Parlamentskorrespondenz Nr. 169 vom 24.02.2022

Nationalrat: Bundeskanzler Nehammer und Vizekanzker Kogler verurteilen russische Angriffe auf die Ukraine

ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS sprechen sich in gemeinsamer Entschließung für eine Waffenruhe und Rückkehr zum Verhandlungstisch aus

Wien (PK) – In ihren Erklärungen im Nationalrat verurteilten Bundeskanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler die begonnenen Angriffe Russlands auf die Ukraine. Nehammer sprach von "Krieg in Europa", man habe gehofft, dass so eine Situation in Europa nie wieder Eintritt. Für Österreich gelte jedoch der Grundsatz, dass "die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren" zähle. Laut Kogler hat der russische Präsident mit den Angriffen die Friedensordnung in Europa in Frage gestellt. "Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine". Beide sprachen sich für ein weiteres koordiniertes Vorgehen im Rahmen der EU aus.

Unter den Fraktionen herrschte weitgehende Einigkeit bei der Beurteilung der Ereignisse in der Ukraine. Die FPÖ verurteilte die russische Intervention, sprach sich jedoch gegen eine zu einseitige Perspektive auf den Konflikt aus.

In einem gemeinsamen Entschließungsantrag bekundeten ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS Solidarität mit der Ukraine und forderten die Rückkehr zu Verhandlungen. Weitere Anträge der Opposition blieben hingegen in der Minderheit.

Bundeskanzler Nehammer: In Europa herrscht Krieg

"Wir sind mit einer Situation konfrontiert, von der wir gehofft haben, dass sie in Europa nie wieder Eintritt", eröffnete Bundeskanzler Karl Nehammer seine Erklärung zum Angriff Russlands auf die Ukraine. "Faktum ist, dass in Europa Krieg herrscht", so Nehmammer. Obwohl die Geschichte Österreichs eng mit Russland verbunden sei und man auch Russland zu verdanken habe, vom Naziterror befreit worden zu sein, lehne man den eingeschlagenen Weg zutiefst ab. Für Österreich gelte der Grundsatz, dass "die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren" zähle, unterstrich der Bundeskanzler. Nehammer berichtete zudem von einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten während der Nationalratssitzung. Dieser habe von einer höchst dramatischen Situation in seinem Land berichtet und um humanitäre sowie militärische Unterstützung geboten.

Der Kanzler begrüßte das gemeinschaftliche Vorgehen der EU, gerade in Zeiten der Krise sei es wichtig, "mit einer Stimme zu sprechen". Die EU habe durch die Sanktionen klar gemacht, der Aggression Russlands Einhalt zu gebieten. Zur Neutralität Österreichs hielt der Bundeskanzler fest, dass diese immer eine "klar militärische Neutralität" gewesen sei. Österreich könne sich nicht hinter der Neutralität "verstecken" und müsse klar Stellung beziehen. Trotz der aktuellen Entwicklungen sei die Notwendigkeit des Dialogs von großer Bedeutung, in diesem Sinne werde Österreich auch weiterhin als Brückenbauer und Vermittler agieren. Es sei wichtig, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Es zeige sich jedoch, "dass die militärische Landesverteidigung eine zentrale Rolle für die Sicherheitsarchitektur Österreichs spielen muss", so der Bundeskanzler.

Was die Auswirkungen auf Österreich betrifft, habe man mit der Bildung des Krisenkabinetts Vorsorge getroffen und etwa die Evakuierung von ÖsterreicherInnen aus der Ukraine eingeleitet. Zur Frage der Energieversorgung, betonte Nehammer, dass die Versorgungssicherheit mit Gas auch bei einer "Null-Lieferung" Russlands bis April gesichert sei. Derzeit brauche Österreich russisches Gas, "ob das für die Zukunft so schlau ist, gilt es zu hinterfragen".

"Die Ukraine ist ein europäisches Land", hielt der Kanzler zur Frage möglicher Fluchtbewegungen fest. "Österreich hat bereits bei vorrangegangenen Krisen bewiesen, dass Nachbarschaftshilfe selbstverständlich ist und Menschlichkeit im Vordergrund steht". Das Innenministerium habe dazu bereits Vorsorge getroffen, zudem werde man auch die Nachbarländer der Ukraine bei Fluchtbewegungen unterstützen.

Vizekanzler Kogler: Angriff Russlands ist auf das Schärfste zu verurteilen

"Der 24. Februar 2022 wird in die Geschichte eingehen", erklärte Vizekanzler Werner Kogler. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe keine Rechtfertigung und sei "auf das Schärfste" zu verurteilen. "Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine", so Kogler. Der russische Präsident habe mit den Angriffen die Friedensordnung in Europa in Frage gestellt. Putin verdrehe mit seiner "Rhetorik eines Angriffskriegs aus Eigenschutz" die Wahrheit. Dies müsse man so benennen und zurückweisen.

Österreich werde die weiteren "massiven Maßnahmen" der EU mitentwickeln und mittragen, denn es gelte, alle Mittel der Politik und der Diplomatie zu ergreifen, "um uns entgegenzustellen", unterstrich der Vizekanzler. Auch das neutrale Österreich könne einem "derartigen Aggressionskrieg nicht zuschauen", die Neutralität sei keine "tatenlose Ideologie". Österreich bleibe aber den Prinzipien von Freiheit, Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie treu. Auch Kogler betonte, dass die Ukraine ein europäisches Nachbarland sei. Bei möglichen Fluchtbewegungen werde sich Österreich als "guter und solidarischer Nachbar" erweisen. Was die Energieabhängigkeit von Russland betrifft, müsse man so rasch als möglich die Diversifizierung steigern. Dies kann laut Kogler schneller erreicht werden, "wenn wir vor allem in Richtung Erneuerbare diversifizieren".

ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS bekunden Solidarität mit Ukraine

In einem gemeinsamen Entschließungsantrag sprachen sich ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS für eine Waffenruhe, die Einhaltung des Völkerrechts und die Rückkehr zu einer Verhandlungslösung aus. Zudem unterstützten die Abgeordneten die Verhängung zusätzlicher Sanktionen auf EU-Ebene und eine geeinte entschlossene EU-Positionierung. Die Bundesregierung solle ihre Solidarität mit der Ukraine deutlich bekunden und weiterhin humanitäre Hilfe bereitstellen.

ÖVP: Klares Bekenntnis Österreichs als Bestandteil der westlichen Wertegemeinschaft

In diesen Tagen benötige es eine starke EU, äußerte sich Reinhold Lopatka (ÖVP) überzeugt. Neutralität dürfe angesichts des "Aggressors Putin" nicht Wegsehen bedeuten, weshalb nun "drastische Maßnahmen" zu ergreifen seien. Der russische Präsident habe eine rote Linie überschritten und müsse nun auf den Widerstand Europas stoßen. Gleichzeitig müsse jedoch alles unternommen werden, damit alle Parteien an den Verhandlungstisch zurückkehren und eine Waffenruhe möglich werde. Auch Martin Engelberg (ÖVP) wandte sich gegen ein aus seiner Sicht falsches Verständnis der Neutralität als Neutralismus. Die Wahrheit liege nicht immer in der Mitte und es gehe um ein klares Bekenntnis Österreichs als integraler Bestandteil der westlichen Wertegemeinschaft. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland seien wichtig, dies könne aber am heutigen Tag nicht im Vordergrund stehen, meinte Karlheinz Kopf (ÖVP) und trat dafür ein, dass die Folgen der Sanktionen zwischen Europa und den USA ausgewogen sein müssen.

SPÖ: Volle Solidarität für die Ukraine

In dieser "dunklen Stunde" sei es notwendig, als EurpäerInnen zusammenzustehen und geeint vorzugehen, nahm SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner Bezug auf die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. Die österreichische Neutralität sei unumstößlich, dürfe aber nicht als Gleichgültigkeit missverstanden werden. Europa müsse jetzt eine klare Antwort geben und weitere Sanktionen gegen Russland verhängen, ohne jedoch das Ziel, die Rückkehr zu Dialog und Diplomatie, aus den Augen zu verlieren. Die volle Solidarität Österreichs habe der ukrainischen Bevölkerung zu gelten, erklärte die Parteivorsitzende der SPÖ und forderte die sofortige Verständigung der EU und der Bundesregierung auf eine wirksame humanitäre Hilfe. Ein konventioneller Krieg auf europäischem Boden müsse mit allen Mitteln verhindert werden, ergänzte ihr Fraktionskollege Robert Laimer und sprach sich für die Einrichtung eines multifunktionalen Krisenlagezentrums im Bundeskanzleramt aus, um für eine wirksame Reaktionsfähigkeit in Krisenfällen zu sorgen. Angesichts niedriger Energiereserven trat Harald Troch (SPÖ) mittels Entschließungsantrag, der in der Minderheit blieb, für die Absicherung der Energieversorgung, insbesondere der Erdgasversorgung, ein.

FPÖ gegen eine eindimensionale und einseitige Perspektive

Herbert Kickl (FPÖ) verurteilte ebenfalls die russischen Aggressionen in der Ukraine, gab jedoch auch ein "fehlerhaftes Verhalten der NATO", das zu dieser Eskalation beigetragen habe, zu bedenken. Er ging auf die Genese des lange schwelenden Konfliktes ein und illustrierte das "gegenseitige Aufschaukeln" beider Parteien. Deshalb kritisierte er die aus seiner Sicht unangebrachte "Eindimensionalität und Einseitigkeit" der Haltung der Bundesregierung und plädierte dafür, die österreichische Neutralität ernst zu nehmen. Denn nur aus dieser Position könne Österreich auch wirkungsvoll als Vermittler auftreten. Eine Rolle, die der Bundesparteiobmann der Freiheitlichen auch für die Ukraine als sinnvoll erachtet.

Zwei von der FPÖ im Zuge der Debatte eingebrachte Entschließungsanträge blieben in der Minderheit. So trat FPÖ-Abgeordneter Axel Kassegger für eine äquidistante und neutrale Außenpolitik sowie eine vermittelnde Rolle ein. Zudem lehnte er die Verhängung von Sanktionen ab, da diese nicht den Konflikt lösen sondern vielmehr die Lebenserhaltungskosten in Österreich weiter erhöhen würden. Der Ukraine-Konflikt müsse für die Bundesregierung ein Warnsignal für die schnelle Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit des österreichischen Bundesheeres sein, appellierte FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Eugen Bösch und forderte mittels Antrag ein sofortiges Sonderinvestitionspaket von 1 Mrd. € sowie eine Erhöhung des Heeresbudgets um 1 Mrd. € ab 2023.

Grüne: Ukrainische Zivilgesellschaft nicht vergessen

Angesichts der Lage in der Ukraine sei die Haltung Kickls zynisch und eine Schande, zeigte sich Ewa Ernst Dziedzic (Grüne) empört. Im Rekurs auf ihre eigene Biographie betonte sie die Wichtigkeit einer stabilen demokratischen Ordnung, um "Despoten wie Putin" entgegentreten zu können. Dieser würde die europäische Sicherheitsinfrastruktur, wie sie seit 1991 errichtet wurde, nun mutwillig zerstören, weshalb es keinen Platz für Relativierungen dieser aggressiven Handlungen geben dürfe. Vor allem die ukrainische Zivilgesellschaft, die nun massiv bedroht sei, dürfe nun nicht alleine gelassen werden. Wer Neutralität so versteht, dass man keine Position zwischen Kindern, auf die geschossen wird, und denen, die auf sie schießen, bezieht, der sei nicht neutral, sondern feig, meinte Michel Reimon (Grüne) und setzte sich für eine offensive Verbreitung der Demokratie ein.

NEOS: Schluss mit der Naivität

Die Parteivorsitzende der NEOS Beate Meinl-Reisinger bezeichnete die russische Intervention als Angriff auf die europäische Werteordnung und die gesamte westliche Welt. Da es um nichts weniger gehe, als die Sicherheit Europas und Österreichs, könne es in dieser Frage keine Neutralität geben. Der EU fehle es an Entschlossenheit und "Verhandlungsmasse", weshalb nun zu beschließende Sanktionen für den Kreml deutlich spürbar sein müssen. Außerdem plädierte Meinl-Reisinger für ein "Ende der Naivität" und die Schaffung einer europäischen Verteidigungsinfrastruktur, um künftig selbstbewusst und wehrhaft für die eigenen Interessen eintreten zu können.

Die Bundesregierung solle das Vermögen von sanktionierten Personen in Österreich einfrieren, forderten die NEOS-Abgeordneten Nikolaus Scherak und Helmut Brandstätter mittels Entschließungsantrag, der in der Minderheit blieb. Außerdem sollen aus ihrer Sicht alle auf europäischer Ebene diskutierten Sanktionen, wie die Abtrennung Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr, verhängt werden. (Fortsetzung Nationalrat) med/wit/pst

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.