Parlamentskorrespondenz Nr. 307 vom 23.03.2022

Nationalrat: Zugang zur Staatsbürgerschaft für Nachkommen von NS-Opfern wird erweitert

Auch Fristerweiterung zum Erwerb der Staatsbürgerschaft für junge staatenlose Menschen beschlossen

Wien (PK) – Grünes Licht gaben die Abgeordneten heute im Nationalrat für die Erweiterungen der Regelungen zum Erwerb der Staatsbürgerschaft für die Nachkommen von NS-Verfolgten. Damit wird den Erkenntnissen aus der Evaluierung der bisherigen Bestimmungen nachgekommen und der Kreis der AdressatInnen ausgeweitet. Mehrheitlich beschlossen wurde auch eine Fristerweiterung zum Erwerb der Staatsbürgerschaft für junge staatenlose Menschen.

Erweiterungen zum Erwerb der Staatsbürgerschaft für NS-Verfolgte und deren Nachkommen

In Österreich gelten im Staatsbürgerschaftsrecht Sondererwerbstatbestände für die Verfolgten des Nationalsozialismus sowie deren Angehörigen. Damit können Staatsangehörige von Nachfolgestaaten der ehemaligen Monarchie, die aufgrund von erlittenen oder befürchteten NS-Verfolgungen ins Ausland geflüchtet sind, die Staatsbürgerschaft unter erleichterten Bedingungen erwerben. 2019 wurde zusätzlich ein Sondererwerbstatbestand für deren Nachkommen eingeführt. Damit können auch jene die Staatsbürgerschaft erwerben, bei denen anzunehmen ist, dass sie ohne das erlittene Unrecht ihrer Vorfahren heute im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft wären. Nach dem Inkrafttreten des Sondererwerbstatbestandes haben sich allerdings im Vollzug Fälle gezeigt, die durch die geltenden Regelungen nicht erfasst waren.

Vor diesem Hintergrund wurde Ende 2021 ein Initiativantrag zur Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes eingebracht, der mit den Erkenntnissen einer Ausschussbegutachtung im Innenausschuss ergänzt wurde. Mit den heute im Nationalrat beschlossenen Regelungen werden die Sondererwerbstatbestände für einen breiteren Kreis an Personen gelten. So werden unter anderem jene Fälle erfasst, bei denen die Vorfahren vom NS-Regime ermordet oder ins Ausland deportiert wurden oder die Vorfahren Selbstmord begangen haben, um der Verfolgung zu entgehen.

Zusätzlich wurde in diesem Zusammenhang ein im Ausschuss von ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen eingebrachter Entschließungsantrag mehrheitlich beschlossen. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die Mehrkosten, die durch den Vollzug dieser neuen Bestimmungen entstehen, bei den Verhandlungen über den Finanzausgleich für die Jahre ab 2024 zu berücksichtigen. Außerdem wurde ein Entschließungsantrag aller fünf Fraktionen einstimmig beschlossen. Darin fordern die Abgeordneten die Bundesregierung auf, dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten zusätzliche Personal- sowie Finanzressourcen zur Verfügung zu stellen, damit die Vertretungsbehörden die novellierte Regelung kundenfreundlich, professionell und rasch durchführen können.

Der heutige Beschluss sei ein starkes Zeichen des Parlamentarismus und der gemeinsamen Arbeit, hob Martin Engelberg (ÖVP) den Beschluss über Parteigrenzen hinweg hervor. Das Gesetz habe international Beachtung erfahren und sei als Zeichen eines neuen Österreichs gesehen worden. Es sei ein Stück Identität und Verbundenheit für jene Menschen, die die Staatsangehörigkeit erhalten, meinte auch Eva-Maria Himmelbauer(ÖVP).

Mit der Gesetzesänderung würden die Lücken der bisherigen Regelungen repariert, begrüßte Sabine Schatz (SPÖ) den raschen und konstruktiven Prozess. Es brauche personelle und finanzielle Ressourcen, damit die Anträge rasch abgewickelt werden können und kein Rückstau entstehe, befürwortete Schatz die beiden Entschließungsanträge.

Den wertschätzenden, konstruktiven Prozess über Parteigrenzen hinweg, hob auch Hannes Amesbauer (FPÖ) hervor. Es sei ein Zeichen und eine Geste gegenüber jenen Menschen, die ÖsterreicherInnen seien und ihre Staatsbürgerschaft wieder erlangen möchten.

Ein Antrag aller Parteien wäre in der Geschichte zu diesem Thema nicht immer möglich gewesen, begrüßte Eva Blimlinger (Grüne) die nunmehrige Zusammenarbeit und Zustimmung aller Fraktionen. Mit der Novelle werde der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert und präzisiert. Zudem wies Blimlinger auf die Regelungen zur Doppelstaatsbürgerschaft hin.

Für Stephanie Krisper (NEOS) war der Antrag der vier anderen Fraktionen zur Bereitstellung der finanziellen Mitteln im Finanzausgleich zu vage. Aus diesem Grund brachte die Abgeordnete einen weiteren Entschließungsantrag ein, der aber in der Minderheit blieb. Darin hatte die Abgeordnete den Innenminister aufgefordert, den Mehraufwand der Landesbehörden anhand konkreter Kriterien festzustellen und zeitnah einen finanziellen Ausgleich dafür vorzunehmen. Zudem kritisierte Krisper die Einschränkungen der Doppelstaatsbürgerschaft. Durch ein Verlangen auf getrennte Abstimmung machte sie klar, dass die NEOS diesem Teil des Antrags nicht zustimmen würden. Die restlichen Passagen des Antrags wurden einstimmig angenommen.

Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes ermöglicht Staatenlosen, die Staatsbürgerschaft innerhalb von drei Jahren nach Volljährigkeit anzunehmen

Mit einem gemeinsamen Initiativantrag von ÖVP und Grünen wird eine weitere Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes vollzogen. Damit erhalten Staatenlose künftig die Staatsbürgerschaft, wenn sie diese innerhalb von drei Jahren (bisher zwei) nach dem Eintritt der Volljährigkeit beantragen. Damit erfüllt Österreich das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit, heißt es in der Begründung. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen.

Die Staatsbürgerschaft schaffe Nähe und Identität, aber auch Rechte und entscheide über die Teilhabe, meinte Nurten Yılmaz (SPÖ) und plädierte angesichts sinkender Zahlen im Staatsbürgerschaftserwerb trotz wachsender Bevölkerung für ein "modernes integratives" Staatsbürgerschaftsrecht.

Die letzten beiden Krisenjahren hätten gezeigt, wie wertvoll die Staatsbürgerschaft sei, betonte Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Es seien zu viele Menschen staatenlos. Die vorliegende Änderung sei ein erster Schritt dagegen, viele weitere seien aber nötig, meinte Prammer. (Fortsetzung Nationalrat) pst

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