Parlamentskorrespondenz Nr. 794 vom 29.06.2022

Bundesrat: SPÖ kritisiert Anfragebeantwortung des Bundeskanzlers zum Rückfall Österreichs im Democracy Report 2022

Staatssekretärin Plakolm verweist auf geplante Reformvorhaben der Bundesregierung

Wien (PK) – In der heutigen Bundesratssitzung fand auf Verlangen der SPÖ-Mandatar:innen eine Debatte über eine schriftliche Anfragebeantwortung von Bundeskanzler Karl Nehammer statt. In seiner Beantwortung der SPÖ-Anfrage mit dem Titel "Democracy Report 2022 - Abstieg Österreichs von der liberalen zur Wahldemokratie" hatte sich Nehammer dafür als nicht zuständig erklärt und auf eine Anfragebeantwortung von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler zu diesem Thema verwiesen. Die in Vertretung des Bundeskanzlers an der Debatte teilnehmende Staatssekretärin Claudia Plakolm erklärte, dass die Verschlechterung im Demokratiereport auf die pandemiebedingten Umstände der letzten beiden Jahre zurückzuführen sei. Die geplanten Maßnahmen der Regierung etwa zur Informationsfreiheit oder zur Etablierung eines Bundesstaatsanwalts sollen laut Plakolm die Situation wieder verbessern. Der SPÖ-Antrag, die Anfragebeantwortung des Bundeskanzlers nicht zur Kenntnis zu nehmen, fand keine Mehrheit im Bundesrat.

In der Anfrage an Nehammer zeigt sich die SPÖ über die im von der Universität Göteborg jährlich veröffentlichten Demokratiereport vorgenommene Rückstufung Österreichs auf eine Wahldemokratie besorgt. Das Ergebnis sei für ein westliches Industrieland, das sich üblicherweise mit seinen demokratischen Errungenschaften rühme, verheerend. Der Befund sei jedoch aufgrund der vergangenen beiden Bundesregierungen unter ÖVP-Führung nicht überraschend, da es etwa immer noch an einem Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetz oder an einem neuen Parteienfinanzierungsgesetz mangle. Zudem sei es zu "Angriffen der ÖVP gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft" gekommen. Die Sozialdemokrat:innen wollten deshalb in ihrer Anfrage an den Bundeskanzler wissen, welche Schritte für eine transparentere Gesetzgebung gesetzt werden, um Österreich wieder zu einer Einstufung als liberale Demokratie zu verhelfen und bis wann mit deren Umsetzung zu rechnen ist.

Schumann: Abstieg Österreichs ist beschämend

Mit Bestürzung habe sie festgestellt, dass der Demokratiereport Österreich den Abstieg zu einer Wahldemokratie beschieden habe, betonte Korinna Schumann (SPÖ/W). Deshalb habe dazu die SPÖ eine Anfrage an den Bundeskanzler, den Vizekanzler und die Verfassungsministerin gestellt. Dass sich der Bundeskanzler der Republik Österreich nicht den Fragen zum "Absturz im Ranking" stelle und als nicht zuständig erklärt habe, sei "beschämend". Eine liberale Demokratie zeichne sich durch die unabhängige Kontrolle der Justiz und der Opposition sowie durch freie Medien aus, so die SPÖ-Mandatarin. Aktuell gebe es aber ständig Korruptionsvorwürfe im Umfeld der ÖVP, auch die Justiz sei andauernd "ÖVP-Angriffen" ausgesetzt.

Plakolm: Demokratiereport spiegelt Umstände der letzten beiden Jahre wider

Die Beantwortung liege in der Zuständigkeit der Verfassungsministerin, weshalb diese die Anfrage auch übernommen habe, erklärte Staatssekretärin Claudia Plakolm, die den Bundeskanzler aufgrund seiner Teilnahme am Rande des NATO-Gipfels in Madrid vertreten hatte. Zum Demokratiereport hielt Plakolm fest, dass sich darin die Umstände der letzten beiden Jahre widerspiegeln würden. Es habe pandemiebedingt schnelle Entscheidungen gebraucht, wobei etwa Begutachtungsfristen nicht immer eingehalten werden konnten. Es gehe darum, "Tag für Tag am Demokratieverständnis zu arbeiten", da Demokratie kein Selbstläufer und abgeschlossener Prozess sei. Die Staatssekretärin verwies auf die aktuell in Verhandlung stehenden Pläne der Regierung zur Reform der Parteienfinanzierung, zum Informationsfreiheitsgesetz sowie zur Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts. Ebenfalls wichtig sei die Stärkung der Demokratiebildung in den Schulen, dazu habe es kürzlich einen überparteilichen Entschließungsantrag im Nationalrat mit zahlreichen Maßnahmen gegeben.

Er habe Nehammer seit zwei Monaten nicht mehr im Parlament gesehen, er frage sich, was der Kanzler eines neutralen Landes am NATO-Gipfel zu suchen habe, hielt Stefan Schennach (SPÖ/W) fest. Zudem sei Nehammer als Regierungschef formal sehr wohl für Fragen der Demokratie zuständig, erwiderte Stefan Schennach (SPÖ/W) auf die Staatssekretärin. Seine Fraktionskollegin Elisabeth Grossmann (SPÖ/St) stellte einen Rückfall in diversen internationalen Rangkings fest, seitdem die ÖVP die Regierungsspitze stelle. Zudem brachte sie einen in der Minderheit gebliebenen Antrag ein, die Anfragebeantwortung des Bundeskanzlers nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Die Kritik an der Abwesenheit aufgrund des NATO-Gipfels sei "in Zeiten wie diesen" nicht nachvollziehbar, antwortete Harald Himmer (ÖVP/W) auf die Kritik Schennachs. Der ÖVP-Mandatar zeigte sich nicht beunruhigt über die demokratischen Verhältnisse in Österreich. Es sei üblich, über den Zustand der Demokratie unterschiedlicher Meinung zu sein. Himmer übte zudem Kritik an der Methodik der Erstellung des Demokratiereports. Es seien insgesamt nur zwei österreichische Expert:innen zum Themenbereich der transparenten Gesetzgebung befragt worden. Dies sei keine breite Basis, was Sozialwissenschafter:innen bestätigen könnten.

Die ÖVP übe Kritik an "falschen Expert:innen" immer dann, wenn das Ergebnis nicht in ihr Bild passe, erwiderte Christoph Steiner (FPÖ/T). Bei einem internationalen Bericht könne man sich die Expert:innen jedoch nicht aussuchen. Eine Debatte über die Anfragebeantwortung sei nötig, um aufzuzeigen, wie "abgehoben" mit den Fragen der Parlamentarier:innen seitens der Regierung umgegangen werde. Auch die Staatssekretärin habe in ihrer heutigen Stellungnahme keine Antworten gegeben. Es sei aber im Sinne des Interpellationsrechts und die Pflicht des Parlaments, Kenntnis über die Arbeit der Regierung zu erlangen. Das habe auch eine Einschätzung des rechtslegislativen Dienstes des Parlaments ergeben.

"Wenn ein renommiertes Institut feststellt, dass Österreich nur mehr eine Wahldemokratie ist, sollte uns das Sorgen bereiten", erklärte Marco Schreuder (Grüne/W). Die letzten zwei Jahre seien jedoch eine "außergewöhnliche Zeit" gewesen, da viele Gesetze aufgrund der Notsituation ohne Begutachtung auf den Weg gebracht wurden. Für Schreuder geht es nun darum, wieder an einer Verbesserung der Einstufung Österreichs zu arbeiten. Als wichtige Beiträge nannte der Grünen-Mandatar die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, die Vorlage eines Parteienfinanzierungsgesetzes, eines Whistleblowergesetzes sowie eine Reform der Medienförderung.

Obwohl die Studie methodische Mängel aufweise, sei sie nicht die einzige, die demokratische Defizite in Österreich aufzeige, so Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W). Bei der Bekämpfung von Korruption sei Österreich bestenfalls Mittelmaß, bei der Abschaffung des Amtsgeheimnisses sei man europäisches "Schlusslicht". Eine Politik, die nicht käuflich ist, müsse danach trachten, einen Mentalitätswandel von "erst strafend zu präventiv" herbeizuführen. Für Arlamovsky braucht es ebenfalls eine Reform der Parteienfinanzierung, neue Strafbestände im Bereich des Mandatskaufs, eine Aufwertung des Rechnungshofes sowie eine Sicherstellung der Medienfreiheit. (Fortsetzung Bundesrat) med

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

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