Parlamentskorrespondenz Nr. 49 vom 23.01.2019

Sobotka: Stimme gegen Hass und Antisemitismus erheben

Gedenkveranstaltung zu Ehren der Menschen, vor allem der Frauen, im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und der Opfer des Holocausts

Wien (PK) – "Den Opfern des Holocausts wollen wir ihre menschliche Würde wiedergeben und gegen Hass und Antisemitismus gemeinsam unsere Stimme erheben", sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der anlässlich des "Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocausts" in die Wiener Börsensäle zu einer Gedenk- und Erinnerungsveranstaltung eingeladen hatte. Insbesondere wurde der Frauen gedacht, die in Österreich während der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand leisteten. In diesem Zusammenhang erinnerte der Präsident des Nationalrats auch an die Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren. Im Sinne politischer Partizipation hätten insbesondere Frauen aus unterschiedlichen Haltungen heraus – mit politischem, religiösem oder mitmenschlichem Engagement für die Verfolgten – Widerstand geleistet. "Mit Mut, Menschlichkeit und Moral standen sie dafür ein. Heute ist es unser aller Auftrag, ihren Opfern und Taten gerecht zu werden", sagte Sobotka.

Claudia Prutscher: "Gedenken muss der Zukunft dienen"

Durch eine tiefgründige, auch persönliche Erzählung forderte die Vizepräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Claudia Prutscher, zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf. Sie erinnerte an die Ermordung von sechs Millionen Juden. Würde man eine Schweigeminute für jedes der Opfer abhalten, wäre es elf Jahre lang still, gab sie zu bedenken. "Gedenken muss der Zukunft dienen", sagte Prutscher. "Deshalb ist der Kampf gegen Hass und Ausgrenzung das erste Gebot, das sich aus dem Holocaust ableitet." Sie hob die Bedeutung der Bewusstseinsbildung und Aufarbeitung – insbesondere bei Jugendlichen – hervor und appellierte, die Stimme gegen jegliche Form von Diskriminierung zu erheben. "Wir alle sollten Antisemitismus-Beauftragte sein", meinte sie.

"Die Shoah hat nicht in den Gaskammern begonnen", hob Claudia Prutscher hervor. Deshalb sei der Kampf gegen Hass und Ausgrenzung das "erste Gebot, das sich aus dem Holocaust-Gedenken ableitet". Schließlich könne nur, wer die Geschichte kenne, Lehren daraus ziehen. Auf Geschichtsunterricht allein zu setzen, sei zu wenig. Qualität und Empathie würden darüber entscheiden, ob Bewusstsein geschaffen werde.

"Nicht alle waren Mittäterinnen, aber viele"

Dabei sollte das Thema Prutscher zufolge von verschiedenen Seiten beleuchtet werden – auch der Frauen in der Rolle als Nationalsozialistinnen. "Nicht alle, aber viele waren Mittäterinnen und Mitläuferinnen im Nationalsozialismus", sagte Prutscher. Jene Frauen seien nicht die Heldinnen, die von den Alliierten dazu verpflichtet worden seien, "die Trümmer zu beseitigen, die der Faschismus verursacht hat".

Ilse Korotin: "Geschichte wird immer wieder neu konstruiert"

"Geschichte wird immer wieder neu gedeutet und konstruiert", sagte Ilse Korotin, Leiterin der Dokumentationsstelle Frauenforschung am Institut für Wissenschaft und Kunst. Daher sei es wichtig, die Geschichte österreichischer Frauenpersönlichkeiten im Widerstand aufzuarbeiten. Korotin erläuterte das Forschungsprojekt "biografiA", in dem die Lebensgeschichten von Frauen im NS-Widerstand nachgezeichnet und analysiert werden. Bei Frauen ortete Korotin nicht selten die Frage nach der "Biografiewürdigkeit". Herausragende Leistungen von Frauen blieben oft unbekannt, versteckt und unsichtbar.

Christine Kanzler, ebenfalls von der Dokumentationsstelle Frauenforschung am Institut für Wissenschaft und Kunst, schrieb dieses Problem der Bescheidenheit der Frauen zu. "Sie haben oft wenig Aufhebens um ihre Tätigkeit im Widerstand gemacht", sagte Kanzler. "Sie haben sie oft sogar heruntergespielt." Als bezeichnend für diese Haltung führte sie den Titel der Memoiren der Widerstandskämpferin Antonia Bruha an: "Ich war keine Heldin". Doch die Frauen hätten Mut aufgebracht, Mitmenschlichkeit bewiesen und seien für ihre Überzeugungen eingestanden.

Kanzler: Vielfältige Frauenrollen im Widerstand

Die Wissenschaftlerin zeigte die Vielfältigkeit der Frauenrollen im Widerstand auf. Sie hätten für die Verbreitung regimekritischer Schriften gesorgt, Geldmittel gesammelt, Familien Inhaftierter unterstützt und in "Feldpostbriefen" Frontsoldaten zu beeinflussen versucht. "Frauen haben sich behördlichen Maßnahmen widersetzt und Menschen mit Behinderungen vor dem Abtransport in die Vernichtungsanstalt Hartheim bewahrt", erzählte Christine Kanzler. Sie erinnerte daran, dass Frauen auch im bewaffneten Widerstand aktiv waren und dass sie im Exil gegen das NS-Regime kämpften, etwa in Frankreich und Belgien in der Widerstandsorganisation "travail allemand".

Nicht zuletzt leisteten viele Frauen Widerstand auf individueller Basis – im "Rettungswiderstand". "Er wird heute als typisch weibliche Form des Widerstands bewertet", sagte Kanzler. Frauen hätten gegen das Kontaktverbot mit Zwangsarbeitern verstoßen und ihnen Lebensmittel zugesteckt. Sie hätten jüdischen Deportationsflüchtlingen zur Flucht verholfen. Selbst in den Gefängnissen und Konzentrationslagern hätten sie durch scheinbar unspektakuläre Handlungen Leben gerettet.

Den unterschätzten Anteil der Frauen am Kampf gegen den Nationalsozialismus würdigen

"Biografien können zwei grundlegende Funktionen in der Erinnerungskultur erfüllen", erklärte Ilse Korotin. "Jene der Gedächtnisbildung und jene der Gedächtnisreflexion." Im Projekt "biografiA" werden Widerstandskämpferinnen datenmäßig erfasst und ihre Biografien dokumentiert. Auch die von Kanzler angesprochenen "scheinbar unspektakulären Handlungen" werden festgehalten. "Es geht darum, diesen teils vergessenen, jedenfalls aber unterschätzten Anteil der Frauen am Kampf gegen den Nationalsozialismus und die Diktatur zu würdigen", hob Ilse Korotin hervor. "Wir wollen dem weiblichen Widerstand einen Namen geben."

Korotin wies auf Rosa Jochmann hin, die nach 1945 als Nationalratsabgeordnete immer wieder dazu aufrief, "niemals zu vergessen". Korotin zeigte anhand der Ärztin und Auschwitz-Überlebenden Ella Lingens auf, wie schwierig es Frauen oft hatten, ihre Leistungen im Widerstand darzustellen. "Juden zu verstecken, das ist eine private Angelegenheit, das ist nicht Widerstand", hätten die Behörden Ella Lingens beschieden, nachdem sie um Anerkennung als Opfer und um Entschädigung angesucht hatte. "Da hab' ich dann berufen, und dann haben sie mir's doch gegeben", berichtete Lingens später in einem Interview. "Erst 1972 ist ein einigermaßen umfassendes Opferfürsorgegesetz geschaffen worden", erläuterte Ilse Korotin. Auch Christine Kanzler betonte: "Der Widerstand von Frauen ist erst Jahrzehnte nach der Befreiung Österreichs in seiner Bedeutung erfasst worden."

Ilse Korotin hob die politische Wachsamkeit "als Auftrag" hervor. Diesen hätten Frauen im Widerstand als Zeitzeuginnen beharrlich verfolgt. "Zugleich sind sie als Mahnerinnen gegen ein Wiederaufleben nationalsozialistischer Tendenzen aufgetreten", unterstrich Christine Kanzler. Die Überlebende Lotte Brainin etwa habe 1997 Fremdenhass, Antisemitismus und bürokratische Hürden für Flüchtlinge aus Krisengebieten aufgezeigt.

"Hassrhetorik" in der Mitte der Gesellschaft

Auch Christine Kanzler kritisierte: "Mehr als zwanzig Jahre nach der Mahnung von Lotte Brainin erscheint uns ihr Befund alarmierend zugespitzt, von der gesellschaftlichen Realität in vielen Teilen Europas sogar überholt." Menschen würden abgewertet, verunglimpft und ausgegrenzt – allein aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder sozialen Klasse. "Hassrhetorik" sei in die Mitte der Gesellschaft gerückt. "Auf der anderen Seite wird humanitäres Engagement – selbst namhafter Institutionen – diskreditiert und sogar der Kriminalisierung ausgesetzt", sagte Kanzler. Das Wissen der Frauen im Widerstand solle dazu genützt werden, "um den Blick für aktuelle Bedrohungen unserer Demokratie und der Menschenrechte zu schärfen und dagegenzuhalten".

Unter dem Titel "… den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben …" las Schauspielerin Ursula Strauss aus Lebenserinnerungen im Widerstand kämpfender Frauen. Karin Nusko, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wissenschaft und Kunst gab Informationen zu den Biografien der Autorinnen. Darbietungen von Pianistin Sabina Hasanova und Sängerin Ethel Merhaut untermalten die Veranstaltung in musikalischer Hinsicht. (Schluss) gb/fan

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos