Parlamentskorrespondenz Nr. 602 vom 02.06.2022

Bundesrat diskutiert EU-Richtlinienvorschlag zu einem Lieferkettengesetz

Viele positive Stimmen zu Sorgfaltspflicht von Unternehmen, lediglich FPÖ dagegen

Wien (PK) – Mit ihrem Richtlinienvorschlag für Unternehmensregeln zur Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten (Lieferkettengesetz) zielt die EU-Kommission auf die Einhaltung unternehmerischer Sorgfaltspflichten ab. Konkret geht es darum, verbindliche Sorgfaltspflichten für große Unternehmen – mit mehr als 150 Mio. € Nettoumsatz und mehr als 500 Beschäftigten - zu verankern, um sicherzustellen, dass die an der Lieferkette beteiligten Unternehmen Umwelt- und Klimaschutz sowie Menschen- und Arbeitsrechte auch einhalten. Verstöße gegen die Regeln sollen Sanktionen nach sich ziehen, Unternehmen sollen auch haftbar gemacht werden können und Opfern will man den Zugang zur Geltendmachung ihrer Rechte erleichtern. Auch für die Konsumenent:innen wird mehr Transparenz geschaffen. Der Vorschlag muss nun im Rat und im Europäischen Parlament verhandelt werden.

In der heutigen Aktuellen Stunde des Bundesrats, die von den Grünen unter den Titel "Menschenrechts- und Umweltverbrechen in Lieferketten: Verantwortlichkeit für Konzerne im Europäischen Zivil- und Strafrecht" gestellt wurde, wurde der Vorstoß der EU-Kommission größtenteils begrüßt. Für die Grünen, die SPÖ und die NEOS bedarf es jedoch noch einiger Verbesserungen und Präzisierungen. Die ÖVP-Mandatar:innen, die sich grundsätzlich ebenfalls für den Richtlinienvorschlag aussprachen, forderten jedoch bei der legistischen Umsetzung Hausverstand sowie Praktikabilität und Verhältnismäßigkeit ein. Lediglich die Freiheitlichen wandten sich gegen das sogenannten Lieferkettengesetz, da sie überbordende Bürokratie mit wenig Nutzen befürchten.

Zadić: Die Zeit drängt für eine einheitliche europäische Lösung

"Die Zeit drängt", sagte Justizministerin Alma Zadić und bewertete die EU-Initiative als richtig und notwendig. Die bisherige Freiwilligkeit habe versagt, unwürdige Produktionsbedingungen würden zu menschlichen und ökologischen Katastrophen führen. In der derzeitigen Wertschöpfungskette laufe vieles schief.

Als außerordentlich wichtig bezeichnete die Justizministerin eine einheitliche Regelung auf europäischer Ebene, da eine nationale Fragmentierung zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Nur ein gemeinsames europäisches Regelwerk mit effektiven Verbesserungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit unabhängigen und verbindlichen Kontrollen sowie Entschädigungs- und Haftungsbestimmungen werde Wettbewerbsgleichheit sicherstellen, so Zadić. Die Ministerin zeigte sich zuversichtlich im Hinblick auf die kommenden Verhandlungen auf EU-Ebene, räumte aber ein, dass der Richtlinienvorschlag noch einige Präzisierungen brauchen werde. Österreich werde eine einheitliche Position entwickeln, versicherte sie, die bei ihr eingegangenen Stellungnahmen würden eingearbeitet.

Grüne: Verpflichtung zu nachhaltigem und menschenwürdigem Produzieren bringt faire Wettbewerbsbedingungen

Seitens der Grünen wurde die EU-Initiative vollinhaltlich unterstützt. Elisabeth Kittl (Grüne/W) prangerte scharf die Menschenrechtsverletzungen, die miserablen arbeitsrechtlichen Bedingungen und die Umweltzerstörung an, auf deren Basis billige Produkte nach Europa kommen. Mit dem geplanten Lieferkettengesetz verbindet sie die Hoffnung auf faire Wettbewerbsbedingungen und Rechtssicherheit. Unternehmen würden dazu gebracht werden, nachhaltig und verantwortungsvoll zu produzieren, indem man den Weg für ein umweltgerechtes, die Menschen- und Arbeitsrechte wahrendes Wirtschaften bereitet und auch der Kinderarbeit Einhalt gebietet. Auch für die Energiewende, wofür man Materialien und Produkte aus fernen Ländern brauche, wolle man faire und sozial gerechte Bedingungen schaffen, ergänzte Adi Gross (Grüne/V).

Dem Argument, dass das zu viel Bürokratie bringen würde und höhere Arbeitskosten zu einer hohen Teuerung führen könnten, entgegnete Gross, dass beispielsweise bei Turnschuhen die Arbeitskosten bei lediglich 2,5% liegen. Das Lieferkettengesetz würde für Unternehmen zu Mehrkosten im Ausmaß von 0,005% führen, zitierte er eine Studie.

Den Grünen geht der Entwurf jedoch noch nicht weit genug. So kritisieren sie, dass nur große Unternehmen und nur etablierte Geschäftsbeziehungen vom Gesetz erfasst sein sollen. Sie fordern, die Regelungen auch auf frische Geschäftsbeziehungen auszuweiten und dass auch Gewerkschaften und Aktivist:innen den Aufsichtsbehörden Verstöße melden können. Wünschenswert sind nach Ansicht der Grünen auch klarere Haftungsregeln.

ÖVP für Hausverstand, Praktikabilität und Verhältnismäßigkeit

Wir brauchen Regelungen mit Hausverstand, die auch praktikabel und verhältnismäßig sind, betonten Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) und Eduard Köck (ÖVP/N) seitens ihrer Fraktion. Aus ihrer Sicht ist es jedoch unabdingbar, vor allem auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie Köck dies unterstrich, hinzuschauen, zumal ein kleiner Teil unseres Lebensstandards darauf basiere. Ziel müsse es sein, dass weltweit kein Kind mehr ausgebeutet wird, sagte Eder-Gitschthaler. 160 Millionen Kinder seien von Kinderarbeit bedroht und die Zahl wachse. Man müsse aber darauf achten, dass für die Eltern Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden, um soziale und gesellschaftliche Verwerfungen zu vermeiden, betonte Köck.

Im Gegensatz zu den Grünen hielt es Köck für richtig, die Bestimmungen auf Großkonzerne zu beschränken. Er thematisierte auch die durch den Gesetzesvorstoß mögliche Teuerung und die Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Er warnte davor, dieser zu hohe Hürden aufzubürden, um zu verhindern, dass vermehrt landwirtschaftliche Produkte, weil diese dann billiger sind, vermehrt aus dem EU-Ausland bezogen werden. Er äußerte sich auch skeptisch im Hinblick auf überzogene Umweltmaßnahmen.

Eder-Gitschthaler plädierte zudem dafür, im Zusammenhang mit den geplanten Bestimmungen auch darüber nachzudenken, Produktionen wieder nach Europa und ins Inland zurückzuholen. Die Pandemie habe gezeigt, wie verletzlich das System ist. Sie  forderte vermehrte Investitionen in Innovation und Forschung.

SPÖ: Anstand und Wohlstand sind keine Gegensätze

Volle Zustimmung zum EU-Gesetzesvorschlag kam auch von der SPÖ. "Wir importieren und fördern Menschenrechtsverletzungen, wenn wir nicht den gesamten Entwicklungsprozess im Auge haben", meinte Elisabeth Grossmann (SPÖ/St), die, wie einige Vorredner:innen auch, die möglichen negativen Folgen für die betreffenden Arbeitnehmer:innen in den Produktions- und Verarbeitungsländern einräumte. Deshalb müsse man die Entwicklungszusammenarbeit stärken, damit Familien nicht vor dem Nichts stehen, sagte sie. Ihr Fraktionskollege Stefan Schennach (SPÖ/W) wies darauf hin, dass rund 420 Millionen Menschen, davon vorwiegend Frauen, Zwangsarbeit leisten und die Kinderarbeit wieder ein wachsendes Problem darstellt.

"Anstand und Wohlstand sind kein Gegensatz", unterstrich er und erinnerte an die hundert österreichischen Unternehmen, die sich auch öffentlich für sozial gerechte, faire und umweltschonende Produktionsbedingungen in der gesamten Lieferkette ausgesprochen hatten. Es gehe um Kostenwahrheit, ergänzte Grossmann, denn Arbeit, weite Verkehrswege und Umweltschäden verursachen Kosten. Auch müsste die Verletzung der Sorgfaltspflichten spürbare Konsequenzen haben.

Sowohl Grossmann als auch Schennach kritisierten die Regierung, dass es in Österreich nicht schon längst ein eigenes Lieferkettengesetz gibt, so wie es etwa Frankreich und Deutschland bereits haben. Im Hinblick auf eine Teuerung aufgrund der geplanten Bestimmungen plädierte Grossmann für höhere Sozialleistungen und höhere Pensionen, damit sich die Produkte auch einkommensschwächere Schichten leisten können.

FPÖ: Viele offene Fragen und negative Konsequenzen

Kritische bis ablehnende Töne zum EU-Lieferkettengesetz waren von den Freiheitlichen zu hören, die auch keine Kompetenz in dieser Materie bei der EU sehen. Johannes Hübner (FPÖ/W) sprach von einem "Bürokratiemonster" und einem "Ideologiemonster" und bezweifelte, dass die Entwicklungszusammenarbeit die durch ein Lieferkettengesetz entstehenden Probleme beseitigen oder mildern könne. Die schwächeren Staaten werden aus der Lieferkette herausfallen, befürchtete er und wies darauf hin, dass beispielsweise in Bangladesch 50% der Textilindustrie vernichtet würden. Bei all den kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Unterschieden werde sich die Welt nicht nach Europa richten, bekräftigte Markus Leinfellner (FPÖ/St) die Ablehnung.

Leinfellner glaubt auch nicht, dass eine europäische Regelung die österreichische Wirtschaft beschützen werde. Vielmehr werde es dazu kommen, dass sich viele die Mehrkosten nicht leisten werden können. Er vermisst zudem Untersuchungen zu den Konsequenzen der geplanten Richtlinie, etwa zu den Preissteigerungen, zu den Folgen für die E-Mobilität oder zu Wettbewerbsnachteilen. Offen bleibe auch, wer die Kosten für den Opferschutz übernimmt. Des Weiteren stellte er die Frage in den Raum, ob es statt Kinderarbeit dann mehr Kindersoldaten geben wird.

NEOS unterstützen EU-Entwurf im Sinne eines Sorgfaltspflichtengesetzes

Die NEOS würden die geplante Richtlinie lieber als "Sorgfaltspflichtengesetz" bezeichnen, wie Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) ausführte. Er unterstützte jedenfalls den Gesetzesentwurf der EU-Kommission als wichtig und notwendig im Interesse fairer Wettbewerbsbedingungen.

Im Gegensatz zur FPÖ glaubt er nicht, dass die Unternehmen unter der Regelung leiden werden, vielmehr werden diese seiner Ansicht nach davon profitieren. Auch in Frankreich, wo es ein Lieferkettengesetz gibt, habe es keinen wirtschaftlichen Einbruch gegeben, betonte er. Es könne durch einheitliche Vorschriften auch zu einer Wiederansiedlung von Unternehmen in Europa kommen, zeigte er sich zuversichtlich, und auch Qualität und Produktsicherheit würden steigen. Fairer Wettbewerb könne auch zu Preisreduktion führen, meinte Arlamovsky. Trotz positiver Beurteilung sind ihm zufolge aber noch viele Präzisierungen notwendig.

(Schluss Aktuelle Stunde/Fortsetzung Bundesrat) jan

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