Parlamentskorrespondenz Nr. 420 vom 05.05.2020

Sonderpräsidialsitzung des Nationalrats und des Bundesrats zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus

Im Gedenken an 75 Jahre Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen

Wien (PK) – "Erst wenn wir alle zu Kämpferinnen und Kämpfern gegen Antisemitismus geworden sind, kann diese Geißel der Menschheit überwunden werden", sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka heute bei einer gemeinsamen Sondersitzung der Präsidialkonferenzen des Nationalrats und des Bundesrats im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Sobotka und Bundesratspräsident Robert Seeber hatten anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus zu der Sonderpräsidialsitzung in das Dachfoyer der Hofburg eingeladen. Den aktuellen Empfehlungen der Bundesregierung folgend und zur Minimierung des Ansteckungsrisikos mit COVID-19, wurde die gemeinsame Sondersitzung der Präsidialkonferenzen des Nationalrats und des Bundesrats im kleinen Kreis abgehalten und ein moderiertes Gespräch vorab aufgezeichnet.

Sobotka: Gedenken in Demut und Scham allen Opfern des nationalsozialistischen Irrsinns

"75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers gedenkt das Land in Demut und Scham allen Opfern, Toten und gepeinigten Überlebenden des nationalsozialistischen Irrsinns", sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Aus seiner Sicht forme dieses Gedenken die Gewissheit, um Rassenwahn in Österreich keinen Platz zu lassen.

Der Nationalratspräsident zeigte sich in Anbetracht der außergewöhnlichen Zeiten der österreichischen Gesellschaft gegenüber dankbar, die in ihren Grundfesten an Rechtsstaatlichkeit und Solidarität  festhalte. Das Konzentrationslager Mauthausen stehe im düsteren Gegenteil zu unserer heutigen Gesellschaft. Sobotka betonte das Privileg und die Verantwortung jener Generationen, die aus persönlicher Begegnung mit Überlebenden die Geschichte am Leben erhalten und an nachfolgende Generationen weitergeben müssten.

Seeber: KZ-Gräueltaten des NS-Terrors nicht verblassen lassen

Bundesratspräsident Robert Seeber verwies auf die durch das Coronavirus eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Bevölkerung. Bezugnehmend auf kürzlich stattgefundene Demonstrationen gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen der Regierung, warnte er vor Vergleichen Demonstrierender, die sich als Opfer "wie Juden im Faschismus" bezeichneten. Dieser Verharmlosung des NS-Terrors müsse ebenso entgegengetreten werden, wie den Aufrufen zu Gewalt oder dem Säen von Hass und Zwietracht.

Seeber erinnerte an das millionenfach ausgelöste Leid durch die NS-Schreckensherrschaft und rief dazu auf, die Erinnerung an diese Gräueltaten nicht verblassen zu lassen.

Diskussion über Judenhass, erstarkte Nationalstaaten und veränderten Antisemitismus

Per Video wurde ein in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen aufgezeichnetes Gespräch eingespielt, an dem die Leiterin des Mauthausen Memorials Barbara Glück, die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich Hannah Lessing, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch und der Primarius für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Schriftsteller Paulus Hochgatterer teilnahmen. Moderiert wurde das Gespräch von ORF-Redakteurin Rebekka Salzer

Das Gespräch drehte sich unter anderem um die Fragen, inwieweit Krisenzeiten verstärkten Judenhass oder das Erstarken der Nationalstaaten hervorrufen und wie sich Antisemitismus über die Jahre veränderte.

Laut Barbara Glück von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen widme man sich wegen der Coronakrise vermehrt dem digitalen Gedenken und wolle damit Menschen erreichen, die nicht nach Mauthausen kommen können. Die Auseinandersetzung im Internet könne aus ihrer Sicht den Besuch des historischen Orts jedoch nicht ersetzen. In der Gedenkstätte gehe man Glück zufolge der Frage auf den Grund, wie es passieren konnte, dass in einer vermeintlich zivilisierten Gesellschaft Millionen Menschen ermordet wurden.

Für die Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing ist Demokratie extrem verletzlich. Aus diesem Grund müsse daran erinnert werden, wie schnell Demokratien unsolidarisch werden und sich Hass und Feindlichkeit entwickeln können. Aus ihrer Sicht habe sich Antisemitismus in den vergangenen Jahrzehnten verändert und verstecke sich heute oftmals hinter Kritik am Staat Israel. Durch das Ableben der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen käme es zu einer Verlagerung in Richtung der Orte der Erinnerung, die in Zukunft stärker bespielt werden sollten.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch zog Parallelen zur Weltwirtschaftskrise von 1929/1930. Dabei zeigte er sich davon überzeugt, dass die Europäische Union, die Vereinten Nationen und nicht zuletzt die demokratischen Staaten Europas die besten Garanten seien, dass sich die Geschichte nicht wiederholen würde. Er erinnerte auch daran, dass Judenhass nicht mit dem Holocaust, sondern viel früher mit Hassreden begonnen habe. Deutsch kritisierte die Möglichkeit, sich im Internet rassistisch oder antisemitisch äußern zu können, ohne Folgen befürchten zu müssen.

Der Psychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer zeigte sich besorgt über das Erstarken der Nationalstaaten und den Rückzug hinter die eigenen Landesgrenzen. Aus seiner Sicht werden sich die zwischenstaatlichen Beziehungen nach der Coronakrise verändert haben. Aus seiner Sicht sind jene, die keine persönliche Schuld tragen, aufgerufen, die Geschichte weiterzuerzählen. (Schluss) sch

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung und dem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.

Die Gedenkveranstaltung ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.