Parlamentskorrespondenz Nr. 261 vom 14.03.2018

Sammelband thematisiert Migrations- und Flüchtlingsbewegungen innerhalb von drei Jahrhunderten

Sobotka: Es ist wichtig, die Geschichte intensiver zu beleuchten und mit Mythen aufzuräumen

Wien (PK) – In den vergangenen drei Jahrhunderten war Österreich, bzw. die Habsburgermonarchie immer wieder mit großen Migrations- und Flüchtlingsbewegungen konfrontiert. Dieser Umstand und die historischen Veränderungen stehen im Mittelpunkt des heute präsentierten Sammelbandes.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wies auf die Notwendigkeit und auch die Dringlichkeit hin, diese in allen Jahrhunderten stattfindenden Flüchtlingsbewegungen zu erforschen. Es sei wichtig, diese abseits von der aktuellen Situation zu durchleuchten, die Probleme zu erkennen und auch die Leistungen der ÖsterreicherInnen zu zeigen. Flucht gehöre zur Menschheitsgeschichte seit jeher dazu und er danke der Wissenschaft für die Mühen, diese 300 Jahre aufzuarbeiten.

Es sei die Aufgabe unserer Generation - unabhängig von aktuellen Geschehnissen – einen historischen Blick darauf zu werfen, wie in Österreich mit diesen Situationen umgegangen wurde. Der Ansatz des Buches gäbe die Möglichkeit, die Geschichte intensiver zu beleuchten und dadurch mit Mythen aufzuräumen. Der Blick in die Vergangenheit schärfe den Blick für die Gegenwart und die Zukunft.

Der Sammelband "Aufnahmeland Österreich. Über den Umgang mit Massenflucht seit dem 18. Jahrhundert" wurde heute auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und dem Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie dem Zentrum für Migrationsforschung im Palais Epstein präsentiert. Das Buch ist im Mandelbaum Verlag erschienen.

Ther: Wieviel politisches Kalkül steckt dahinter?

Historiker und Professor für Geschichte Ostmitteleuropas und Vorstand des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, Philipp Ther, nannte den Sammelband ein "timely book" – also ein Buch genau zum richtigen Zeitpunkt. Ihn beeindrucke besonders der umfangreiche Themenmix und die Vielfältigkeit der Blickwinkel der AutorInnen.

Die thematische Aufarbeitung der laufenden Flüchtlingsströme quer durch die Jahrhunderte und der dadurch oft implizierte Kontrollverlust sowie das wechselseitige Verhältnis von Staat und Gesellschaft bei der Aufnahme und wie diese einander bedingen, waren für Ther bemerkenswert. Bei der historischen Aufbereitung des Themas Hilfsbereitschaft und das oftmals spätere Kippen in eine Ablehnung müsse man immer mit einer Frage im Hinterkopf betrachten: Kippe die Situation oder werde sie gekippt und wieviel politisches Kalkül steckt dahinter?

Kuzmany: Gelassenheit in öffentliche Diskussion bringen

Die beiden AutorInnen Historiker Börries Kuzmany vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW  und Historikerin Rita Garstenauer (Geschäftsführerin des Zentrums für Migrationsforschung in St. Pölten) wiesen in ihrer Präsentation hin, dass der  Sammelband  das Ergebnis einer Tagung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, des Zentrums für Migrationsforschung und des Instituts für die Wissenschaft vom Menschen sei. Im Wissen, dass Flüchtlingskrisen in unserem Land nichts Neues sind, hätte man Fachleute versammelt, die sich mit Fluchtereignissen in historischer Perspektive auseinandersetzen. Mit dieser Einladung zum historischen Nachdenken über ein Problem der Gegenwart hoffe man, mehr Facettenreichtum, Tiefe und Gelassenheit in die öffentliche Diskussion einzubringen.

Garstenauer: Auf Brüche des gesellschaftlichen Handelns hinweisen

Das Buch richte sich sowohl an eine wissenschaftliche als auch eine breitere Öffentlichkeit. Auch wenn die Flüchtlingsströme immer unterschiedlich seien, gäbe es doch Themen, die sich durch die Geschichte ziehen. Der Sammelband sei nicht normativ, sondern zeige auf, wie in den Jahrhunderten mit der Thematik umgegangen wurde. Das acht Kapitel fassende Werk umspannt einen thematischen Bogen von den christlichen Flüchtlingen aus dem Osmanischen Reich im 18. Jahrhundert, über jüdische Flüchtlinge aus dem Zarenreich im 19. Jahrhundert bis hin zu den Flüchtlingsbewegungen während und nach den beiden Weltkriegen und schließt mit den Flüchtlingen aus Bosnien vor 25 Jahren ab.

Das Ziel dieses Sammelbandes ist es, auf Kontinuitäten und Brüche staatlichen und gesellschaftlichen Handelns hinzuweisen und somit die Perspektiven auf heutige Herausforderungen zu erweitern. Die hier versammelten Beiträge zeigen die geografische und zeitliche Breite historischer Fluchtbewegungen nach Österreich auf.

Historikerin Hildegard Schmoller vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der ÖAW moderierte die anschließende Diskussion, bei der Themen wie Vertreibung der Sudetendeutschen ebenso angesprochen wurden als auch die früheren Benachteiligungen der Protestanten. (Schluss) mar

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.