vermeidbar. Das neue Modell würde in diesem Sinn langfristig auch Einsparungen bringen, zur Überprüfung aller bestehenden Fälle nach neuem Recht bräuchte es aber zunächst mehr Budgetmittel. Es geht um 13 Mio. €, bestätigte Brandstetter kolportierte Zahlen.

Den Finanzminister will Brandstetter mit einer bei der Wirtschaftsuniversität in Auftrag gegebenen Studie zur langfristigen Kostenabschätzung über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus überzeugen. Zudem wies er auf Verpflichtungen Österreichs durch die UN-Konvention hin. "Wir werden das im Plenum durchkriegen", zeigte er sich gegenüber SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim optimistisch. Dieser hatte zuvor scharfe Kritik an der Blockade des Finanzministers geübt.

Eine rasche Neuregelung des Sachwalterrechts forderten auch Christoph Hagen (T) und Gertrude Aubauer (V). Es sei praxisfern, dass ein Rechtsanwalt bis zu 70 KlientInnen betreuen dürfe, meinte Hagen. Aubauer versicherte, dass die geplante Reform der ÖVP ein ganz großes Anliegen sei. Es gehe um Selbstbestimmung, man müsse Entmündigungen erschweren.

Entwurf zur Reform des Maßnahmenvollzugs ist "nahezu fertig"

Was den Maßnahmenvollzug betrifft, stellte Brandstetter die baldige Vorlage eines Gesetzentwurfs in Aussicht. Dieser sei nahezu fertig, derzeit würde die geplante Neuregelung von Fachleuten geprüft. Brandstetter hält einen Paradigmenwechsel und eine echte Neuordnung für notwendig. Man müsse bestehende Reibungsverluste an den Schnittstellen beseitigen. Laut Brandstetter soll sich die Art der Unterbringung von psychisch beeinträchtigten Straftätern ändern, die gesundheitliche Betreuung der Betroffenen soll nicht mehr im bisherigen Umfang ausgelagert werden. "Wir müssen diese Aufgabe wahrnehmen", sprach sich Brandstetter für die Übernahme der Verantwortung durch den Bund aus.

Strafvollzug: Brandstetter rechnet mittelfristig mit Neubauten

Auch an der Reform des Strafvollzugs wird laut Brandstetter weiter gearbeitet, wobei er davon ausgeht, dass sich der Prozess über mehrere Jahre erstrecken wird. Bis Jahresende erwartet er Ergebnisse einer bei der Donauuniversität Krems beauftragten "Standortoptimierungsstudie". "Wir werden einiges an Neubauten brauchen", glaubt der Justizminister. Zwar sei es gelungen, die Situation durch Organisationsänderungen zu verbessern, mittelfristig werde es aber mehr Budgetmittel brauchen. Herausforderungen sind für Brandstetter unter anderem das erhöhte Aggressionspotential in Haftanstalten und neue technologische Entwicklungen. So habe es kürzlich erstmals einen Überflug einer Drohne über eine Justizanstalt gegeben.

Die Einschätzung von Grün-Abgeordnetem Albert Steinhauser, wonach das Justizministerium bei der von der Regierung beschlossenen Sicherheitsoffensive zu kurz gekommen ist, wollte Brandstetter nicht teilen. Derzeit sei eher das Problem, dass man vorhandene Planstellen nicht besetzen könne, weil geeignete BewerberInnen fehlen, sagte er. Zudem verfüge man über Rücklagen. Er rechnet aber dann mit einer Nagelprobe, wenn es um notwendige Ausbauten gehen wird.

Steinhauser hatte zuvor beklagt, dass das Justizministerium trotz offensichtlicher Missstände im Strafvollzug weder aus dem Sicherheitspaket noch aus dem Anti-Terror-Paket einen Cent erhalten habe. Während nunmehr offenbar sogar für sämtliche Musikkapellen der Militärmusik genügend Geld da sei, sei der Strafvollzug komplett leer ausgegangen.

Kritische Anmerkungen zur vereinbarten Bereitstellung von gepanzerten Fahrzeugen des Verteidigungsministeriums für Gefangenentransporte kamen von Christian Lausch (F) und Nikolaus Scherak (N). Es habe bei Gefangenentransporten noch nie Probleme gegeben, meinte Lausch. Scherak sieht die zunehmende Heranziehung des Bundesheeres für Assistenzleistungen skeptisch. Für Brandstetter ist die Kritik allerdings nicht nachvollziehbar. Der Wunsch nach gepanzerten Fahrzeugen für den Bedarfsfall sei von den JustizwachebeamtInnen an ihn herangetragen worden. Konkrete Einsätze seien derzeit nicht nötig, man sei nun aber vorbereitet. Nicht argumentierbar wäre es laut Brandstetter gewesen, hätte sich das Justizministerium selbst solche Fahrzeuge angeschafft.

Ministerium will gegen "Reichsbürger" vorgehen

Verteidigt wurde vom Justizminister auch der geplante neue Straftatbestand "Staatsfeindliche Bewegung". Das Justizministerium sei vom Innenministerium gebeten worden zu überprüfen, inwieweit die geltenden strafrechtlichen Normen ausreichen, um gegen Bewegungen vorzugehen, die den Staat zur Gänze ablehnen, und habe Änderungsbedarf festgestellt. Es gebe zwar den Tatbestand der staatsfeindlichen Verbindung, da dieser aber einen hohen Grad an Organisationsdichte voraussetze, sei er für lose Bewegungen wie die "Reichsbürger" nicht geeignet. Diese könnten für den Staat aber sehr wohl gefährlich sein, warnte Brandstetter.

Der Justizminister stimmte FPÖ-Abgeordnetem Harald Stefan zu, dass man aufpassen müsse, nicht zu stark in Richtung Gesinnungsstrafrecht zu gehen, er sieht aber einen klaren Bedarf an Bestimmungen, um staatsfeindliche Bewegungen in die Schranken weisen zu können. Abgestellt werden soll ihm zufolge auf gesetzeswidrige Aktionen, die sich gegen Hoheitsrecht bzw. Organwalter werden. Noch ist die Formulierung nicht fix, man werde über den Vorschlag weiter diskutieren.

Straftatbestand "Behördentäuschung" könnte wieder eingeführt werden

Anders als Grün-Abgeordneter Steinhauser hält Brandstetter auch die Wiedereinführung des Straftatbestandes "Behördentäuschung" für gerechtfertigt. Wer eine Behörde gezielt täuscht, um einen ihm nicht zustehenden Rechtsstatus zu erlangen, solle, analog zum Straftatbestand Sozialbetrug, auch strafrechtlich belangt werden können. Im Jahr 1987, als dieser Straftatbestand abgeschafft wurde, habe es ein anderes Klima in Österreich gegeben, meinte der Minister. Damals habe man Behördentäuschung vielfach als Kavaliersdelikt gesehen. Was mit dem Vorschlag werde, könne er noch nicht abschätzen. Steinhauser sieht jedenfalls die Gefahr der Kriminalisierung zahlreicher BürgerInnen.

Einen höheren Strafrahmen will Brandstetter überdies für körperliche Attacken gegen Polizei- und JustizwachebeamtInnen verankern. Seiner Ansicht nach gibt es derzeit zu große strafrechtliche Unterschiede zwischen Attacken ohne bzw. mit Verletzungsfolgen.

Brandstetter: Es gibt kein Sonderstrafrecht für "Internet-Giganten"

In einem intensiven Gedankenaustausch mit Kanzleramtsminister Drozda steht Brandstetter in Bezug auf das Thema Hassposting. Er sehe kein Problem in Überlegungen, dass Plattformen wie Facebook als Medium gelten und damit dem Medienrecht unterliegen sollen, betonte er.

Ausdrücklich bekräftigte Brandstetter, dass es kein Sonderstrafrecht für "Internet-Giganten" gibt. Man habe gegenüber Facebook klargestellt, dass auf Aufforderungen von Staatsanwaltschaften zur Löschung strafrechtlich relevanter Inhalte innerhalb einer angemessenen Zeitspanne zu reagieren sei. Ansonsten müsse man einen Vorsatz auf Verbreitung derartiger Inhalte im Netz unterstellen. Generell meinte der Justizminister, man könne den Internet-Giganten nur auf EU-Ebene einigermaßen auf Augenhöhe begegnen.

Dieter Brosz (G) wertete den Vorschlag, Plattformen wie Facebook und Twitter als Medium zu definieren, hingegen als nicht schlüssig. Wenn man Plattformbetreiber für sämtliche Inhalte von Postings zur Verantwortung ziehe, verhindere man alle offenen Diskussionsforen, gab er zu bedenken. Man müsse vielmehr Maßnahmen setzen, um die rasche Löschung von Hasspostings zu erwirken. Ein Problem sieht Brosz auch darin, dass es PrivatklägerInnen oft nicht möglich ist, die Hassposter zu identifizieren, überdies drohe man auf Verfahrenskosten sitzen zu bleiben.

In Bezug auf die neue Speichermedienabgabe will Brandstetter das laufende Verfahren vor dem OGH abwarten. Abgeordneter Wolfgang Zinggl (G) hatte zuvor darauf hingewiesen, dass sich Amazon weigere, die Abgabe zu zahlen, mit der Begründung, dass das Geld nicht allen Betroffenen zugutekomme. Für ihn ist die Rechtsunsicherheit auch insofern ein Problem, als die Verwertungsgesellschaften nun Gelder einbehalten, um Rücklagen zu bilden.

Erleichterung von Firmengründungen: Einige Fragen noch offen

Von FPÖ-Abgeordnetem Stefan auf das vom Finanzministerium in Begutachtung geschickte Deregulierungsgesetz angesprochen, hielt Brandstetter fest, auch für ihn sei in Bezug auf das GmbH-Gesetz noch einiges offen. Grundsätzlich unterstütze er aber das Bemühen der Regierung, im Zuge der Entbürokratisierungsoffensive Firmengründungen zu vereinfachen. Man müsse jedoch eine vernünftige Balance finden. Stefan hatte zuvor kritisiert, dass man Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und zur Verhinderung von Sozialbetrug konterkariere, wenn man die Möglichkeit eröffne, Firmen per Handysignatur zu gründen. (Fortsetzung Justizausschuss) gs