Parlamentskorrespondenz Nr. 491 vom 11.05.2022

Simon-Wiesenthal-Preis geht an Zeitzeug:innen Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfeifer und Liliana Segre

Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus ebenfalls geehrt

Wien (PK) – Die vier Zeitzeug:innen Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfeifer und Liliana Segre wurden mit dem Simon-Wiesenthal-Preis für ihr Engagement gegen Antisemitismus und für Aufklärung über den Holocaust ausgezeichnet. Die Nebenpreise gingen an die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus.

Nationalratspräsident und Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds Wolfgang Sobotka betonte die Bedeutung von zivilgesellschaftlichem Engagement bei der Preisverleihung heute Abend im Parlament in der Hofburg. Es müsse allen Demokratinnen und Demokraten ein Anliegen sein, gegen Antisemitismus aufzutreten. Der Preis wurde zum ersten Mal im Andenken an den Architekten, Publizisten und Schriftsteller Simon Wiesenthal vergeben.

Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus nach Wiesenthals Vorbild

Historiker Gerhard Botz unterstrich in seinen einleitenden Worten zur Person Simon Wiesenthal dessen ungebrochene Energie, mit der er sich nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen in die Aufgabe stürzte, den Überlebenden zu helfen und die Nazi-Verbrecher:innen aufzuspüren. Durch seine Suche nach dem SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann erlangte Wiesenthal breite Bekanntheit. Den von ihm 1947 in Linz gegründeten Bund Jüdischer Verfolgter des Naziregimes ließ er 1961 in Wien als Dokumentationszentrum neu aufleben und schuf damit eine Institution, die mit innerstaatlichen und außenpolitischen Stellen im Ausland zusammenarbeitete. In Österreich jedoch stieß Wiesenthal lange auf taube Ohren und Ablehnung. Für Gerhard Botz war Simon Wiesenthal ein "wahrhaft echter Österreicher, ja ein großer österreichischer Weltbürger".

Der Simon-Wiesenthal-Preis ist mit insgesamt 30.000 € dotiert und wird als Zeichen der besonderen historischen Verantwortung Österreichs künftig jährlich vergeben. Zuständig ist der beim österreichischen Parlament eingerichtete Nationalfonds der Republik für Opfer des Nationalsozialismus. Im Gespräch mit Moderatorin Rebekka Salzer erläuterten die Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und der Israelitischen Religionsgesellschaft Österreich Oskar Deutsch die Hintergründe des Preises. Die Idee sei bei einer Reise des Nationalratspräsidenten nach Israel entstanden, wo dieser die Enkelin von Simon Wiesenthal kennengelernt habe, erzählte Hannah Lessing. Sie zeigte sich besonders erfreut über die hohe Anzahl an Bewerbungen. Die 284 Einreichungen aus über 30 Ländern seien Beweis für das extrem hohe Interesse im In- und Ausland. Der Preis, der für Lessing das Vermächtnis der Opfer des Holocaust weitertrage, könne auch international als Best-Practice-Beispiel dienen. 

Die Auswahl der Preisträger:innen sei nicht einfach gewesen, berichtete Oskar Deutsch, der auch Mitglied der Jury ist. Besonders auszeichnungswürdig sei für ihn eine Person oder eine Initiative gewesen, wenn sich diese über viele Jahre hinweg engagiert habe oder sehr viele Menschen erreicht habe. Die Menge und die Vielfalt der Bewerbungen mache für Deutsch sichtbar, dass sich viele gegen Antisemitismus einsetzen. Insofern könne der Preis einen positiven Einfluss haben. Dennoch sei der Kampf gegen Antisemitismus nie zu Ende. Jede und jeder Einzelne müsse einen Beitrag leisten, lautete sein Appell.

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka betonte in seiner Rede die Bedeutung von zivilgesellschaftlichem Engagement. 77 Jahre nach der Shoah trete Antisemitismus insbesondere im Internet wieder offener in Erscheinung. Es müsse allen Demokratinnen und Demokraten ein Anliegen sein, dagegen aufzutreten. Denn solange es nicht Zivilcourage auf jedem Fußballfeld, in jeder Gaststube und in jedem Gespräch gebe, sobald antisemitische Äußerungen oder Taten erkannt werden, könne diese antidemokratische Haltung nicht bekämpft werden. Der Simon-Wiesenthal-Preis sei ins Leben gerufen worden, um Menschen für genau dieses zivilgesellschaftliche Engagement zu ehren. Mit dem Preis und seiner Namensgebung wolle man aber auch ein klares Zeichen für Simon Wiesenthal setzen, der gezeigt habe, wo Österreich bei der Aufarbeitung seiner Geschichte ansetzen müsse.

Hauptpreis für vier Zeitzeug:innen

Der Hauptpreis ging an Lily Ebert, Zwi Nigal, Karl Pfeifer und Liliana Segre und somit an alle vier nominierten Zeitzeug:innen gemeinsam. Die Jury will damit ihr Lebenswerk ehren, begründete die Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury und Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission Katharina von Schnurbein. Die Preisträger:innen kommen aus vier verschiedenen Ländern, erläuterte von Schnurbein, und hätten ihr Leben auf vielfältige Weise in den Dienst der Bildung und der Erinnerung an die Shoah gestellt. Sie sollen stellvertretend für alle Zeitzeug:innen heuer einmalig mit dem Hauptpreis gewürdigt werden.

Lily Ebert wurde 1923 in Ungarn geboren und überlebte das Konzentrationslager Auschwitz. Heute betreibt ihr Urenkel für sie einen TikTok-Account mit über 1,6 Millionen Follower:innen. Der 1923 in Wien geborene Zwi Nigal kämpfte unter anderem in der britischen Armee gegen Nazideutschland. Er hält heute Vorträge an Schulen in Österreich und Deutschland. Karl Pfeifer wurde 1928 in Baden bei Wien geboren und flüchtete vor den Nationalsozialisten nach Ungarn und Palästina. Er setzt sich in seiner journalistischen Arbeit gegen Antisemitismus ein. Liliana Segre stammt aus Mailand und wurde 1944 mit 13 Jahren nach Auschwitz deportiert. Bis heute ist sie als Zeitzeugin in Fernsehen, Theatern und Schulen sowie im italienischen Parlament aktiv.

Karl Pfeifer nahm den Preis stellvertretend für alle vier Zeitzeug:innen entgegen. Er erinnerte daran, dass er bei seiner Rückkehr nach Österreich vor 71 Jahren erkennen musste, dass der Judenhass nicht verschwunden war. Das Land sei heute ein anderes. Dass er heute hier stehe und den Preis entgegennehme, zeige, dass sich einiges verändert habe. "Mit Geduld und Verstand lassen sich Vorurteile und Judenhass zurückdrängen. Daran wollen wir gemeinsam weiter arbeiten", so Pfeifer. Die anderen Preisträger:innen drückten ihren Dank in einer Videobotschaft aus. Zwi Nigal bezeichnete es etwa als Genugtuung, dass seine Generation etwas geändert habe und Jüdinnen und Juden heute einen Ort hätten, an dem sie mit offenen Armen aufgenommen werden. Liliana Segre zeigte sich bewegt und stolz darüber, dass sie nach so vielen Jahren den Simon-Wiesenthal-Preis gewonnen hat.

Zentrale österreichische Forschungsstelle erhält Preis für Aufklärung über den Holocaust

Mit dem Simon-Wiesenthal-Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für Aufklärung über den Holocaust wurde die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz ausgezeichnet. Sie erfasst Akten der österreichischen Justiz zum Umgang mit den NS-Verbrechen und will damit zur Sicherung dieses Teils des europäischen Rechtskulturerbes beitragen. Damit sei ihre Arbeit ganz im Sinne von Wiesenthal und stehe auch ähnlichen Anfeindungen und Schwierigkeiten gegenüber, strich die Zeitgeschichte-Professorin Barbara Stelzl-Marx bei der Verleihung hervor.

Die unüberschaubare Anzahl an Gerichtsdokumenten aus der Nachkriegsjustiz gebe Auskunft über Verbrechen, Tatorte, Täter:innen und Opfer, legte Claudia Kuretsidis-Haider von der Zentralen österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz dar. Dieses verborgene Wissen wolle ihre Institution aufarbeiten und der Forschung sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Der Preis sei Motivation und Verpflichtung zugleich, die Arbeit im Sinne von Simon Wiesenthal weiterzuführen.

Mit RE.F.U.G.I.U.S und Zikaron BaSalon waren zwei weitere Initiativen, die sich dem Gedenken an den Holocaust widmen, in dieser Kategorie nominiert. Das Projekt RE.F.U.G.I.U.S. setzt sich für die Sichtbarmachung der Todesmärsche ungarischer Jüdinnen und Juden ein. Die soziale Initiative Zikaron BaSalon bietet eine persönliche Möglichkeit, zu gedenken und den Holocaust zu Hause zu thematisieren.

Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus mit Preis für Engagement gegen Antisemitismus ausgezeichnet

Der Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus ging an das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA). Die Initiative wurde 2008 von Levi Salomon initiiert und mit der Unterstützung von Lala Süsskind und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegründet. Neben Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit führt das JFDA ein unabhängiges Monitoring antisemitischer Vorfälle durch. Das JFDA trage zur Stärkung des demokratischen Staatswesens bei, fördere den interreligiösen und interkulturellen Austausch und helfe Verfolgten, betonte der Vizepräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses Ariel Muzicant, der den Preis überreichte.

Seine Initiative beobachte in erster Linie, sagte Levi Salomon in seiner Dankesrede. Viele der Ereignisse, die sie auf den Straßen miterlebten, seien äußerst besorgniserregend. Es gelte daher, auf verschiedene Phänomene aufmerksam zu machen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Das JFDA stelle deshalb didaktisches Material zur Verfügung und wende sich insbesondere an die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Ebenfalls in dieser Kategorie nominiert waren das Schwedische Komitee gegen Antisemitismus, das digitales Informations- und Vermittlungsmaterial für Schüler:innen und andere Zielgruppen erstellt, sowie Andreas Kahrs und Daniel Lörcher für ihre Erinnerungsarbeit beim deutschen Fußballclub Borussia Dortmund.

Die Ausschreibung für den Simon-Wiesenthal-Preis 2022 beginnt bereits am 12. Mai 2022. Details und Teilnahmebedingungen gibt es unter www.wiesenthalpreis.at. (Schluss) kar

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Rückschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie auf der Website des Parlaments.