Parlamentskorrespondenz Nr. 204 vom 04.03.2020

Sobotka: Die Geschichte ermahnt uns zum Gedenken, mit Blick auf die Zukunft

Gedenkveranstaltung zum Ende der parlamentarischen Demokratie 1933

Wien (PK) – "Es braucht das Gedenken, um auch gut in ein Morgen der parlamentarischen Demokratie zu kommen", betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka heute Abend im Parlament bei einer Gedenkveranstaltung zu den Ereignissen des 4. März 1933. Vor 87 Jahren leitete die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß durch die Ausschaltung des Parlaments das Ende einer noch jungen demokratischen Entwicklung ein.

"Wir müssen die Demokratie immer wieder aufs Neue verteidigen, und das gelingt uns am besten, wenn wir alle gemeinsam aktiv für unser Gemeinwesen eintreten", sagte Sobotka. "Wer die Gefahren kennt, kann sie bekämpfen. Wer sie definiert, kann sie bewältigen." Zum Abschluss seiner Eröffnungsrede leitete er zum Thema das Abends über: "Wie werden soziale Medien die parlamentarische Demokratie begleiten und herausfordern?"

Pöschl: Demokratie braucht einen öffentlichen Raum

Magdalena Pöschl, Professorin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien, verwies in ihrer Keynote "Soziale Medien in der Demokratie: Gift oder Arznei?" auf die Bedeutung sozialer Medien im politischen Kontext. Demokratie brauche abseits von Wahlzellen und Parlamenten auch einen öffentlichen Raum, wie etwa Marktplätze, die integrativ wirken und die Lebenswelten der Menschen verbinden. Die Digitalisierung löste durch die unbegrenzte Information und durch offene Räume eine Euphorie aus. Aber es fehlen die Regeln. So würden sich auch Falsch- und Hassnachrichten auf privaten Plattformen tummeln, die selbst entscheiden, was gelöscht wird und was nicht. Auch durch Echokammern werde der Diskurs geschwächt. Für Pöschl gibt es aber auch positive Seiten digitaler Kommunikation, wie das Beispiel von "Fridays for Future" gezeigt hat. Sie kommt daher zum Schluss: "Von Hass gereinigt, können soziale Medien die Demokratie auch stärken."

Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen

In der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Moderation von ORF-Journalistin Nadja Mader ging es unter anderem um die Frage, ob die Pflicht zu Klarnamen in Diskussionsforen etwas bewirken könnte. Lisa Stadler, Social-Media-Managerin und seit acht Jahren bei der Standard.at, bezweifelt das stark, vermutlich würde es nur vorübergehend zu einer Verbesserung der Diskussionskultur kommen. Ein wesentlicher Punkt ist für sie die Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen, hier sieht sie zum Teil noch beträchtliche Defizite.

Auch Richard Schmitt, Chefredakteur von oe24.at und oe24-TV, hält es für wesentlich, jungen Menschen beizubringen, wie man Fakes, Manipulationen und Echokammern erkennen kann. Er staune immer wieder über das Argument, "das ist auf Facebook gestanden". Zudem sieht er die Politik in der Verantwortung, was Selbstkontrolle betrifft: Auf den Plattformen seien auch viele von den Parteien beauftragte "Cheerleader" unterwegs, um als Meinungsmacher "einzuheizen". Unverständlich ist für Schmitt auch, dass für Plattform-Betreiber, anders als für Medienhäuser, keine Regeln gelten.

Gerald Heidegger, Leiter der Redaktion von ORF.at, warb für einen gemeinsamen "Player" für Inhalte heimischer Medien als Gegengewicht zu den internationalen Internetgiganten. Das müsse kein Plattform, sondern könne auch ein Modul sein, über das man verschiedene Informationsangebote, z.B. zum Coronavirus, erreichen könne. Dazu brauche es ein neues ORF- und Mediengesetz.

Flaggenfarben der EU neu komponiert

Die Veranstaltung fand im Zentrum des demokratischen Parlamentarismus – dem aktuellen Plenarsaal des Nationalrats in der Hofburg – statt. Eine farbliche Komposition hinter dem Präsidium, gestaltet von Alexander Kader, repräsentierte die demokratischen Meilensteine der Republik, indem die Flaggenfarben der EU-Mitgliedsstaaten neu komponiert worden waren und eine eigenständige Flagge bildeten. Ciara Moser und Stephanie Weninger in Kooperation mit der "mdw"-Universität für Musik und darstellende Kunst Wien begleiteten den Abend musikalisch. Sie interpretierten mit Bass und Klavier Werke aus der Zeit der 1930-Jahre und 1940-Jahre von Duke Ellington. Nadja Mader führte durch den von Giuseppe Rizzo konzipierten Abend.

Als hochrangige Gäste konnte Nationalratspräsident Sobotka unter anderem Bundesratspräsident Robert Seeber, den ehemaligen Nationalratspräsidenten Andreas Khol, den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs a. D. Ludwig Adamovich, die Präsidentin des Rechnungshofs Margit Kraker, Bundeskanzlerin a.D. Brigitte Bierlein, ÖVP-Klubobmann August Wöginger, Mitglieder des diplomatischen Corps sowie aktive und ehemalige Abgeordnete begrüßen.

Die Ereignisse des 4. März 1933

Am 4. März 1933 wurde das Ende der parlamentarischen Demokratie eingeläutet. Die ohnehin schon angespannte Situation der noch jungen Demokratie – die Regierungskoalition hatte nur eine Stimme Mehrheit – eskalierte bei einer Abstimmung im Nationalrat. Nach einer Abstimmung entbrannten Diskussionen um Formalfehler. Die Nationalratspräsidenten Karl Renner von der Sozialdemokratischen Partei, Rudolf Ramek von den Christlich-Sozialen und Josef Straffner von der Großdeutschen Volkspartei traten nacheinander zurück, um selbst mitstimmen zu können – die Präsidenten waren laut damaliger Geschäftsordnung nicht stimmberechtigt. Da ein Nationalrat ohne Präsidium nicht vorgesehen war, gab es für diesen Fall keine Regelungen und die Sitzung konnte formal nicht geschlossen werden. Der Nationalrat wollte am 15. März 1933 erneut zusammentreten, um die Sitzung fortzusetzen, wurde aber durch Einschreiten der Polizei im Auftrag von Bundeskanzler Dollfuß mit Zustimmung von Bundespräsident Miklas daran gehindert. Das Parlament war somit ausgeschaltet, die Demokratie beendet. 

In der Frage der Zukunft der Demokratie spielt die junge Generation eine entscheidende Rolle. Mit der Frage, wie sie ihre Rolle erlebt und gestaltet, insbesondere im Kontext sozialer Medien, beschäftigt sich ein Teil der künstlerischen Ausstellung am Heldenplatz mit dem Thema "25 Jahre Österreich in der Europäischen Union" die noch bis Jahresende 2020 zu sehen ist. (Schluss) gun/gs

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Rückschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie auf der Website des Parlaments. Die Veranstaltung wurde auch aufgezeichnet und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.